Die Geschichte des Kletterschuhs [Teil 3]
Teil 3 Die Frühgeschichte (Barbaricum)
Ich will jetzt nicht jeden Schuh meiner Karriere, den ich mal an den Haxen hatte (oder auch nicht) besprechen, sondern den einen oder anderen Markstein (oder auch nicht) den es so gab.
Nachdem also der erste 6er gefallen und ich aus noch mehr raus gefallen bin, die Schmerzen an den Zehen nicht besser wurden, ging es mal wieder auf die Suche nach einem Kletterschuh, der mir den 10er praktisch auf dem Silbertablett präsentiert. So trat Hans Wagner in mein Leben. Beziehungsweise er trat nicht in mein Leben; ich kenne ihn überhaupt nicht, aber die Firma Han(s)Wag(ner) stellte plötzliche Kletterschuhe her. Der Altersdemenz ist es zu verdanken, dass ich den Namen des Schuhs vergessen habe, aber es war so ein rostbraunes Modell, dass (Neuheit!) nicht mehr bis zum Knöchel ging und das einen Spannriemen an der Ferse hatte. Gut, vorher gab es auch so etwas Ähnliches wie einen Kletterschuh von Hanwag, aber das war eher ein Alpintreter mit glatter Sohle und Noppen unter dem Fersenabsatz. Außerdem lag (wichtig!) dem Schuh im Karton ein Aufkleber bei, den man natürlich gleich auf die studentische Ente (2CV), mit entsprechendem Ärger auf Muttis R5 oder den 1er Golf-Diesel klebte. Man konnte endlich allen zeigen, dass man ein Klettert ist.
Ach ja, hier am Rande mal die historisch wichtige Begründung, warum der damals bei Kletterern sehr beliebte 1er-Diesel-Golf dazu führte, dass europaweit Kletterer plötzlich Karten mit eingezeichneten Großbaustellen austauschten. Bei Grenoble gab es damals eine sehr beliebte Baustelle mit vielen Baggern oder Lastern, die unverschlossen Tankdeckel hatte… Nein Herr Staatsanwalt, ich hatte nie einen 1er Golf!
Der neue Hanwag war ein Gedicht. Hooken war noch nicht Modesport Nr. 1 bzw. wurden Foothooks nur gesetzt, wenn mindestens auch der halbe Unterschenkel auf den Fels passte. Somit störte dieser Fersenspannriemen nicht besonders. Außerdem riss das Ding eh über kurz oder lang und dann war das Thema eh durch. Hanwag hatte als erste Firma erkannt, dass mir ein Schuh an der Ferse eh nie passen würde. Warum also da lange rumschneidern; Riemen dran und fertig war der „Fersensitz“. Das Ding war gut! So gut, dass es sogar beworben wurde. Der „Stier von Kochel“ kletterte das Ding und damit gingen mir dann auch die Augen über die Bedeutung von Werbung auf. Wenn so richtig starke Kletterer einen Schuh bewerben, ist das mindestens mal keine Aussage, dass der Schuh gut ist. Weil wer Kraft hat… Eigentlich ist ein Schuh dann gut, wenn damit ein mickriges Bürschlein oder Mädlein mit streichholzdicken Armen durch die 9bler dieser Welt schwebt (Anm. des Autors: Was für Schluffen klettert noch gleich mal der Ondra?)
Und ein weiteres Gebilde für meine Füße trat auf die Bühne. Bzw. es trat erst nicht der Schuh auf die Bühne, sondern dessen Trägerin. Kennt ihr noch die Bilder dieser blonden Maus in meist rosafarbenen, mindestens aber leuchtfarbenem Badeanzug und knappem Höslein kletternd an den Felsen der Seychellen? Genau! Was hatte „Belle Isabelle“ den da an den Füssen? Das „OneSport-Grauen“! Wenn ein Mädel so gar nicht unhübsch ausschaut, ihr Name dem Olymp des französischen Süßspeisenproduzierens, der Patisserie ähnelt, was kann da noch bei der Schuhwahl schief gehen, wenn man sich auf das Modell dieser Dame stü(r)tzt?
Alles! Einen solchermaßen unkletterbaren Schuh hatte ich davor und danach nie wieder an den Füssen. Gut, damals noch eher klassisch, weil knöchelhoch geschnitten und er war einer der ersten Schuhe dem Modegeschmack der Zeit entsprechend gestaltet. Immerhin trugen bei „Miami Vice“ auch Herren rosafarbene Hosen oder T-Shirts. Dazu nur im vorderen Bereich mit Klettersohle belegt, hinten unter der Ferse dagegen schlichter weißer Gummi. Nicht dass die schwarze Sohle auch nur einen Hauch besser gehaftet hätte, als das hintere Gummizeugs, aber es sah wenigstens nach Klettersohle aus. Der Schuh war so bockhart, dass man damit seine Tritte selber hacken konnte.
In der Pfalz wurde in Erwägung gezogen, dass man bei der Diskussion eines Magnesiaverbotes diese Fußhacke auch noch gleich verbieten sollte ;-)
Die schöne Isabelle hat später auf grüne Asolo gewechselt. Diese passten auch zu ihrem Outfit, aber so besonders war der Schluffen auch nicht. Jedenfalls musste die Dame herkulische Kräfte gehabt haben, wenn man weiß, mit welchen Schuhoxymoronen sie was für Routen geklettert hat.
Aber es gab noch eine echte Wunderwaffe von OneSport. Der erste Slipper auf dem Markt! Ein dunkelrotes Etwas, einem Turnschläppchen, wie es die Mädels über den Schwebebalken tänzeln, ähnlich. Eine 2mm Gummisohle ohne jegliche Einlage oder Verstärkung, kein Schuhrand aus Gummi, sondern dieses billige, rot gefärbte Spaltleder in Wildlederoptik. Das mit dem rot gefärbten Leder war so eine Sache. Nach wenigen Minuten Feuchteln in den Schuhen wurde der Fuß hübsch und nachhaltig rose gefärbt. Machte aber nix, weil waren ja Miami Vice-Zeiten…Der Schlappen war eigentlich richtig scheiße. Warum der scheiße war, wusste ich spätestens, als ich mit dem Ding mal im Verdon 200m abgeseilt hatte um mir dann 200m lang nicht nur die Füße in diesem komischen senkrechten Gefels in den Bauch zu stehen, sondern nach 100m bei jedem Tritt fast ins Schmerzkoma zu fallen. Wie gesagt, keine Einlage, keine Verstärkung, nur 2mm Gummi.
Aber eine Waffe war er trotzdem, aber halt nur sehr begrenzt: Ich hatte damals eine Trainingswand auf dem Speicher eines Hauses. Mächtig überhängend und lauter, zumeist positiv geschliffene Holzleisten. DA war der Schuh der HAMMER. Ich konnte auf jeder Leiste mit dem Schuh ziehen und damit Boulder klettern, die ich mit normalem Schuhzeugs nie hin bekommen hatte. Die Waffe wurde daher eingelagert und nur ausgepackt, wenn wieder ein Bekannter mit zum Trainieren auf mein Dach kam. Irgendwie muss man ja zu seinem Vorteil kommen.
Ach ja, da waren wir ja eben beim Verdon. Auch das ist ein Schuhthema. Gut, Kletterschuhe braucht es nun mal zum Klettern, aber dummerweise sind Kletterschuhe nur sehr eingeschränkt zum Nichtklettern zu gebrauchen. Warum ich das weiß? Nun ja, es gibt im Verdon eine Tour namens „Fete des Nerves“. Dieses 300m-Ding wird entgegen der dortigen Üblichkeiten nicht durch Abseilen vom Schluchtrand geklettert, sondern man läuft abends mit ein paar Bekannten in die Schlucht zum Einstieg der Tour, mach ein hübsches Festlein, trinkt ein Döslein Bier und schläft in der Schlucht. Am Morgen nehmen die Bekannten die ganzen Zivil-Sachen mit und man steigt nur mit Kletterzeugs und eben Kletterschuhen in die Tour ein. Alles wunderbar, nur hat die Tour einen ganz großen Nachteil. Das Ding ist ganztätig in der Sonne und die kann sommers dort verdammt heiß sein. Auf jeden Fall ist uns schon in den ersten Seillängen das Wasser ausgegangen und wir sind wieder in die Schlucht runter geseilt. Da standen wir nun mit unseren Kletterschuhen. Leute, es ist nicht möglich, 3km über grobsteinigen Weg, durch unbeleuchtete Tunnel und das bei 30°C in Kletterschuhen zu laufen. Barfuss ist es möglich, tut aber genau so weh und mindestens der nächste Tag ist Badetag…
Die Webeindustrie will uns ja immer noch weiß machen, dass man die Produkte der Schuhindustrie alle braucht. Damals wurden von diversen Firmen Mischschuhe auf den Markt gebracht. Das waren nichts anderes als Joggingschuhe mit Klettersohle. Damit sollte man angeblich leicht (oder noch besser schwer) Klettern können, gleichzeitig aber den Zustieg und Rückweg zum Felsen gut zurücklegen können. So ein Dünnschiss! Gut, hatte ich nie gekauft, aber das einzig dramatische Zustiegsgelände, das ich kenne (neben diesem Hochhecheln zu irgendwelchen Felsen, die auf Bergkuppen ruhen) ist das Gelände zwischen den Parkplätzen und dem Schluchtrand im Verdon. Messerscharfe Kalkauswaschungen mit tiefen Spalten.
Einzig brauchbarer Schuh dafür ist ein stinknormaler Flip-Flop, eine so genannte Zehenstegsandale oder auch Schnellfickerschuh genannt. Da kann die Kletterschuhindustrie mit ihrer Werbung nicht gegen anstinken.
Anmerkung des Autors: Natürlich sind Flip-Flops nahezu lebensgefährlich, verursachen Börsencrashs und lassen die Unterarme dünn werden. Aus WIKIPEDIA: Flip-Flops bieten dem Fuß keinen zusätzlichen Halt, keine Führung und eher geringe Dämpfung. Weil die künstlichen Materialien nicht atmungsaktiv sind und Schweiß nicht zu puffern vermögen, besteht trotz vordergründig luftiger Sandalen die Gefahr, an Fußpilz zu erkranken. Der Fernsehsender „Pro 7“ untersuchte in seiner Sendung „Galileo“ mit Simi Motion die Auswirkungen von Flip-Flops auf das Gangmuster des Trägers … und resümierte: „Auf Grund dieser Ergebnisse sollten Flip-Flops eher als modisches Accessoire betrachtet werden und nicht auf Dauer getragen werden. Sehr viel besser sind Schuhe, die den Fuß in seiner natürlichen Haltung und Bewegung unterstützen.“In erster Linie sind Flip-Flops also Modeartikel, die den üblicherweise an Schuhe zu stellenden funktionellen Anforderungen (Schutz, Führung und Stütze) nicht genügen.
Genug der Abweichungen; weiter in der Historie:
Fortsetzung folgt……
Text: Oliver Fell Fotos: Bergfreunde.de, Oliver Fell, Margit Memminger,