IFSC veröffentlicht neue Richtlinie in Sachen REDs-Prävention

Die Veröffentlichung einer neuen Richtlinie zum besseren Schutz von Wettkampfkletter*innen vor dem REDs-Syndrom und sportinduzierten Essstörungen war lange erwartet worden. Am 7. Februar verkündete die IFSC auf ihrer Website nun endlich: „Neue Wettkampfrichtlinie stellt die IFSC an die vorderste Front im Kampf gegen REDs.“

Ein bisschen pathetisch klingt das schon, dennoch ist es tatsächlich leider nach wie vor außergewöhnlich, dass eine Sportart unter Beachtung offizieller Richtlinien über das Thema Doping hinaus, die Gesundheit der Athlet*innen öffentlich in ihren Fokus nimmt. 

Schaut man sich die Richtlinien allerdings genauer an, stellt die IFSC nicht vor allem sich selbst, sondern die nationalen Verbände an die vorderste Front beim Kampf gegen die riskante Mangelversorgung zur vermeintlichen Leistungssteigerung.

Das macht insofern Sinn, da auf nationaler Ebene wesentlich mehr und regelmäßigerer Kontakt zwischen Athlet*innen und betreuenden Funktionären besteht, als auf internationaler.
So lässt ich im besten Fall vermeiden, dass Sportler*innen überhaupt erst ein riskantes Verhältnis zu Körpergewicht und Leistung entwickeln. 
Das Risiko, dass nationale Verbände besonders vielversprechende Kandidat*innen trotz offensichtlicher Gefährdung aus Eigeninteresse als „gesund“ zertifizieren bleibt allerdings bestehen.

In Deutschland ist der Deutsche Alpenverein (DAV) in der Verantwortung. Bereits seit knapp 10 Jahren wird hier viel Aufklärungs- und Präventions-, aber auch Früherkennungsarbeit und Hilfe im Falle einer Betroffenheit geleistet.
Mit der Veröffentlichung der neuen Richtlinien bringt die IFSC nun auch nationale Verbände, die bisher derartigen Maßnahmen möglicherweise weniger Beachtung geschenkt haben zumindest in Zugzwang.

Im ersten Schritt müssen die Athlet*innen einen kurzen Fragebogen zur Erfassung von persönlichen Parametern wie Größe, Gewicht, Herzfrequenz und Blutdruck ausfüllen. Wer diese Maße nimmt und ob die angegebenen Daten der Wahrheit entsprechen scheint nicht weiter geregelt zu sein und auf Vertrauensbasis zu erfolgen.


Wird hier aufgrund den Mindestanforderungen entsprechender Angaben grünes Licht gegeben, besteht die einzige Chance, gefährdete oder bereits erkrankte Sportler*innen herauszufiltern erst wieder in Schritt drei des mehrstufigen Regelwerkes.
Hierbei handelt es sich um „Stichprobenartige und gezielte IFSC REDs Gesundheitstests“ wobei der Begriff „gezielt“ offen lässt, ob diese Stichproben auch Athlet*innen einschließen, deren Fragebögen von Anfang an keine Auffälligkeiten zeigen, die aber augenscheinlich zum Testzeitpunkt dennoch keinen gesunden Eindruck machen.  


Wo es an dieser Stelle in der Vergangenheit möglicherweise unter anderem haperte, lässt sich unschwer an einem Passus der neuen Richtlinien ablesen der speziell die eigentlich selbstverständliche Tatsache auflistet, dass diese IFSC REDs-Gesundheitstests, die eine Gewichtsmessung beinhalten, mit „leeren Taschen“ erfolgen sollten.

Wie effektiv die Athlet*innen zukünftig geschützt werden können steht und fällt also ganz offensichtlich mit dem Maß an Konsequenz und Gründlichkeit, das die jeweiligen prüfenden Instanzen anzuwenden bereit sind und worin deren Priorität besteht: Dem Schutz der Athlet*innen oder der repräsentativen Leistung-Performance fürs eigene Land.

Auch in der Diskussion um die Nützlichkeit einer Erhebung des BMI ist man noch nicht ganz auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Marco Scolaris, Präsident der IFSC äußert sich dazu wie gehabt folgendermaßen: 

Es wurde gefordert, den Body-Mass-Index (BMI) als Maßstab für REDs zu verwenden, aber ein einfacher BMI-Test allein vermittelt kein genaues Bild vom Gesundheitszustand einer Person und wäre vor allem auch rechtlich nicht vertretbar. Darüber hinaus variiert der BMI von Land zu Land stark. Ein Ausschluss von Athleten von Wettkämpfen nur aufgrund eines BMI-Wertes wäre daher eine grobe Verletzung ihrer Rechte.

IFSC Pressemeldung vom 7. Februar 2024

Dass der BMI als alleiniger Maßstab für die Feststellung eines REDs nicht ausreicht und es bei den Forderungen zur Messung des BMI nicht darum ging, Athlet*innen nur aufgrund eines zu niedrigen Wertes von Wettkämpfen auszuschließen, hatte Prof. Dr. Volker Schöffl, Verbandsarzt des DAV unter anderem in einem Interview mit dem deutschen Olympioniken Alexander Megos bereits im August 2023 klargestellt. 

Auch Nico Schlickum, Funktionstrainer für Bildung und Wissenschaft beim DAV und Teil von dessen Arbeitsgruppe „Sport und Gesundheit“ erklärt in einem Interview bei BR24 vom 15.10.2023:

Der BMI ist ein super-praktikables Tool um potentiell gefährdete Athleten zu identifizieren. Gleichzeitig hat der BMI natürlich auch Schwächen. Die Idee ist, dass der BMI ist erstmal ein Indikator dafür ist näher hinzuschauen, wenn sich Athleten irgendwann in einem Grenzbereich bewegen und letztendlich ist es so, dass wenn wir Athleten haben, die in einen gewissen Grenzbereich fallen, wir dann medizinische Untersuchungen empfehlen. Das bedeutet nicht, dass der BMI einen Befund darstellt. Der BMI kann immer nur ein Hinweis sein. Er ist an einem Wettkampftag total gut praktikabel. Wir können nicht an einem Wettkampftag eine Knochendichtemessung machen, das ist einfach nicht praktikabel.

BR24 Interview mit Nico Schlickum vom 15. Oktober 2023

Die Vorsitzende der Athletenkommission des IFSC und britische Olympionikin Shauna Coxsey äußert sich in diplomatischer Weise verhalten optimistisch: 


Die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Sicherheit der Athleten waren für die Athletenkommission immer oberste Priorität und werden es auch bleiben. Die heute angekündigte Richtlinie ist der Beginn eines Weges, unseren Sport sicherer zu machen, indem ein komplexes und sensibles Thema angegangen wird.
Als Vorsitzende der Athletenkommission werde ich weiterhin mit meinen Kommissionskolleg*innen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Stimme der Athleten gehört wird und sie bei der Umsetzung dieser neuen Richtlinien unterstützt werden. Ich möchte der Medizinischen Kommission und der Sportabteilung für die harte Arbeit und das Engagement danken, das sie bei der Entwicklung dieser Richtlinie gezeigt haben. Wir glauben, dass dies ein positiver Schritt zum Schutz der Athleten ist.

so Shauna Coxsey in der IFSC Pressemeldung

Es ist ein Anfang. Ein positiver Schritt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Die kommende Saison wird zeigen was mehr wiegt: Maximale Leistung oder die Gesundheit der Athlet*innen.

Weitere Artikel zu dem Thema Essstörung im Klettersport sowie die vollständige offizielle Richtlinie der IFSC und deren Pressemeldung:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
Video-Link: https://youtu.be/XpkWNOSrLyo?si=nJ5K7VdZiXDvqT4g