Mit Leichtigkeit zum Sieg?

Alex Megos Kletterweltmeisterschaft 2019 Foto: Suguru Saito / Red Bull Content Pool

Fight Gravity! Nicht nur Kurt Albert ist aufgefallen, dass wir es beim Kampf gegen die Schwerkraft mit einem ganz zentralen Punkt des Klettersports zu tun haben, und zwar in der Konsequenz mit einem alarmierend roten: REDs.

Ein REDsSyndrom (Relative Energy Deficiency in Sport – Syndrom) liegt vor, wenn Athlet*innen ihre Körper über einen längeren Zeitraum mit weniger Energie versorgen, als sie im Training verbrauchen.
Sie geraten so in ein energetisches Versorgungsdefizit und verlieren an Körpermasse.
Auf diese Weise weniger Gewicht auf die Wage zu bringen, kann eventuell zu kurzfristigem sportlichem Erfolg verhelfen, hat allerdings langfristig gravierende gesundheitliche Folgen.
Je nach Intensität und Dauer der Unterversorgung können diese auch unwiderruflich sein.
Sämtliche Funktionen des Körpers und der Psyche können davon betroffen sein (Abb.)

Das REDs-Syndrom ist seit einigen Monaten weit über die Kletterszene hinaus medienpräsenter denn je. (Links zur Recherche und relevanten Interviews findet ihr am Ende des Artikels)

Auch wenn die tatsächliche Häufung von REDs-Fällen je nach Sportart variiert – die Schätzungen liegen laut dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zwischen 15 und 80 Prozent der Spitzensportler*innen – liegt beim Klettern die riskante Schlussfolgerung besonders nahe, man könne seine Leistung schlicht durch Gewichtsreduktion steigern.

Vor gar nicht allzu langer Zeit wurden noch Debatten darüber geführt, ob es für den Klettersport überhaupt der richtige Weg sei, olympische Disziplin zu werden.

Die Haltung der meisten Kletternden, sich spielerisch miteinander messen zu wollen und gemeinsam die Grenzen des Machbaren auszuloten, ist bei Wettkämpfen dieser Dimension und Sichtbarkeit kaum beizubehalten.

2021 hatte dann der Klettersport seinen ersten, weltweit sichtbaren Auftritt bei den Olympischen Spielen in Tokio. TV-Rechte an der Übertragung von Kletterwettkämpfen zu erwerben ist nun auch für die großen Player der Medienbranche attraktiv, Werbeflächen gehen nicht mehr nur an kletterspezifische Nischenprodukte, unbeteiligte Dritte können Geld verdienen.

Die Athlet*innen stehen dabei unter einem immer größer werdenden Leistungsdruck: Ein möglichst perfektes Bild abzugeben, zu performen, zu repräsentieren, zu gewinnen.
Und dies nicht nur im eigenen Interesse, sondern im Interesse des mit Olympia verbundenen Medienrummels, der nationalen und internationalen Verbände die sie repräsentieren und leider in einigen Fällen eben auch um den Preis der eigenen Gesundheit.

Ein früher gerne vorgetragenes Argument für die Bewerbung des Klettern als olympische Disziplin war, die neue und größere Sichtbarkeit und die dadurch entstehenden finanziellen Möglichkeiten, für die Förderung des Klettersports nutzen zu können.

Warum jetzt also nicht in den Schutz der Athlet*innen investieren?

Darüber, dass es sich beim REDs-Syndrom um eine ernstzunehmende gesundheitliche Gefahr handelt, ist man sich einig. Wenig Einigkeit besteht bei der Frage, wer für den Schutz Athleten*innen vor REDs und sportinduzierten Essstörungen eigentlich verantwortlich sein soll.

Anfang Juli diesen Jahres waren Dr. Volker Schöffl und Dr. Eugen Burtscher von ihren ehrenamtlichen Posten in der Medical Commission der International Federation of Sport Climbing (IFSC) zurückgetreten.
Grund dafür war unter anderem ihre Protesthaltung gegenüber einem zu zögerlichen Vorgehen der IFSC in Sachen REDs-Prävention. Außerdem die Tatsache, dass bisher nicht konsequent verbindliche Richtlinien umgesetzt wurden, obwohl eine Verschärfung der REDs-Problematik offensichtlich war.

Meinungen darüber, wo die Verantwortung zu suchen sei, kursieren viele in der Szene. Angefangen davon, dass erwachsene Athlet*innen in der Lage sein müssten, die Risiken einer Karriere im Leistungssport abschätzen zu können und die Verantwortung für ihr Handeln selbst zu tragen, bis hin zu der Ansicht, dass diejenigen in den nationalen oder internationalen Verbänden, also genau diejenigen, die in der Position sind, die Spielregeln des Leistungssports anzupassen, das zum Schutze der Athlet*innen auch endlich tun sollten.

Das Dilemma der Suche nach den Verantwortlichen kann auch als Frage formuliert werden: Lässt man Medienrummel, Werbegelder und Leistungsdruck die Spielregeln bestimmen, oder besinnt man sich darauf zurück, dass man vor nicht allzu langer Zeit noch damit argumentierte, dass es doch großartig sei, wenn ein so Ethik-, Moral- und Verantwortungsbewusster Sport wie das Klettern als Olympionike zum großen Vorbild werden könne?

Während die Einen sich längst allgemein verpflichtende Body Mass Index(BMI)-Kontrollen wünschen, um die gesundheitliche Bedrohung schnellstmöglich irgendwie eindämmen zu können, hält die Anderen die Sorge um mögliche ungerechtfertigte Wettkampfausschlüsse und eventuelle juristische Konsequenzen zurück.

Jenseits aller Diskussion um Verantwortung, Zuständigkeit und Befugnissen, stellt sich auch ganz konkret die Frage nach einer praktikablen Umsetzung einer guten Gesundheitsüberwachung im Leistungssport.

2014 tauchte REDs erstmals in einer Konsenserklärung des IOC als eigenständiger Begriff auf.
Die IFSC-Kommission für Medizin und Dopingbekämpfung sammelt seit etwa 10 Jahren Daten zum BMI, um eine wissenschaftliche/medizinische Lösung zur Erkennung und Reduzierung der Häufigkeit von REDs auszuarbeiten.

Wie eine solche Lösung beispielsweise aussehen könnte, hat Dr. Volker Schöffl wiederholt in mehreren Interviews beschrieben.
Am Ende der Prozedur steht, wie auch in der aktuellen Konsenserklärung des IOC, eine Art Ampelsystem (Abb.), anhand dessen eine Entscheidung über Teilnahme an Wettkämpfen, den Beobachtungsbedarf oder die Disqualifikation von Athlet*innen getroffen werden kann.

Die besagte Konsenserklärung des IOC, erschien am 26. September 2023 auf der Website des British Journal of Sports Medicine.
Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein Regelwerk, das sozusagen Top-Down klare Handlungsanweisungen ausspricht, sondern um Handlungsempfehlungen (Abb.) von medizinischen Expert*innen zur Überwachung und Prävention des REDs-Syndroms.

Diese Handlungsempfehlung spricht sich im ersten Schritt für die Verwendung von Fragebögen zur Gesundheit und Performance der Athlet*innen, gefolgt von objektiven Befunden wie z.B. BMI-Messungen und Sportmedizinischen Untersuchungen durch qualifizierte Ärzt*innen aus.

Zur Teilnahme an Wettbewerben vorausgesetzte Untersuchungen sollten auch in Ländern, die ein weniger umfassendes, medizinisches System haben leicht umsetzbar sein.
Sie sollten möglichst objektiv und unabhängig erfolgen. Dies vermeidet, dass besonders „prominente“ Athlet*innen per einfachem Durchwinken nominiert werden können.
Sie sollen möglichst treffsicher sein, möglichst viele Athlet*innen identifizieren, die gefährdet oder erkrankt sind, idealerweise ohne sehr schlanke, aber dennoch gesunde Athlet*innen fälschlicherweise zu disqualifizieren.
Weder die Messung des BMI, noch das Ausfüllen medizinischer Fragebögen alleine können das in Perfektion leisten.

Die neue Konsenserklärung des IOC schlägt ein Step by Step-Konzept zur Umsetzung vor: Beginnend mit Fragebögen als erste Kontrollinstanz, um bei Auffälligkeiten mit objektiven Untersuchungen (BMI, etc.) und sportmedizinischer Untersuchung ergänzt zu werden.
Das setzt ein wahrheitsgetreues Ausfüllen der Fragebögen durch die Athlet*innen voraus und ist deshalb natürlich fehleranfällig.

Demgegenüber steht die Meinung einiger Expert*innen, sowie einiger Athlet*innen und Trainer*innen, man solle mit objektiven und leicht zu erhebenden physiologischen Parametern wie dem BMI beginnen, da diese nicht fälschungsanfällig sind. 

Am 23. September veröffentlicht Lacrux ein Interview mit IFSC-Präsident Marco Scolaris in dem dieser aktualisierte Richtlinien bis spätestens Mitte Oktober ankündigt.
Er weist darauf hin, dass man noch auf die endgültigen REDs-Richtlinien des IOC warte, da diese derzeit überarbeitet würden und man die IFSC-Richtlinien in Übereinstimmung mit den IOC-Richtlinien bringen wolle, auch im Hinblick auf eventuelle juristische Auswirkungen.  

Inwieweit sich die IFSC auf die Konsenserklärung des IOC mit eigenen Richtlinien reagieren wird, bleibt auch Ende Oktober weiterhin unklar. 

Es ist also an der Zeit, dass alle Beteiligten, für die angeblich die Gesundheit der Athlet*innen an erster Stelle steht, verantwortungsvoll handeln, anstatt die Übernahme von Verantwortung auf alle anderen als sich selbst abzuschieben.


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