Essen als Feind – Nuria Brockfeld im Interview

Ende November hat Nuria Brockfeld auf Insta von ihrer Essstörung berichtet – und wegen dieser Erkrankung ihren Rücktritt vom Leistungsklettern erklärt. Die 19-jährige Kölnerin ist neben Franziska Ritter die erfolgreichste deutsche Speedkletterin. 2022 belegte sie bei ihrem ersten Weltcup-Start in Seoul gleich einmal den achten Platz. Bei Jugend-Weltmeisterschaften holte sie sich insgesamt dreimal Silber, daneben gewann sie etliche Europäische Jugendcups. Ihre Wettkampfkarriere schien optimal zu laufen – bis sie in die Essstörung reinrutschte. „Darüber auf Insta zu schreiben, fiel mir schwer. Aber ich sagte mir, dass ich mutig sein muss. Denn alle in der Szene wissen von diesem Problem… aber passieren tut nichts“, sagt Nuria im Gespräch mit Kletterszene.com.

Ks.com: Nuria, wie geht’s dir heute?

Ich mache gerade eine stationäre Therapie, es ist mein zweiter Klinikaufenthalt – im vergangenen Herbst war ich schon einmal für drei Monate in Therapie. Zurzeit bin ich definitiv auf dem Weg der Besserung. In der Klinik zu sein, bringt mir auf jeden Fall etwas. Ich tue alles, um von dieser Essstörung wegzukommen, aber ich glaube, der Weg ist noch sehr lang.

Du hast dich in stationäre Therapie begeben, weil du es nicht allein aus der Essstörung rausschaffst?

Ja. Der Leidensdruck war so hoch, dass ich diesen Schritt gehen musste. Es ist sehr schwer, da alleine rauszukommen. Ich hatte zuvor schon ambulante Therapeuten, bei denen ich einmal in der Woche war – aber das hat mir nicht wirklich etwas geholfen. Um wirklich etwas zu verändern, musste ich in eine Klinik gehen. Ich hatte insgesamt über 15 Kilo abgenommen. Ich war zuletzt zu nichts mehr fähig – ich hatte einen Puls von 32, habe mich immer mehr isoliert, war energie- und antriebslos. Ich konnte und wollte so nicht weiterleben.

Wie bist du in die Essstörung reingerutscht?

Das war im Oktober 2022, damals hatte ich das Pfeiffersche Drüsenfieber und habe dadurch ungewollt abgenommen. Als ich dann wieder klettern durfte, habe ich mich an der Wand und im Training besser gefühlt. Zudem habe ich auch Zuspruch von außen bekommen. Ich habe dann meinen Fokus immer mehr auf das Essen verlagert. Ich dachte, je weniger ich wiege, umso erfolgreicher bin ich. Und das war ja auch eine Zeitlang so.

Beim Klettern spielt das Gewicht eine Rolle – aber wann hast du gemerkt, dass es bei dir krankhaft wurde?

Als nicht mehr das Klettern bei mir an erster Stelle stand, sondern das Essen. Ich hatte keine Energie mehr, Leistung zu bringen. Eine Abwärtsspirale setzte sich in Gang. Es ist ein Teufelskreislauf: Ich dachte, ich leiste ja nichts, also muss ich auch nichts essen und konnte deshalb immer weniger leisten. Das war auch im vergangenen Frühjahr der Grund, weshalb ich nicht am Weltcup in Salt Lake City teilnehmen konnte. Damals gings mir schon richtig schlecht.

Wie hat dein Umfeld reagiert, als du immer dünner wurdest? Was haben deine Trainer, deine Teamkollegen gesagt?

Es ist natürlich allen aufgefallen. Mein Trainer hat mich deshalb auch angesprochen und gesagt, dass ich mehr essen muss. Ich habe damals im Sportinternat in Köln gelebt, auch dort wurde das von den Betreuern thematisiert. Es wurde nicht totgeschwiegen, und das war gut. Freunde haben mit mir darüber gesprochen, Lehrer, also mein ganzes Umfeld machte sich Sorgen. Mein Trainer und ich hatten dann noch einmal ein Gespräch, aber er ist natürlich kein Therapeut. Er sagte mir, dass es Konsequenzen haben werde, wenn ich nicht zunehme, dass ich nicht bei Wettkämpfen starten werden dürfe. Aber damals war die Essstörung schon zu dominant, auch das war mir egal. Sie hat mich meine Karriere gekostet.

Was hättest du dir damals gewünscht?

Also heute denke ich, dass mein Umfeld alles richtig gemacht hat. Ich hatte im Internat eine Betreuerin, die mit mir sehr viele und lange und intensive Gespräche geführt hat und mich schließlich auch an eine ambulante Therapeutin vermittelt hat. Für Außenstehende ist es verdammt schwierig, zu helfen. Wenn man eine Essstörung hat, wird man schnell getriggert. Ich wusste selber auch, dass ich mir professionelle Hilfe suchen muss, um herauszufinden, was der eigentliche Auslöser für meine Essstörung ist… das kann ja beispielsweise auch einen emotionalen Grund haben.

Wie ging es danach weiter?

Ich flog im vergangenen Frühjahr dann nicht mit in die USA und versuchte in den vier Wochen, in denen das Team weg war, mein Gewichtsproblem allein in den Griff zu bekommen. Das ist mir aber nicht gelungen – und irgendwann war der Punkt gekommen, an dem ich dann beschlossen habe, mich in eine stationäre Behandlung zu geben, weil es mir körperlich und psychisch immer schlechter ging. Ich wollte unbedingt etwas verändern. Es gab dort viele Gespräche, ich hatte auch endlich Zeit zu reflektieren, den Leistungssport zu überdenken. Ich habe mich gefragt, ob es tatsächlich das ist, was mich glücklich macht. Ob es nicht besser wäre, damit aufzuhören. Ich wusste, dass ich mir wieder Druck machen würde, wenn ich mit dem Leistungsklettern weitermache.

Ist Essen dein „Feind“?

Es hat sich so im Kopf festgesetzt. Ich arbeite daran, meine Einstellung zu verändern. Essen soll ja eigentlich ein Genuss sein. Essen gibt Energie und die brauche ich, um bouldern gehen zu können und wieder mit dem Trainieren anfangen zu können. Ich möchte wieder stark werden – und dafür muss ich lernen, wieder vernünftig zu essen. Dazu gehört auch, Fette und Kohlehydrate, die ja wichtig sind, wieder täglich in die Mahlzeiten einzubauen. Dabei hilft mir die Klinik. Die Therapie kann aber immer nur eine Hilfe zur Selbsthilfe bieten, man muss das schon selber wollen. 

Du bist im Leistungsklettern auch in Deutschland wahrscheinlich nicht die einzige Betroffene – viele der Spitzenathletinnen und -athleten sind auffällig dünn…

Ja, das fällt allein schon von der Optik auf. Es ist ein sehr schmaler Grat zwischen noch gesund sein und Leistung bringen – und gleichzeitig nicht in diese Krankheit zu rutschen. Trainern und Verbänden kann man wahrscheinlich deshalb keinen Vorwurf machen. Aber ich würde mir wünschen, dass sich grundsätzlich etwas verändert.

Was müsste sich denn ändern? Alex Megos sagte kürzlich in einem Interview mit Ks.com, ein BMI-Grenzwert von 17,5, unter dem es ein Startverbot gibt, könnte eine Lösung bieten.

Zumindest würden extrem untergewichtige Kletterinnen und Kletterer dann nicht mehr starten dürfen – und das wäre schon einmal gut. Das Problem aber ist, dass es auch mit einem BMI von 23 noch eine Essstörung geben kann, die ist ja nicht vom BMI abhängig. Bei Frauen ist beispielsweise ein Anzeichen, keinen Zyklus mehr zu haben. Die Betroffenen senden ja Signale, wie eine ständige Energielosigkeit. Sie müssen aber auch erkannt werden. Ich denke, es wäre sehr wichtig, schon mit einer Prävention im Jugendalter zu beginnen. Bei Workshops oder Seminaren beispielsweise. Eine Essstörung ist gravierend, sie kann nicht nur schlimme körperliche Folgeschäden haben. Man kann deshalb auch in eine Depression rutschen. 

Übers Klettern haben wir noch gar nicht gesprochen. Hast du noch Kontakte zu Trainern oder den anderen Kaderkletterern – und kletterst du momentan noch?

Ich habe bewusst die meisten Kontakte zur Kletterszene abgebrochen. Mit den Speedies aus meinem früheren Team bin ich aber befreundet, wir schreiben uns und wir treffen uns auch noch manchmal. Ich habe für mich in den vergangenen Monaten das Felsklettern wiederentdeckt – und ich würde in diesem Jahr auch gerne bei der Deutschen Meisterschaft im Bouldern starten. Klettern ist für mich noch immer sehr wichtig, aber ich klettere nur noch, wenn es mir Spaß macht und ich Bock darauf habe. Inzwischen habe ich aber auch die Seiten gewechselt und bin eine der Trainerin des Nachwuchskaders von Nordrhein-Westfalen.

Und was ist mit Speedklettern?

Das ist ein abgeschlossenes Kapitel. Ich werde aber weiterhin alle Wettkämpfe verfolgen und bin sehr gespannt, ob sich jemand aus unserem Team für Olympia qualifiziert. Die Wettkämpfe habe ich geliebt und manchmal vermisse ich sie auch. Ich kann jetzt aber ehrlich sagen, dass ich das Speedtraining teilweise gehasst habe, ich werde nie mehr einen Speedgriff anfassen. Ich bin vom Bouldern, meiner eigentlichen Lieblingsdisziplin, ins Speedklettern reingerutscht. Ich war viele Jahre lang in einer Bubble gefangen, war fremdbestimmt. Ich habe erst jetzt wieder die Chance, eine Perspektive von außen einzunehmen und zu erfahren, wie ein Leben ohne Leistungssport aussieht. Inzwischen frage ich mich, ob es wirklich das war, was ich wollte. 

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Video-Link: https://youtu.be/n6Dkmi7OJms?si=GG8eRAAB8MFu9eU2