Fair Head – Das Fontainebleau für Tradkletterer [Destination Report]
Fair Head ist für Tradkletterer auf den Britischen Inseln so etwas wie Fontainebleau für Boulderer auf dem „Festland“ (so nennen die Briten das Europa jenseits des Ärmelkanals). Jeder redet davon und fast jeder war schon einmal dort oder wäre gerne schon dort gewesen. Kurz vor dem Brexit nutzten wir die Chance einer Einladung von DMM zum „Fair Head Trad Kletter Festival“− man kann ja nie wissen! Mit von der Partie waren außer den Autoren noch Peter Würth, Alex Luger und Ray Demsky.
„Warst du schon mal in Fair Head?“
Stellt man diese Frage in Großbritannien leuchten die Augen und jeder war selbstverständlich schon einmal dort oder er würde ‚really‘ mal gerne dort hin. Denn: Fair Head ist Irlands High-End Klettergebiet für Keilewerfer und Klemmgeräte Virtuosen oder solche die es werden wollen. (Anmerkung der Redaktion: Und ein aufstrebendes Boulderparadies). In Deutschland und Österreich erntet man eher ein „wo soll das sein?“ oder ein „da oben regnet es doch eh immer“.
Zugegeben: die Chance besteht, dass einem der Hut oder der Helm auf Grund von 8 Beaufort Wind beim Klettern an Nordirlands Küsten davon schwebt während man im regendurchtränktem Matsch das Gleichgewicht verliert, wenn man sich von oben an die steilen Klippen von Fair Head herantraut. Aber die Britischen Inseln können auch anders, wie zu unserem Ehrenbesuch. Blauer, wolkenfreier Himmel. Dann stehen einem die Augen in etwa so weit offen wie der Mund: so einen Felsriegel sieht man nicht alle Tage!
Fair Head liegt eingebettet in klischeehaft grüner irischer Landschaft an der Nordküste Nordirlands, dreieinhalb Autostunden nördlich von Dublin. Die Felswand ist fünf Kilometer lang und bis zu 100 Meter hoch und thront leicht erhöht über dem Meer. Alles, was nicht mehr zum Felsenkliff gehören wollte liegt als riesiges Boulder-Feld auf dem Hang unterhalb der Steilwand. In der Nähe kämpfen Motorboote und Segelschiffe mit der starken Strömung; verursacht durch die Gezeiten auf der schmalen Seestraße zwischen Fair Head und der benachbarten Rathlin Insel, Delfine tummeln sich in der See und die Sonne taucht nach wild romantischen Farbenspielen schließlich am Horizont in den endlosen Atlantik ab. Die Tage im Sommer sind unglaublich lang. Wenn sie dazu auch schön sind, scheint die Sonne nicht nur vom Himmel herab, sondern auch vom endlos ruhigen Meer gespiegelt herauf. Jede Form von Hitzestress oder Schweiß wird von einer sanften See Brise hinweggeweht.
Das alljährliche Fair Head Meet, zu dem DMM und Mountaineering Ireland geladen hatte findet immer im Juni auf Sean McBride’s Farm statt. Dave Ayton von den „Awesome Walls“ Kletterhallen und Damien O`Sullivan von Mountaineering Ireland waren für uns alles in einem: Locals, Guides, Motivationstrainer, Seilpartner, Freunde und Chauffeure! Abends gab es Vorträge und Filmvorführungen bei kühlem, schwarzen Guinness. Morgens ließ man sich von den Locals noch einmal die E-Schwierigkeitsskala erklären und ein paar Routen-Empfehlungen geben, warf sich ein Seil auf den Rücken und los gings zum Klettern.
One-Way Ticket
In Fair Head wird im Verdon Style mit einem Statikseil zum Fuße der Routen abgeseilt. Dort angekommen muss man aber nicht im Hängestand warten, sondern darf windgeschützt bequem am Wandfuß stehen. Viele Routen sind lange anhaltende 40 bis 60 Meter Touren und erfordern daher oft ein üppiges Sortiment an Klemmgeräten. Denn: Haken sucht man hier vergeblich! Nicht selten zogen ein doppelter Satz Dragon Cams und an die zwei Dutzend Klemmkeile und Exen an unseren Hüften! Die Routen werden auch oft in zwei bis drei Seillängen geklettert wobei die Zwischenstände selber gebaut werden müssen. Aber Vorsicht: wer die Route nach oben nicht schafft muss den „walk of shame“ gehen. Sprich: des gesamten Wandfuß entlang wandern um dann eine steile, bröselige Rinne auf allen vieren emporzukraxeln.
Riss-Schiss
Geklettert wird in Fair Head an Dolerit, einem rot-braunen vulkanischen Basalt der sogar härter ist als Granit. Die leichten bis moderaten Touren verlaufen zumeist entlang der logischen Risslinien, weshalb sich die Absicherungsdichte nach der Anzahl der mitgebrachten Sicherungsmittel richtet. Wer nicht so geübt ist in Klemmtechniken findet die Schwierigkeitsgrade happig, kommt aber abseits der Risse auf seine Kosten. Die anspruchsvolleren Linien verlaufen entlang der Wände und Kanten und haben ein Flair von modernem Sportklettern. Technisches balancieren, Leisten knallen; die Kletterei macht richtig Spaß, verlangt aber ein gutes Auge für die Linienfindung und gekonnten Umgang mit Keilen und Cams.
Go Onsight or go Home
Der Fels ist zumeist leicht geneigt, ideal für das Onsight klettern, was beim traditionellen klettern eine besondere Stellung einnimmt. Denn die Routen werden alle „für den Onsight“ bewertet. Das bedeutet, dass der Schwierigkeitsgrad eben nur für den onsight gilt. Schafft man den onsight ist man ein Held; fällt man und muss
die Züge ausbouldern zählt das schon nicht mehr so richtig. Ab einem Schwierigkeitsgrad von E6, so hört man, sei es aber auch mal erlaubt die Route zunächst zu topropen.
Oft werden schwere Passagen noch einmal abgeklettert, um den Onsight zu retten, manchmal sogar bis zum Boden! In der Regel tritt man jedoch die Flucht nach oben an. In einem der großen Fair Head Klassiker, Jolly Rogers (E3 6a), fand sich Chris plötzlich schon gute zwei Meter über der letzten Zwischensicherung, gepumpt und mit der falschen Hand am falschen Griff, der nächste Griff schien mega weit entfernt. Was tun? Abklettern war irgendwie zu schwer, gute Absicherung fand sich auf die Schnelle nicht, weiter klettern traute er sich nicht, weil der Zug zu weit und wackelig war und fallen wollte er erst recht nicht: zwei Meter über der letzten Absicherung. Aahhrgh!„If you are in trouble, dyno double“ wie Peter Würth sagen würde und der Befreiungsschlag mittels Schrei und Doppeldynamo gelang. Dazu zustimmendes Kopfnicken Umherstehender und Lob und Ruhm. Ganz klar, hätte er das verkackt, wäre der Guinness Abend auf Chrissis Deckel gegangen!
E wie Extrem
Der Schwierigkeitsgrad setzt sich aus einem E-Wert und einem technischen Wert zusammen, beide sind aber voneinander abhängig. Aus „E5 5c“ kann man herauslesen, dass es in etwa eine 8- ist, die aber schwierig abzusichern und deshalb durchaus ernsthaft und gruselig sein kann. Eine „E5 6b“ entspricht dann in etwa einem Schwierigkeitsgrad von 9- lässt sich aber sehr gut absichern. Dieses komplexe Thema werden wir mal für euch in einem extra Artikel behandeln!
Unser Team in Fair Head kletterte einige Klassiker bis E6, darunter „The Mask“ E4 6a „Hells Kitchen Aret“ E6 6a und „Primal Scream“ E6 6b (2. Seillänge von „The Complete Scream“ E8 6b). Letztere bekam während unseres Aufenthalts eine Solo Begehung durch Alex Honold, da er beschlossen hatte, dass die Sicherungen sowieso nicht halten würden in dieser Route. Beim Vortrag abends in Sean McBride’s Kuhstall nahm er kein Blatt vor den Mund. „Ihr denkt ich bin verrückt, weil ich solo klettere: ich habe noch nie so viele Leute an einem Klettertag solo klettern gesehen wie in Fair Head – die meiste Zeit jedenfalls“, lachte er. In der Geschichte von Fair Head wurden auch schon einige Haken Kriege ausgetragen, bei denen Haken erst gesetzt und dann nachträglich entfernt worden waren. „Ich flexe doch auch nicht alle Haken raus aus den Routen, die ich solo klettere, nur weil man sie auch solo klettern kann“, meinte Honold dazu.
Jedem Gebiet seine eigene Tradition“, sagen wir dazu! Das Guinness schmeckt in Irland ja auch besser als zu Hause!
Video-Link: https://youtu.be/c1aqZ4Ben7M