„Eine Profikarriere ist definitiv mein Ziel“ – Hannah Meul im Interview

 „Partage (8A+), „Duel“ (8A), „Tigre et Dragon (8A)“, „Big Golden assis (8A)“ und „Foxy Lady“ (8A): die fünf Boulder hat Hannah Meul zuletzt in Fontainebleau und Magic Wood abgeknipst. So nebenbei kamen dann noch einmal vier 7C / C+-Boulder dazu – und das in gerade einmal drei Wochen. Zuletzt lief es für die junge Kölnerin richtig rund. Die 20-Jährige punktet aber nicht nur am Fels: Hannah zählt zu den ganz großen Talenten im deutschen Wettkampfklettern. In dieser Saison war sie alleine vier Mal bei einem Weltcup-Halbfinale und dem Lead-Halbfinale der WM dabei. Und sie konnte als bislang einzige deutsche Kletterin bereits Erfahrungen bei Olympischen Spielen sammeln. Bei den Jugendspielen in Argentinien 2018  schrammte Hannah nur ganz knapp an einem Podestplatz vorbei und belegte den vierten Platz. Im Gespräch mit Kletterszene.com erzählt Hannah, was ihr das Klettern am Fels bedeutet – und weshalb die Olympischen Spiele der Erwachsenen  noch immer ein ganz großer Traum für sie sind. 

Ks.com: Du warst ja zuletzt im Abzockmodus am Fels unterwegs, bei vielen anderen starken Mädels – Laura Rogora, Stasa Gejo – war das nach dem Ende der Wettkampfsaison ähnlich. Lief das nach dem Motto „Pflicht erledigt, jetzt kommt die Kür“?

Ja, das könnte man tatsächlich so beschreiben. Die Saison war lang und anstrengend und es war nach dem letzten Wettkampf mega cool, dann endlich raus zu kommen und am Fels zu bouldern. Ich bin da eigentlich ohne große Erwartung rangegangen – das waren einfach erholsame und entspannte Tage. Was ich dann alles geklettert bin, kam für mich selbst ehrlich gesagt sehr überraschend. Ich bin zuvor in Fontainebleau nur 7c+ gebouldert, darüber bin ich nicht hinausgelangt. Der Style ist dort auch ein sehr eigener, das ist eine ganz andere Nummer. Über die 8a-Boulder habe ich mich echt sehr gefreut – und sie haben mich mega gepusht.

Was ist für dich das Besonders am Klettern am Fels? 

Für mich und für die meisten anderen Kletterer wahrscheinlich auch bedeutet es den Ursprung von unserem Sport. Das Klettern am Fels ist für mich unglaublich wichtig, um die Balance zu finden. Wenn ich ein Tief habe, dann hilft es mir sehr, mir ein Wochenende in Bleau zu gönnen und dort ohne Druck zu klettern. Am Fels fühle ich mich immer leicht, dort fällt alles ab. Man fühlt sich frei, kann das tun, worauf man Bock hat und muss sich dort nicht wie im Wettkampf mit anderen vergleichen.

Apropos Wettkampf: wie lief die Saison für dich?

Mein Ziel für dieses Jahr war, solide im Halbfinale klettern zu können – mir selbst zu zeigen, dass ich dort richtig bin. Als Jugendlicher ist die Ehrfurcht, die du zu Beginn bei deinen ersten Weltcups hast, riesig. Du kletterst gemeinsam mit deinen Idolen, das ist schon eine große Nummer. Inzwischen bin ich schon länger dabei, und mir persönlich war es einfach wichtig, mir zu zeigen, dass ich dort hingehöre. Im Lead konnte ich in dieser Saison meine bislang größten Erfolge feiern, mein Training hat sich definitiv ausgezahlt. Ich war stark genug für das Halbfinale und habe es genossen, dort zu klettern. Enttäuscht, dass es fürs Finale nicht gereicht hat, war ich nicht  wirklich – aber dennoch mit meiner Performance manchmal nicht absolut zufrieden, weil nur ganz wenig fürs Finale gefehlt hat. Aber ich weiß jetzt, dass das Finale möglich ist und das ist super. Das pusht mich für die nächste Saison.

Wie motivierst du dich, nach Niederlagen weiterzumachen?

Das ist nicht immer leicht, aber fiel mir in dieser Saison tatsächlich nicht schwer. Ich habe enorme Fortschritte gemacht und gesehen, dass sich das intensive Training auszahlt. Aber ich gebe mir schon die Zeit, zwischenzeitlich enttäuscht zu sein. Niederlagen gibt es natürlich immer wieder. Ich versuche, in ihnen etwas Gutes zu sehen, etwas, das ich mitnehmen und in Zukunft dann anders machen kann. Und dann ist es natürlich die große Liebe zu diesem Sport, die mich immer motiviert.

Sind die Olympischen Spiele noch immer ein Traum für dich?

Ja, das war schon immer mein größter Traum. Seit ich elf Jahre alt war, habe ich das im Kopf. Ich bin schon unglaublich stolz, dass ich mir das im Kleinen mit der Jugend-Olympiade in Buenos Aires erfüllen konnte. Die Atmosphäre dort war unglaublich, die Spiele sind für mich noch immer der Höhepunkt meiner Kletterkarriere. Nicht mal unbedingt wegen des Resultates. Sondern mit der Jugendelite der ganzen Welt, die alle das gleiche Ziel haben, seine Liebe zum Sport teilen zu können, war inspirierend. Die Stimmung im Olympischen Dorf war damals wirklich einzigartig, wir waren eine Gemeinschaft. Das auch bei den Erwachsenen erleben zu können, darauf trainiere ich hin. Das ist das große Langzeitziel von mir, da bin ich voll motiviert. Wäre natürlich toll, in Paris 2024 einsteigen zu können…

Die Premiere in Tokio hat Alex Megos, der als einer von zwei deutschen Athleten dabei war, zuletzt eher kritisch kommentiert. Siehst du die olympische Kletterpremiere inzwischen auch etwas nüchterner? 

Ich denke, dass die Spiele in Tokio coronabedingt definitiv nicht mit den Jugendspielen vergleichbar waren. Das haben mir auch Freunde geschrieben, die in Argentinien und jetzt auch in Tokio am Start waren.  Das war alleine vom Feeling her sicher etwas ganz anderes, als das, was ich erlebt habe. Also mich persönlich ernüchtert es nicht, das zu lesen. Mein Feuer ist groß, mein Wille noch immer da – und mit jedem Wettkampferfolg wird der Wunsch größer, bei Olympia dabei zu sein.  

Im Leistungssport sieht man oft nur schöne Bilder, es gibt aber auch Schattenseiten. In der Kletterszene ging es in den sozialen Medien zuletzt um Sexismus und Essstörungen. Findest du es gut, dass diese Themen inzwischen öffentlich diskutiert werden?

Ja, ich finde das gut. Wir leben im 21. Jahrhundert, man sollte darüber sprechen. Eigentlich hätte das schon viel früher passieren müssen. Unser Job als Athleten ist, Hochleistung zu bringen, darauf müssen wir uns eigentlich konzentrieren. Aber wenn so ein Thema wie Sexismus auftaucht, darf man das nicht ignorieren. Unser Sport ist eigentlich sehr tolerant, wenn so ein Thema auftaucht, sollte man auch deutlich sagen, dass es nicht akzeptabel ist. Essstörungen gibt es – leider. Wir Kletterer arbeiten mit unserem Körpergewicht, dass es dann aber zu solchen Problemen führt, ist schlimm. Daran müssen wir etwas ändern. Leistungssport ist immer ungesund, wir arbeiten immer am Limit. Aber eine Grenze zu ziehen, ist trotzdem ganz wichtig. Unser Körper ist unser größtes Kapital und wir haben nach dem Karriereende noch ein anderes Leben, in dem wir noch gesund sein sollten. Ich finde es gut, dass Essstörungen kein Tabuthema mehr sind.

Wie geht es weiter mit Hannah Meul? Willst du Profikletterin werden – und kann man davon in Deutschland schon leben?

Eine Profikarriere ist definitiv mein Ziel. Klettern ist aber in Deutschland leider noch immer eine Randsportart, es wird schwer sein, davon leben zu können. Aber es ist möglich. Durch die Olympischen Spiele hat das Klettern mehr Aufmerksamkeit bekommen und ich hoffe, dass sich auch mehr Sponsoren dafür interessieren. Daneben hoffe ich auf mehr Fördergelder. Ich studiere inzwischen, trainiere viel… noch zusätzlich zu jobben, ist eigentlich nicht möglich. 

Und was ist bei dir fürs kommende Jahr geplant?

Es wird eine hoffentlich wieder normale Weltcup-Saison werden. Mein persönlicher Höhepunkt wird aber die Europameisterschaft in München sein, da möchte ich in Topform antreten – und vor heimischen Publikum nicht nur in einer Runde mitklettern. 

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Video-Link: https://youtu.be/PkZQDiVRABI