Notfall am Berg: Richtig Handeln im alpinen Notfall
Ein sonniger Tag, kompakter Fels und nur noch wenige Seillängen bis zum Gipfel. Alles läuft wie geplant. Doch binnen Sekunden kippt die Situation: Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit, ein falscher Schritt oder ein unglücklicher Zufall führen zu einem schwerwiegenden Unfall der Seilschaft. Kleine Fehler werden im Gebirge selten verziehen. Deswegen ist fundiertes Erste-Hilfe-Wissen von zentraler Bedeutung eines jeden Bergsteigers.
In diesem Artikel geben wir dir die theoretischen Grundlagen lebensrettender Sofortmaßnahmen mit auf den Weg. Dabei befassen wir uns mit einem Notfallalgorithmus, der Ersthelfern als Handlungsleitfaden dient. Dazu gehören vertiefendes Erste-Hilfe-Wissen, sowie die behelfsmäßige Bergrettung in der Wand.
Anzumerken ist, dass Erste Hilfe bereits in der Vorbereitungsphase anfängt. Erste-Hilfe-Set, Biwaksack, Mobiltelefon, Helm und Notfallkarte gehören in jeden Kletterrucksack. Nur so hat der Helfende die passenden Mittel den Verletzten zu versorgen.
Alpine Notsituation – Richtig handeln
Anders als in Gebieten mit gut ausgebauten Infrastrukturen, erschweren ortsspezifische Faktoren eine Rettung im alpinen Gelände. Unzugänglichkeit der Unfallstelle, weiter Zustieg der Rettungskräfte, kein Empfang oder wetterspezifische Faktoren können eine schnelle Rettung verzögern.
Der Ersthelfer spielt folglich eine lebenswichtige Rolle für die verunfallte Person. Im Notfall muss er als erste Person Hilfe leisten und die Handgriffe der Ersten Hilfe beherrschen.
Folgender Notfallalgorithmus verdeutlicht wichtige Handlungsanweisungen für den Ersthelfer.
Sicherheit
Durchatmen / Überblick verschaffen
Bevor der Helfende aktiv handelt, tritt er psychisch wie physisch einen Schritt zurück und atmet tief durch. Nur in einem einigermaßen ruhigen geistigen Zustand können gute Entscheidungen getroffen werden. Der Ersthelfer verschafft sich einen Überblick über die Gesamtsituation. So kann er objektive Gefahren erkennen, den Unfall einschätzen und sich die nächsten Schritte überlegen.
Selbstschutz
Der eigene Schutz geht vor! Beim Alpinklettern befindet sich die Seilschaft oft im Absturzgelände und ist von Stein- oder Eisschlag sowie anderen objektiven Gefahren bedroht. Bevor der verletzten Personen geholfen wird, muss die eigene Sicherheit gewährt sein! Im schlimmsten Fall, wenn die Gefahr selber zu helfen zu groß ist, sollte ein Notruf abgesetzt und auf professionelle Rettung gewartet werden.
Gruppenschutz
Sind mehrere Personen am Unfallort, muss die Sicherheit der Gruppe gewährleistet sein (v.a. bei einer geführten Tour). Erst danach können Ersthelfer zur verunfallten Person und dieser helfen.
Gefahrenstelle absichern
Zum Eigen- und Fremdschutz wird die Gefahrenstelle abgesichert: Ein Unfallort kann beispielsweise abgesperrt oder sichtlich markiert werden. Während die Absicherung der Unfallstelle in der Kletterwand oft nicht möglich oder nicht notwendig ist, kann es beim Unfall während des Zu- oder Abstieges notwendig sein, um weiteren Schaden zu vermeiden.
Rettung aus Gefahrenbereich
Befindet sich die verunfallte Person an einem absturzgefährdeten Ort? Besteht Stein- oder Eisschlaggefahr? Sobald die Unfallstelle von objektiven Gefahren bedroht ist, sollte die Person aus dem Gefahrenbereich geholt und über kurze Distanz an einen sicheren Ort gebracht werden – sofern dies für die Helfer zumutbar ist und ihre eigene Sicherheit nicht gefährdet. Im Absturzgelände muss der Ersthelfer sich selbst sowie die verletzte Person vor weiterem Abrutschen oder Absturz sichern. Ist dies nicht möglich, bleibt dem Helfer das Absetzen des Notrufs und das Warten auf die professionelle Rettung.
Stark blutende Wunde?
Ist eine stark blutende Wunde sichtbar, muss sie unmittelbar mit einem Druckverband versorgt werden. Dies geschieht noch bevor die verunfallte Person angesprochen wird und unabhängig davon, ob sie bei Bewusstsein ist oder nicht. Stark blutende Wunden sind lebensbedrohlich und müssen sofort gestillt werden. Hierfür ist der Druckverband die beste Methode.
Bewusstsein prüfen
Der Ersthelfer kniet sich zur verletzten Person hin und spricht diese an. Reagiert die Person nicht auf Ansprache, schüttelt der Ersthelfer sie vorsichtig und spricht sie noch einmal laut an. Jede Störung des Bewusstseins bedeutet akute Lebensgefahr. Hier haben lebensrettende Sofortmaßnahmen immer Priorität!
Hilfe holen
Während in einigen Bergregionen noch auf über 4000 Metern Höhe guter Handyempfang herrscht, kann in anderen, abgeschiedenen Bergregionen ein Notruf per Handy nicht möglich sein. Hier kommt das alpine Notsignal als Kommunikationsmittel zum Einsatz. Gleichzeitig kann das Notsignal für die Bergrettung bei Ortungsschwierigkeiten behilflich sein.
Kommt die Rettung per Luft, gibt es nützliche Hinweise, welche die Zusammenarbeit mit dem Hubschrauber erleichtert.
Notruf
Der Notruf wird als erstes per Mobiltelefon abgesetzt. Wer im alpinen Gelände unterwegs ist, muss im Falle eines Notfalls Erste Hilfe leisten können. Wichtig ist, Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln. Abhängig von der Schwere der Notfallsituation muss umgehend ein Notruf abgesetzt werden: Die richtige Notrufnummer zu kennen, ist für jeden Bergsteiger unerlässlich.
Ist kein ausreichender Handyempfang am Unfallort gegeben, so galt früher: Handy ausschalten, dieses wieder einschalten (ohne dabei den PIN einzugeben) und anstelle dessen die 112 für den Euro-Notruf eingeben. Das Handy kann nun ein ausreichendes Signal eines anderen Netzanbieters orten.
Heute verfügen alle Smartphones über eine „Notruf-Funktion“, welche ohne Entsperrung zugänglich ist – und auch ohne Roaming-Netz angezeigt wird. Ist auch über die Notruffunktion kein Empfang bzw. Hilferuf möglich, hilft nur ein Standortwechsel.
Alpines Notsignal
Ist absolut kein Notruf per Telefon möglich, dient das alpine Notsignal zur Signalisierung der Bergnot. Der Notruf wird per Lichtsignal, Rufzeichen oder Winken abgesetzt und gilt im ganzen Alpenraum.
Abfolge:
- 6 Zeichen mit 10 Sekunden Abstand / 1 Minute Pause / 6 Zeichen mit 10 Sekunden Abstand / Usw.
Das Zeichen kann ein sichtbares (Stirnlampe, Spiegel, Winken mit Jacke o.a.) oder ein akustisches Signal (Pfeife, Rufe) sein. Der Ablauf wird so lange wiederholt bis eine Antwort kommt.
Die Antwort erfolgt in der Regel durch folgenden Ablauf:
- 3 Zeichen in einer Minute / 1 Minute Pause / 3 Zeichen in einer Minute
Die Zeichen zwischen Notsignal und Antwort müssen nicht identisch sein. Das alpine Notsignal sollte auch nach Erhalt von Antwort weiter signalisiert werden, damit die Rettung die Unfallstelle finden kann.
Luftrettung
Der Notruf ist abgesetzt und die Luftrettung ist alarmiert. Die Luftretter sind zwar Profis, dennoch kann der Ersthelfer ihnen im Anflug die Arbeit erleichtern und gleichzeitig sich und seinen Partner vor Gefahren schützen.
- Der Helikopter nähert sich der Unfallstelle. Dem Piloten sollte per Zeichen angezeigt werden, dass Hilfe benötigt wird: Mit beiden Armen in die Luft ausgestreckt signalisieren „JA – HILFE“.
- Kurz vor der Landung macht der Helikopter häufig einen Sichtungsflug, dreht ab und kommt wieder. Der Ersthelfer sollte bei Abflug nicht panisch werden. Ist der Helikopter schließlich im Landeanflug befinden sich Ersthelfer und verletzte Person an einem sicheren Platz und verharren in Kauerstellung bis der Heli gelandet ist.
- Durch die von den Rotoren verursachten Winde entsteht ein sogenannter Down Wash, der lose Gegenstände aufwirbeln kann. Das Material sollte sicher verstaut sein, sodass nichts herumfliegen kann.
- Der Helikopter ist gelandet. Entweder kommt die Besatzung zum Helfer und der verletzten Person – oder gibt ein Zeichen, dass diese sich dem Hubschrauber nähern können.