»Natürlich wird im Spitzensport an jedem Rädchen gedreht«  Alex Megos im Interview

Erst vor ein paar Tagen ist Alex Megos von einem Fotoshooting mit seinem Sponsor Petzl in Spanien zurückgekommen. So nebenbei knipste er in Margalef ein paar Routen ab: Widowmaker (9a), The Maze (9a) und Tierra Negra (9a/9a+). Alex zählt weltweit zu den besten Felskletterern – scheint sich inzwischen aber auch auf der Wettkampfbühne wohlzufühlen. Zumindest zockte er in diesem Jahr ziemlich bei den Weltcups ab: der zweite Platz bei der Lead-Gesamtweltcup-Wertung spricht für sich. Gemeinsam mit Kletterszene.com zog der starke Franke eine Bilanz des Jahres 2023, erzählt, was er in seiner Kletterhalle in Forchheim plant, weshalb er bei Wettkämpfen eine BMI-Grenze für notwendig hält – und weshalb mittlerweile Grade für ihn nicht mehr unbedingt entscheidend sind. 

Ks.com: Alex, die Wettkampfsaison 2023 ist gelaufen. Wie schaut deine Bilanz aus?

Lead lief mega gut, besser als jemals zuvor – ich war bei allen Weltcups, an denen ich teilgenommen habe, in den Finals, wurde einmal Zweiter, einmal Dritter, und bin auch noch bei der Weltmeisterschaft in Bern im Finale mitgeklettert und habe mir dort Bronze geholt… das ist schon mega cool. Bouldern war bei den Weltcups dagegen eher durchwachsen. Mit einem für mich bislang zweitbesten – 8. Platz – und einem bislang schlechtesten Ergebnis, das war Platz 47 in Brixen. 

Bei der WM in Bern hast du das Ticket für Paris 2024 verpasst – war das eine Enttäuschung?

Natürlich war ich enttäuscht. Ich und Yannick (Flohé; Anm. Ks.com) haben das Finale beide knapp verpasst – Yannick auf Platz 12, ich auf Platz 13. Die Finalteilnahme und Qualifikation für Paris waren für mich klar Ziel gewesen… das hatte schon einen bitteren Beigeschmack. Bei der WM ging es eigentlich auch nur darum, sich das Ticket zu holen und gar nicht um die Weltmeistertitel. Zumindest hatte ich den Eindruck, dass es so war.

Hast du noch Ambitionen für Paris 2024? Olympische Spiele – die Premiere in Tokio – hast du ja schon einmal erlebt.

Ich habe auf jeden Fall noch Ambitionen. Beim Qualifikationswettkampf in Laval habe ich aber auf einen Start verzichtet, denn dort gab es bei den Herren und den Damen jeweils nur einen Startplatz. Dafür war mir der Aufwand dann doch zu groß, das hätte sich nicht gelohnt. Ich werde im kommenden Jahr bei der Olympic Qualifier Series, die im Mai und Juni über die Bühne geht, versuchen, mich zu qualifizieren. 

Kommen wir vom Plastik zum Fels: Im August warst du in Norwegen und hast eine beeindruckende Ticklist mitgebracht. In Vingsand waren es alleine drei 8b+- Boulder und sieben 8b-Boulder, einige davon im Flash. Insgesamt waren es 21 Boulder ab 8a aufwärts. War der 12-tägige Trip für dich in diesem Jahr das bisherige Highlight? 

Ja, das kann man so sagen… allerdings habe ich in diesem Jahr auch noch nicht viel anderes gemacht (lacht). Ich war ab Anfang 2023 mit Wettkämpfen beschäftigt, war einmal kurz in den USA und hatte ein paar Tage Bouldern im Tessin mit Yannick, da lief aber nicht wirklich was bei mir. Also so gesehen war das Felsklettern Norwegen das Highlight 2023. Von der Reise gibts übrigens auch ein Video auf meinem YouTube-Kanal zu sehen

Du bist schon verdammt lange im Geschäft: Geht es dir mittlerweile nicht mehr so extrem um Grade wie früher, sondern auch um anderes? Beispielsweise darum, eine bestimmte Linie, die dich fasziniert, zu klettern?

Um die Grade geht es mir deutlich weniger als früher. Das ist mir schon vor zehn Jahren aufgefallen, als ich im Red River Gorge klettern war. Dass es mir nicht nur darum geht, schwer zu klettern. Wenn ein Gebiet scheiße aussieht, zieht es mich weniger dahin. Norwegen steht da schon ziemlich weit oben auf meiner Liste der Best Places. Die Landschaft ist ein Traum, ich habe mich ein bisschen in dieses Land verliebt. 

Alex, du bist in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden – das ist für viele ja ein besonders wichtiger Geburtstag, bedeutet für viele das „Jetzt-aber-wirklich-Erwachsensein“. Wie wars für dich?

Na ja, ich denke nicht, dass ein bestimmtes Alter – der 30. Geburtstag – bedeutet, dass man nun wirklich erwachsen ist. Wer definiert das? Die allermeisten Menschen in meinem Alter sind wahrscheinlich festangestellt, haben eine 40-Stunden-Woche. Viele waren, als sie zwischen 20 und 25 Jahre alt waren, an der Uni, hatten ein Studentenleben. Ich hatte schon immer ein anderes Leben – eben kein Standardleben und werde es in den kommenden zehn Jahren auch nicht haben. Aber zum Thema 30. Geburtstag: ein bisschen gefeiert habe ich natürlich schon (lacht).

Du hast in unserem letzten Interview gesagt, dass du schon Pläne für die Zeit nach dem Profiklettern hast. Gehört der Kauf der früheren Kletterhalle Magnesia in Forchheim dazu?

Ja, der gehört dazu. Wir sind gerade dabei, die Halle umzubauen – geplant ist, dann Mitte 2024 in Betrieb zu gehen. 

Und was genau planst du dort? Es heißt, dass dort Spitzenathletinnen und -athleten aus aller Welt eine adäquate Trainingsmöglichkeit finden sollen. Stimmt das?

Ja, wir werden dort ein Zentrum für den Spitzensport errichten, wir wollen Spitzensportlerinnen und -sportler fördern. Spitzensport ist kein leichtes Brot, gerade hier in Deutschland. In Augsburg gibt es zwar schon ein Zentrum, das ist auch mega cool. Aber eins ist noch nicht ausreichend. Was wir auf jeden Fall auch machen wollen, ist, dort einen Raum für Workshops und Schulungen zu schaffen. Kletterkurse und Fortbildungen des DAV sollen dort stattfinden können. Bislang gibt es dafür keine ausgewiesene Kletterhalle, die DAV-Angebote finden meist in kommerziellen Hallen statt – bei laufendem Kletterbetrieb. Das ist nicht nur kompliziert, weil man sich arrangieren muss, sondern nervt auch. Unsere Halle soll für solche Veranstaltungen komplett gemietet werden können.

Viele der deutschen Wettkampfkletterer kritisierten zuletzt ihre nicht optimalen Trainingsmöglichkeiten. Ist das ein Grund, dass das deutsche Team – abgesehen von einigen Ausnahmen – noch immer nicht den Anschluss an die Weltspitze gefunden hat? 

Das ist ein Grund, aber nicht der einzige Grund – da gibt es viele Faktoren, die eine Rolle spielen. In Deutschland ist das gesamte Spitzensport-System nicht so gut wie in anderen Ländern oder anders formuliert: es ist alleine schon aus finanziellen Gründen ultraschwer, hier Spitzensportler zu sein. Es gibt beispielsweise die Möglichkeit, bei der Bundeswehr in die Sportförderung zu kommen, dann kannst du dich auf deinen Sport konzentrieren. Das selbständig zu machen, ist aber fast unmöglich. In Slowenien dagegen ist die Förderung beispielsweise eine ganz andere. Die Trainingsstrukturen hier in Deutschland sind aber sicher nicht optimal… das schaut in Japan definitiv anders aus. Was jetzt noch dazukommt ist, dass wir Kletterer zukünftig im Olympiastützpunkt in München nicht mehr trainieren können, wir werden dort rausgeschmissen. Von den kommerziellen Hallen können wir aber nicht erwarten, dass sie für uns schrauben – dort muss so geschraubt werden, dass es den Besuchern taugt.

Aber müsste nicht eigentlich der Verband – der Deutsche Alpenverein – beim Punkt Trainingsmöglichkeiten aktiv werden und adäquate Angebote schaffen? 

Beim DAV geht es halt nicht nur um den Leistungssport, die Hallen sind in erster Linie für den Breitensport gedacht. Und dort eine Wand zu haben, an der dann nur drei Spitzenathleten trainieren können, ist natürlich nicht reizvoll. Wir hoffen auch deshalb in unserer Halle in Forchheim auf eine Zusammenarbeit mit dem DAV – weil wir dort den Athletinnen und Athleten optimale Trainingsflächen mit Wettkampfboulder oder -routen bieten können. 

Ein anderes, ganz wichtiges Thema: Essstörungen. Ausgelöst von Volker Schöffl war das zuletzt in der Diskussion. Was müsste sich in deinen Augen verändern, um Athletinnen und Athleten zu schützen?

Die IFSC sieht sich nicht in der Pflicht, etwas zu ändern und hat die Angelegenheit an die einzelnen Länder delegiert. Das wird so aber nicht funktionieren, denn ein Verband wird eine erfolgreiche Athletin oder einen erfolgreichen Athleten wohl eher nicht sperren – naheliegenderweise. Unsere Gesundheit sollte aber an erster Stelle stehen. Ich bin der Meinung, dass die IFSC das in die Hand nehmen müsste. Was derzeit dort bei diesem Thema passiert, ist definitiv nicht ausreichend. Der BMI ist dabei sicherlich nicht ein alleiniges Merkmal, aber ab einer gewissen Grenze kann man davon ausgehen, dass das Gewicht zu niedrig ist und es deswegen gesundheitlich problematisch wird. Die Grenze liegt bei einem Wert von 17,5 – und Athletinnen und Athleten, die unter diesem Wert liegen, sollten von der IFSC gesperrt werden. 

Gewicht spielt beim Klettern nun mal eine Rolle – je leichter, umso besser… 

Natürlich wird im Spitzensport an jedem Rädchen gedreht – und natürlich spielt das Gewicht eine Rolle. Wenn du abnimmst, funktioniert das vielleicht für einen bestimmten Zeitraum: du wirst besser, erfolgreicher. Irgendwann aber macht der Körper das nicht mehr mit, du stagnierst oder wirst sogar wieder schlechter… und ziehst die Schlussfolgerung, dass du mit deinem Gewicht noch weiter runtergehen musst. Das ist ein Teufelskreis. Deshalb müsste die IFSC auch eine knallharte Grenze setzen. Nur das allein hilft den betroffenen Kletterinnen und Kletterern sicher nicht weiter, sie müssen auch speziell medizinisch betreut werden, brauchen vielleicht auch Unterstützung von einem Sportpsychologen. Aber es muss durchgegriffen werden, alleine schon zum Schutz der Athleten.

Letzte Frage: welche Pläne hast du noch für dieses Jahr und gibt es schon welche für 2024?

Es gibt immer mehr Ideen und mehr Projekte, als ich dafür Zeit habe – also beim Felsklettern. Geplant ist noch ein USA-Trip. Danach beginnen schon wieder die Trainings für die Wettkampfsaison 2024, da gibt es auch einiges, was es zu tun gibt. Ein Ziel im kommenden Jahr ist, bei den Olympischen Spielen zu starten.

Vor Kurzem – nach unserem Gespräch mit Alex – haben er und Yannick in eins der schwersten Projekte in Franken reingeschaut: es könnte eine 9c sein.

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Video-Link: https://youtu.be/-anJPr9bYXs?si=HUUlRPha7UTwxEYz