„Wir wollen den Klettersport naturverträglicher und klimafreundlicher gestalten“ – Interview mit Sofie Paulus

Klettern ist auch in Zeiten der Klimakrise noch immer ein Motorsport – gerade wenn es ums Felsklettern geht. Die Emissionen, die durch die Autofahrten zu den Felsen oder die Flugreisen in den Kletterurlaub entstehen, sind der klimaschädlichste Beitrag der Klettercommunity. Dass es auch anders geht, zeigt die Bewegung „Ecopoint“, die die nachhaltige Mobilität fördern will. Es war die deutsche Kletterin Lena Marie Müller, die 2020 nach ihrer Rotpunktbegehung der Trad-Route „Prinzip Hoffnung“ (8b/+) im österreichischen Vorarlberg ihre klimafreundliche Anreise dorthin zum Thema und damit in der Öffentlichkeit bekannter machte. Dem Konzept, möglichst emissionsfrei zum Fels zu kommen, gaben Lena Marie Müller und Sofie Paulus dann den Namen „Ecopoint“. 2022 rief Sofie Paulus schließlich gemeinsam mit Nadja Hempel die Initiative „Ecopoint Frankenjura“ ins Leben. „Wir wollen den Klettersport naturverträglicher und klimafreundlicher gestalten“, sagt die 27-Jährige im Interview mit Ks.com. Sofie, die klettert, seitdem sie laufen kann, sucht weltweit nach Möglichkeiten, um mit dem Zug, dem Rad oder zu Fuß zu den Felsen zu kommen. „Auch wenn es manchmal anstrengend ist.

Ks.com: Sofie, spielt das Auto in deinem Leben überhaupt noch eine Rolle?

Nur noch eine sehr geringe… also ich selber habe keins. Manchmal nutze ich eine Mitfahrgelegenheit, aber ansonsten mache ich alles mit dem Rad oder den Öffis. Ich habe mir nur einmal vor ein paar Jahren einen Van geteilt. Abgesehen davon hatte ich nie ein eigenes Auto, das ging in meinem Alltag immer ohne.

Wie kam es 2022 zur Gründung von „Ecopoint Frankenjura“?

Nadja hat damals schon viel von Nürnberg aus geecopointet. Sie hat zufällig den Ecopoint-Youtube-Film gesehen, den ich vor etwa drei Jahren mit Hannes Huch gedreht hatte und mich daraufhin angeschrieben. Wir haben uns dann einfach mal getroffen – und gemeinsam entstand die Idee, die Anreise by fair means auch in Franken bekannter zu machen, in der Communitiy zu teilen. Wir gründeten ziemlich bald Ecopoint Frankenjura. Die erste Aktion unserer Initiative war, für das Kletterfestival in Franken einen Shuttle-Bus zu organisieren.

Was sind eure Ziele?

Wir wollen es schaffen, dass die nachhaltige Mobilität weltweit attraktiver wird, dazu gehört beispielsweise eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur – das ist unser großes Ziel. Und dass die ÖPNV-Infrastruktur dort, wo sie bereits ganz gut ist, beispielsweise im Frankenjura, auch tatsächlich genutzt wird. Dafür vernetzten wir uns als Initiative weltweit stärker, um gemeinsam etwas voranbringen, etwas bewegen zu können. Dieser Austausch ist in einer Auto-fokussierten Welt total wichtig, um in der Klettergemeinschaft eine Verhaltensveränderung hervorrufen zu können. Wir inspirieren uns gegenseitig zu Ecopoint-Aktionen und stellen der Community Infos bereit. Es ist eine riesige Stellschraube, an der wir da drehen.

Was habt ihr in den beiden vergangenen Jahren bereits erreicht? Und was ist als nächstes geplant?

Also die weltweite Vernetzung ist uns schon gelungen. Ecopoint etabliert sich mehr und mehr. Daneben haben wir eine Website mit vielen Infos geschaffen. Und wir haben Vorträge in der Schweiz, in Frankreich aber auch in der Region gehalten. Ein Höhepunkt war dann unser Ecopoint-Festival im vergangenen Jahr im Pegnitztal, zu dem etwa 70 Kletterinnen und Kletterer kamen. Wir sind gemeinsam geklettert, haben zusammen gekocht, musiziert und Yoga gemacht. Und es gab natürlich auch Workshops und Vorträge rund um das Thema Ecopoint. Statt Autos zählten wir etwa 60 Fahrräder, der Rest war zu Fuß unterwegs. Nach dem Wochenende haben wir übrigens nur eine Tüte voll Müll gehabt… richtig schön: Leave no trace. Um das zu ermöglichen, haben wir die Lebensmittel von regionalen Bio-Höfen und einem verpackungslosen Laden bezogen. Als nächstes Projekt wird jetzt bald unser eigener Kletterführer erscheinen.

Für die Fränkische Schweiz?

Ja, genauer für den südlichen Teil des nördlichen Frankenjuras, vom Trubachtal im Nordwesten bis Neukirchen bei Sulzbach-Rosenberg im Südosten. Wir arbeiten im Team mit zehn ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren seit etwa einem Jahr aktiv daran. Im Guide finden sich 14 Untergebiete, etwa 27 Felsen sind mit Topos aufgenommen. Dazu natürlich jede Menge Informationen, wie man mit den Öffis und Rad dort hinkommt, zu Übernachtungsmöglichkeiten, Gasthäusern und Bademöglichkeiten in der Nähe. Der Kletterführer ist aktuell im Druck, wir verteilen ihn dann erstmals kostenlos beim Kletterfestival Anfang Juni in Königstein. Wir haben zwar Sponsoren, die uns bei diesem Projekt unterstützen – aber das ist noch nicht kostendeckend. Wir freuen uns also über jede Spende für Deutschlands ersten Ecopoint-Guide.

Ist es nicht extrem schwer, außerhalb der eigenen Bubble andere Kletterinnen und Kletterer zu überzeugen, by fair means zum Felsen zu kommen? Also ich denke, dass der leidenschaftliche Autofahrer, der am Wochenende nach Franken zum Klettern kommt, das auch zukünftig so machen wird… auch wenn das jetzt vielleicht ein Vorurteil ist. 

Wir sind natürlich noch in der Minderheit. Und wir wollen niemanden zu etwas zwingen, das können wir ja auch gar nicht. Wir möchten nicht als Bubble, als elitäre Gruppe, die Zeit fürs Ecopointen hat, auftreten. Wir wollen einen Anstoß geben, das eigene Verhalten zu reflektieren, ein Angebot machen. Wir machen es, weil wir davon überzeugt sind, dass das Ecopointen angesichts der Klimakrise wichtig ist – und wir machen es gerne. Wir hoffen, dass wir es schaffen, auch andere ins Boot zu holen. Ecopointen hat ja auch eine positive Wirkung, es entschleunigt beispielsweise, und die Initiative gibt Euphorie – gemeinsam ist es leichter und schöner. Es ist toll zu sehen, wie die Bewegung wächst – eine Art Schneeballsystem.

Du hast selbst schon einige Reisen, beispielsweise nach Frankreich oder Spanien, mit Zug und Rad gemacht. Wie sind deine Erfahrungen?

Die Anreise ist oft schon wegen des vielen Gepäcks anstrengender und manchmal teurer als mit dem Auto. Dafür ist die Wertschätzung aber deutlich größer, wenn man angekommen ist. Vor Ort lernt man häufig viel mehr Leute kennen, was sehr schön ist. Mit Van ist man oft eher für sich, hat alles dabei, aber beim Ecopointen ist man auf die lokale Infrastruktur angewiesen und unterstützt die Community vor Ort. Man nimmt eine Unterkunft, geht öfters in eine Bar, sucht den Kontakt – alleine schon wegen der notwendigen Infos. Es geht nicht ausschließlich um den Co2-Abdruck, den wir hinterlassen. sondern auch um eine größere Offenheit. Darum, nicht mehr so individualistisch unterwegs zu sein.

Setzt du auch beim Klettern andere Prioritäten? Also ist nicht mehr wie früher nur der Schwierigkeitsgrad entscheidend?

Die Prioritäten verschieben sich tatsächlich. Es macht mir nach wie vor Spaß, mich beim Klettern zu verausgaben. Aber manchmal ist das Radfahren schon zuvor so anstrengend, dass die Kletterleistung tatsächlich in den Hintergrund rückt. Früher war es so, dass ich zum Fels gefahren bin, um ein Projekt zu klettern, oder eine Tour Rotpunkt zu machen. Das hat sich durch das Ecopointen verändert. Inzwischen genieße ich es noch mehr, in der Natur und am Fels zu sein – egal, wie es beim Klettern läuft.

Müsste man die Routen wegen der beschwerlichen Anreise eigentlich nicht anders bewerten – ähnlich wie beim Barfußklettern?

Ich denke nicht, dass man das modifizieren muss. Der Körper ist wegen der Anreise zwar eventuell müder, aber die Anforderungen an das Kletterkönnen bleiben gleich. Sonst müssten ja auch Touren, die einen extrem langen und anstrengenden Anstieg haben, anders bewertet werden.

Wie viele Auto-Kilometer hast du im vergangenen Jahr durchs Ecopointen eingespart?  

Mindestens 19 000 Kilometer für Felsausfahrten und Kletterurlaube in Frankreich, England, Schweiz, Spanien und im Frankenjura – gerechnet von Mai 2023 bis Ende April 2024.

Sofie, hat sich durch Ecopoint nicht nur dein Kletterleben, sondern dein ganzes Leben verändert?

In meinem Leben hat sich dadurch definitiv viel verändert: Nämlich meine Sichtweise auf Dinge. Ecopointen ist für mich als eigentlich ungeduldigen und ambitionierten Menschen nicht immer einfach. Aber die Überzeugung, dass wir etwas tun müssen, hat mich dahin gebracht. Inzwischen bin ich viel gelassener und entschleunigter. Und ich höre stärker auf meinen eigenen Körper, bin viel aufmerksamer geworden, was er mir sagt.

Weitere Informationen zum Ecopointen bekommt ihr unter folgendem Link: ecopoint-frankenjura.de

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Video-Link: https://youtu.be/4kM8Tsc8818?si=QLuSi3HBy5xNt1kA