Die tiefste Highline der Welt im Salle des Treize – Lukas Irmler
Wie ein riesiges Kirchenschiff streckt sich der Salle des Treize in die Länge – rund 500 Meter unter der Erde. Zapfen aus Kalkstein wachsen von der Decke, bis zu zehn Meter hohe Stalakmiten recken sich ihnen vom Boden entgegen. Wasser bedeckt den Untergrund und spiegelt Lukas Irmler, der auf einer 85 Meter langen Highline 30 Meter über dem Boden balanciert – langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, die Hände weit von sich gestreckt. Nach zehn Versuchen ist es geschafft: Der 28-jährige Freisinger hat in der weltberühmten Höhle Gouffre Berger nahe Grenoble den Tiefenrekord für eine Highline aufgestellt.
Ein ungewöhnliches Projekt:
Normalerweise werden Highlines zwischen zwei Felswänden oder Zinnen gespannt – mehrere hundert Meter über dem Boden – nicht unterhalb.
Ich wollte einfach mal etwas ganz anderes ausprobieren. Die Gouffre Berger eignet sich dazu perfekt, weil sie einfach eine wahnsinnig geschichtsträchtige Höhle ist und der Salle des Treize einen gigantischen Ort für eine Line darstellt. So etwas findet man nicht oft auf der Welt!
meint Lukas
Das Deepline-Projekt stellte ganz neue Anforderungen an die Athleten. Die Slackline war aufgrund der Feuchtigkeit komplett mit Wasser vollgesogen und sehr rutschig, die Sicht war nicht berauschend und das Terrain war mehr als fordernd: Der Ab- und Aufstieg, den das 15-köpfige Team jedes Mal bewältigen musste, dauerte bis zu neun Stunden.
In Anlehnung an die ersten Höhlenforscher rund um Fernand Petzl, der hier in der Gouffre Berger vor 60 Jahren als erster Höhlenforscher überhaupt in eine Tiefe von mehr als 1000 Metern vordrang, hat die Line auch den Namen ‚Crise de la Soixintine‘ (wörtlich ‚die Krise der Sechziger‘) bekommen. Der Petzl-Gründer erkundete dabei nicht nur die Höhle, sondern testete auch eigene Abseil- und Aufstiegsgeräte. Insgesamt ist das Höhlensystem bis zu 1271 Meter tief und 31 Kilometer lang.
Interview mit Lukas Irmler
Wie kamst du auf die Idee, in der Gouffre Berger einen Tiefenrekord aufstellen zu wollen?
Es ist irgendwie paradox, so ein Tiefenrekord beim Highlinen: Normalerweise laufen wir immer auf Berge und versuchen so hoch wie möglich die Slackline zu spannen. Ich wollte da einfach mal etwas ganz anderes ausprobieren. Die Gouffre Berger ist perfekt, weil es einfach eine wahnsinnig geschichtsträchtige Höhle ist und der Salle de la Treize („Saal der Dreizehn“) einen gigantischen Ort für eine Line darstellt. So etwas findet man nicht oft auf der Welt!
Wie war es für dich als Highliner in die Tiefe zu gehen?
Eintauchen in eine neue Welt. Verrückt und aufregend zugleich. Man muss wahnsinnig vorsichtig sein in so einer Höhle, da eine kleine Verletzung einen bereits daran hindern kann, die Höhle aus eigener Kraft wieder verlassen zu können. Auch die Feuchtigkeit und besonders das sehr unberechenbare Wetter waren sehr herausfordernd: Wenn es viel regnet, kann man in der Höhle eingeschlossen werden. Das kann mehrere Tage dauern und sehr gefährlich werden. Eine Highline in einer Höhle zu machen, bedeutet, dass man sich mit einem ganz neuen Terrain vertraut machen muss und besonders die Dunkelheit (selbst mit der großen Anzahl der Beleuchtungselemente, die wir mitgebracht hatten) hat das laufen auf der Line sehr sehr schwierig gemacht.
Aber auf der Highline war dann alles wie immer?
Die Line war aufgrund der Feuchtigkeit komplett mit Wasser vollgesogen. Daher bedeutend schwerer und sehr rutschig. Das und die schlechte Sicht haben es mir sehr schwer gemacht, die Line ohne Sturz zu Laufen. Hinzu kommt, dass man dort unten sehr sehr wenig Zeit hat, die Line zu versuchen Alles in allem hatte ich nur wenige Versuche, was den Druck natürlich stark erhöht hat.
Wie oft warst du insgesamt unten, bis es schließlich geklappt hat?
Insgesamt waren mehr als 15 Leute an dem Projekt beteiligt, wobei wir in wechselnder Mannschaft unterwegs waren und in verschiedenen Teams gearbeitet haben. Wir haben uns für die Materialtransporte in zwei Gruppen aufgeteilt – so hatte immer ein Team Ruhetag. Den Kern der Gruppe bildeten die französischen Slackliner vom Team Sangle Dessus Dessous und ich. Dazu kamen ein paar erfahrene Caver, weitere Slackliner/Helfer und mein Kameramann und Fotograf Valentin Rapp.
Wie groß war das Team? Aus welchen Leuten bestand es?
Ich persönlich war letztendlich nur zwei Mal unten in der Höhle, das zweite Mal aber auch beinahe 22 Stunden am Stück.
Was war der wichtigste Ausrüstungsgegenstand, den du dabei hattest?
(lacht): Sicherlich die Stirnlampe: Ohne die Lampen siehst du da unten rein gar nichts, alles ist schwarz – ohne Lichter wäre man hoffnungslos verloren. Daher hatte jeder mindestens zwei Stirnlampen dabei und zusätzliche Akkus sowie akkubetriebene Strahler, um den Salle de la Treize für die Line auszuleuchten.
Wie viele Versuche hast du gebraucht, bis du die Highline am Stück gehen konntest?
Ich konnte zu Beginn keine zehn Schritte am Stück laufen und stürzte öfters. Erst ab dem ca. zehnten Versuch konnte ich mich langsam auf die Line einstellen. Nach einer kurzen Pause, in der es die anderen Slackliner versucht hattenen (leider ohne die Line durchzulaufen), habe ich es dann bei meinem letzten Versuch geschafft! Das war grandios, ich hatte zu dem Zeitpunkt eigentlich schon akzeptiert, dass eine vollständige Begehung wohl nicht mehr klappen würde. Manchmal muss man seine Erwartungshaltung ablegen!
Klär uns auf: Wie lange braucht man für so eine 85 Meter lange Highline?
Bei 85 Metern geht das relativ schnell, wenn man einen guten Lauf hat. Ich habe wohl um die 10 Minuten gebraucht.
Ihr habt die Linie „Crise de la Soixintine“ getauft. Warum und was bedeutet das?
Das bedeutet wörtlich übersetzt „Die Krise der Sechziger“ und hängt mit dem Tiefenrekord von Fernand Petzl zusammen, der vor 60 Jahren als Erster in eine Tiefe von mehr als 1000 Meter vordrang.
Stichwort Petzl: Die Gouffre Berger gehört zu Petzl wie keine andere Höhle, immerhin hat Fernand Petzl dort seine Produkte erprobt. Wie fühlt man sich als Petzl-Athlet, wenn man dorthin zurückkehrt, wo im Grunde alles begann?
Das war schon ein Gänsehaut-Moment, besonders, wenn man sich vorstellt mit was für geringer Ausstattung Fernand und sein Team diese Höhle erforschten. Heute ist das vergleichsweise einfach geworden: Mit all dem spezialisierten Equipment kann sogar ein Laie wie ich in eine solch enorme Tiefe absteigen –das ist unglaublich!
Möchtest du irgendwann wiederkommen und deinen Rekord brechen? Immerhin ist die Höhle ja noch ein gutes Stück tiefer.
Es würde mich schon reizen, weitere Höhlenabenteuer zu erleben! Es gibt ja auch noch viele andere spannende Höhlen auf der Welt. Wichtig für mich ist gar nicht so sehr der Rekord oder die Tiefe – entscheidend ist die Schönheit des Platzes – und das Abenteuer. Also ja, vielleicht versuchen wir nochmal etwas Tieferes – in der Gouffre Berger oder woanders.
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=Fq5DyFhBz00