Zu wenig Maßnahmen gegen RED-S: Volker Schöffel tritt von Medical Commission der IFSC zurück
Der Klettersport hat ein Problem mit Essstörungen – das hört man in letzter Zeit wieder öfter, zuletzt auch in einem Instagram-Post der ehemaligen kanadischen Athletin Alannah Yip, nachdem eine kritische Äußerung zu diesem Thema während ihrer Co-Moderation des Worldcups in Innsbruck von der IFSC zensiert wurde. Dass der Weltverband nicht genug in Hinblick auf diese Problematik unternimmt, obwohl die Studienlage klar sei und Lösungsangebote vorliegen, kritisierte gestern Abend der Arzt der deutschen Kletter- und Bouldernationalmannschaft Volker Schöffl. Auf Instagram teilte der Bamberger Sportmediziner deshalb seinen sofortigen Rücktritt von der Medical Commission der IFSC mit, zahlreiche Athlet*innen lobten den öffentlichen Schritt. Schöffl war seit 2009 Mitglied der Kommission gewesen, auch deren Präsident Dr. Eugen Burtscher hatte kurz zuvor seinen Rücktritt angekündigt.
Als Konsequenz der Untätigkeit der IFSC trete ich umgehend von meiner freiwilligen Position als Mitglied der Medical Commission zurück. Ich schliesse mich damit dem Präsidenten der Medical Commission an.
so Volker Schöffl auf Instagram
RED-S: Langfristige gesundheitliche Folgen für Athlet*innen
Schöffl und seinen Kolleg*innen forschten gemeinsam über zehn Jahre lang über das sogenannte RED-S Syndrom (Relative Energy Deficiency in Sport). Als Folge von Essstörungen, Untergewicht und maximaler Erschöpfung beinhaltet das Syndrom gravierende und langfristige gesundheitliche Folgen für betroffene Athlet*innen, die von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Unfruchtbarkeit bis hin zum Tod reichen.
Aus einer breit angelegten Studie zum Thema und aus zahlreichen bisherigen Untersuchungen von Worldcup-Athlet*innen habe die Medical Commission wiederholt konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, um RED-S besser zu erkennen und Betroffenen rechtzeitig zu helfen, so Schöffl. Diese Versuche seien bei der IFSC immer wieder auf „Entmutigung“ gestoßen, weshalb er als Mediziner die aktuelle Situation nicht mehr verantworten könne.
Anlass für Schöffls Kritik ist nicht zuletzt auch die Entscheidung der IFSC, in der Saison 2023 auf BMI-Test der Athlet*innen zu verzichten, was auch Alannah Yip in Innsbruck öffentlich kritisierte. Der Body Mass Index ist ein umstrittener Wert für die Feststellung von Essstörungen bzw. RED-S, weshalb Mediziner*innen und auch viele Athlet*innen eine umfassende, strukturelle und vor allem verpflichtende Diagnostik von RED-S auf Worldcup-Ebene fordern.
Warum fällt es der IFSC scheinbar so schwer, bei diesem Thema aktiv zu werden?
Bisher hat der Weltverband nicht auf Schöffls Rücktritt reagiert. Auf Yips Instagram-Post antwortete die IFSC, man wolle „die richtigen Regeln und Verfahren einführen, um dieses Problem zu lösen“ und man respektiere, „dass der Zeitplan frustrierend erscheinen kann“. Der Verband arbeitet nach eigenen Angaben derzeit mit dem International Olympic Committee (IOC) zusammen, um verbindliche Regeln festzulegen und die Gesundheit der Athlet*innen besser zu schützen. Gerade in Hinblick auf die Olympischen Spiele nächstes Jahr ist Volker Schöffls Rücktritt jetzt ein wichtiger Kickstarter für die Diskussion um das größte Tabuthema im Klettersport, das aktuell ist wie nie.
Anmerkung der Reaktion: Um 18 Uhr veröffentlichte die IFSC ein Statement, dass sie für die Saison 2024 an einem Regelwerk arbeiten, das die Athlet*innen umfassender untersuchen und besser schützen soll als die aktuellen Vorschläge. Genauere Informationen, wie sie dies umsetzen wollen, wurden bisher noch nicht geteilt.