Vier Tage Targasonne – Pirmin Bertle

Ich denke an: Bouldern. Bouldern, so wie es einmal war. Bouldern, so wie ich es eigentlich niemals richtig praktiziert habe. Und dann eben doch. Mit einem Kind seit drei Jahren und dann noch einem, letztes Jahr. Ich denke zum Beispiel an El Cogul und Siurana 2013. Kleine Blöcke Kalksandstein und kleine Wände Kalk. Irgendwie alles ein bisschen schmierig, irgendwie alles ein bisschen schwierig. Ich denke an ein oder zwei 8A in drei Wochen. Ich denke: Irgendwie nicht so der Knüller, meine Boulderform.

Pirmin Bertle Targasonne Bouldern Foto P.B 1Dann höre ich auf daran zu denken, wie Bouldern einmal war, und lasse den Blick schweifen über das Tal zu meinen Füßen. Targasonne. Pyrenäen. Sonne, Wind, zehn Grad. Mein erster Klettertag, meine dritte 8A oder 8A+. Es ist zu schön um darüber nachzudenken, wie das jetzt so kommen konnte. Liegt es an den knapp zehn Kilo weniger? Am mehr Bouldern statt Seilklettern? An den Regenerierungsdrinks? Vielleicht. Wer weiß. Wen kümmert’s. Ich rolle einen Joint. Ich sehe einen Geier.

Ich gehe heim. Auf einen Campingplatz. Mein erster längerer Aufenthalt auf einem Campingplatz nach 15 Jahren Biwakieren. Es fühlt sich fast ein bisschen zu zivilisiert an, im Vergleich zu früher und im Vergleich zur Jurte. Fünf Kinder zwischen null und vier, drei davon meine Neffen, rennen, kriechen oder liegen zwischen Zelt und Bus herum. Sieht man von den noch unbewerteten Linien in meinem Heimgebiet aus diesem Winter ab, ist heute der mit Abstand „erfolgreichste“ Bouldertag in meinem Leben, aber ich habe kaum Zeit davon zu erzählen, noch daran zu denken. Kinder verpflichten. Und schauen sicherlich auf keine Grade.

Die Sonne scheint. Die ganze Woche. Wir spielen, kochen, essen. Trinken Kaffee. Ich versuche Jeanne zum Prüfungslernen zu entlasten. Es bleibt windig, das Zelt fliegt weg. Wir stellen es wieder auf. Alle zwei Tage springen gegen Abend drei Stunden Bouldern raus. Nach dem dritten Klettertag bin ich bei drei 8A, einer 8A/8A+, zwei 8A+. Eine andere 8A+ habe ich fast. In zwei 8B gehen nach einer kurzen Session die Einzelzüge. Es bleibt ein Tag.

Ich kann nicht sagen, ob das hier jetzt leicht bewertet ist. Ich habe keine Referenz. Seit meiner sechsmonatigen Verletzung bis Mitte 2014 war ich nirgends anders Bouldern, als an meinen Heimatfelsen am Cousimbert: Sandstein, dort, leicht überhängend, kleine Leisten. Keine Mantels. Klettern bei Minusgraden, nur nach mehreren Ruhetagen, immer mit perfekter Vorbereitung. Monate in den gleichen Projekten. Gnadenlose Optimierung.

Wie soll man das mit einem entspannten Kurzurlaub an granitenen Ostereiern vergleichen?

Besser gar nicht.

Das Ende der Woche naht. Wir essen Fischsuppe und werden krank, der Pirmin Bertle Targasonne Bouldern Foto P.B 2letzte Klettertag beginnt sehr träge. In der Creatura (8B) gehen die Züge plötzlich nicht mehr. Der Wind ist weg, mit ihm die Spannung. Ich will nach Hause fahren und dann bleibe ich doch noch. Der Abend schafft die Kühle aus dem All heran und ich falle nach dem letzten schweren Zug, mein Fuß ist weggerutscht. Mein Gott, so dumm bin ich in der Regel nicht! Die Zeit wird knapp, die Hoffnung wankt und droht mir drauf zu fallen. Ich werde fast ein bisschen wütend auf mich selbst nach einer Woche durch die 8As flanieren.

Ich denke an einen Freund, der zu sagen pflegte: „Es klettert sich am besten mit einer Portion Wut im Bauch.“ Ich halte nichts davon.

Letzter Versuch des Tages, ich sitze auf der Matte und denke Worte wie verschenkt oder vermasselt. Dann steige ich den Boulder durch. Mein Jubelschrei klingt mehr nach Erleichterung, denn als nach Freude.

Vielleicht klettert es nicht schlecht mit Wut im Bauch. Aber es freut sich nicht so gut.

Wir setzen uns ins Auto und fahren heim. Ich denke an Bouldern, wie es einmal war und wie es wohl geworden ist: Ein Level höher. Aber wen kümmert’s? Die Kinder wollen eine Flasche und ich blicke ein letztes Mal in dieses wunderbare Tal zu meinen Füßen.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
Video-Link: https://vimeo.com/124817199