Hungern für den Erfolg
Essstörungen sind häufig ein Tabuthema – diese Thematik existiert auch hinter den Kulissen des Leistungssports nicht erst seit gestern. Die Aspekte Gewicht und Abnehmen gehören zum Alltag vieler Athletinnen und Athleten.
Doch spätestens seit dem Rücktritt von Dr. Volker Schöffl und Dr. Eugen Burtscher von der Medical Commission der IFSC Anfang Juli diesen Jahres, und vor allem seit deren Statement bezüglich des Nicht-Handelns der IFSC in Sachen RED-S-Prävention, rückte das Thema so richtig in die längst nötige öffentliche Aufmerksamkeit.
Dass der Klettersport mehr davon betroffen ist, als manch andere Sportarten, zeigte bereits im Frühjahr 2021 die Dokumentation von Caroline Treadway. In dieser sprachen unter anderem Angie Payne, Emily Harrington und Kai Lightner sehr offen darüber, was der permanente Nahrungsentzug für sie bedeutete.
Athletinnen wie Janja Garnbret oder auch IFSC Athleten Commissions Mitglied Stasa Gejo fordern schon länger von der IFSC, zum Schutz der Athlet*innen härtere Richtlinien einzuführen.
Der österreichische Kletterverband greift hier bereits deutlich härter durch. Ein Beispiel für eine solche Regelung findet sich unter Punkt 3 im Regelwerk des österreichischen Verbandes, dass ein sofortiges Startverbot Athlet*innen, die bei einer Messung unterhalb der vorgeschriebenen Werte liegen, vorsieht.
Diejenigen, die im Grenzbereich liegen, müssen sich vor der Anmeldung zu einem internationalen Wettkampf einer medizinischen Untersuchung unterziehen.
Der Verband kann jederzeit eine BMI-Kontrolle anordnen, und es ist wahrscheinlicher, dass solche Athleten während der Saison mehrfach kontrolliert werden.
Wurde wegen Unterschreitung des geforderten Wertes eine Sperre verhängt, kann diese nur durch eine weitere Überprüfung, bei der die Überschreitung des geforderten BMI-Wertes festgestellt wird, aufgehoben werden. Diese darf frühestens zehn Tage nach der letzten Überprüfung durchgeführt werden. Die betroffenen Athlet*innen sowie deren Vertrauensarzt werden zudem vom KVÖ-Verbandsarzt schriftlich darüber informiert. Bei minderjährigen Athlet*innen werden zudem die Erziehungsberechtigten über das Messergebnis schriftlich benachrichtigt.
Es ist also nicht erst seit kurzem bekannt, dass im Klettersport Essstörungen ein großes und gefährliches Thema sind. Warum aber tut sich die IFSC so schwer, zum Schutz der Athleten*innen striktere BMI Regeln einzuführen?
Die Antwort darauf bleibt für’s Erste eine Hypothese, denn die inhaltlich zwar bisweilen umfangreichen Antworten auf diese Frage lassen sich nach wie vor auf die eher ausweichende Aussage „Wir arbeiten daran“ herrunterbrechen. Einen RED-S-Score und daraus resultierende Sanktionen werden von IFSC-Präsident Marco Scolaris für Ende September, Anfang Oktober diesen Jahres in Aussicht gestellt.
Auf nationaler Ebene liegt uns von Seiten des DAV die Aussage vor, der DAV habe klare Regeln, die er in spezifischen Konzepten festgeschrieben habe. Nur eben nicht im Wettkampfregelwerk. Er beobachte Entwicklungen, reagiere mit gegebenenfalls notwendigen Anpassungen und versuche alle Parteien in seinem System mitzunehmen.
Von einem offiziellen, öffentlichen Dokument hierzu, ähnlich dem des, beim österreichische Kletterverband vorliegenden ist uns nichts bekannt.
Das Problem: Auch offiziell noch so gründlich verschriftlichte Regelwerke liefern Spielraum für Schlupflöcher. Wie viel Raum für Hintertür-Argumentationen, die es ermöglichen, Athlet*innen mit Medaillenchancen trotz offensichtlich vorliegender Gesundheitsrisiken in Wettkämpfe zu schicken, machen da ungeschriebene Gesetze erst möglich?
Bekannte Leistungssportler*innen brechen das Schweigen
Neben Mina Markovic, Angie Payne oder auch Hanna Schubert sprechen immer mehr Leistungssportler*innen über Essstörungsprobleme. Dass dies nicht nur ein kletterspezifisches Problem ist, zeigt darüber hinaus die Sportschau Doku > Hungern für Gold < in der Kunstturnerin Kim Bui und die ehemalige Biathletin Miriam Neureuther versuchen, die Mauer des Schweigens aufzubrechen.
Denn sie haben selbst erlebt, wie andauernder Druck die Leistungsfähigkeit zu steigern und einer ästhetischen Norm entsprechen zu müssen, ihr Essverhalten beeinflusste und verändert hat. Miriam Neureuther verlor für ihren Sport viel Gewicht, Kim Bui geriet in den Teufelskreis der Bulimie.
Dass Essstörungen nicht nur bei Weltcup-Athletinnen und -Athleten, sondern auch im Amateursport ein großes und zu oft übersehenes Problem sind, ist den Sportverbänden aller Sportarten schon länger bekannt. Und auch, dass Nachwuchsathlet*innen damit in Berührung kommen, ist kein Geheimnis. All diese Punkte machen es noch schwerer nachvollziehbar, dass Verbände wie DAV, DOSB und auch die IFSC kein klares, offizielles! Regelwerk zum Schutz der Athleten und Athletinnen einführen.
Die kompletter Doku Hunger für Gold könnt ihr unter folgenden Link in der ARD Mediathek anschauen