Auf einen Kaffee mit Urs Stöcker
Wir wissen mittlerweile alle, was Wolfgang Güllich schon lange vor uns wußte: »Kaffeetrinken ist integraler Bestandteil des Kletterns.« Ein weiterer integraler Bestandteil des Kletterns sind jedoch auch die Menschen, die mit Passion und Kreativität unsere Lieblingsbeschäftigung weiterentwickeln. In lockerer Folge stellen wir hier Menschen vor, die ein integrales Rädchen in der Kletterszene mitdrehen. Vorhang auf!
Hannes: Wer ist Urs Stöcker?
Also ich bin Bundestrainer beim Deutschen Alpenverein und versuche als Schweizer eine Medaille für Deutschland bei Olympia zu holen.
H: Wie trinkst Du Deinen Kaffee?
Unterschiedlich. Morgens als Cappuccino mit Milchschaum und durch den Tag meist schwarz wie die Nacht.
H: Kannst du das Wort »Olympia« eigentlich noch hören?
Das ist natürlich Musik in meinen Ohren, ganz klar. Es ist ein ein großer Traum. Einerseits für mich persönlich als Trainer dort vor Ort zu sein. Ich war sowohl in Sotschi als Funktionär sowie auch in Rio. Ich kenne Olympia schon mal ein wenig und habe die Stimmung dort erlebt. Ich würde mich extrem freuen dort als Klettertrainer anwesend zu sein mit möglichst vielen deutschen Athleten.
H: Denkst du, dass angesichts von Olympia Doping eine zunehmende Rolle spielen wird?
Das ist natürlich eine philosophische Frage. Gibt es sauberen Sport, gibt es sauberen Spitzensport? Ich weiß es nicht. Von mir aus gesehen wahrscheinlich nicht. Ich finde aber Doping ist zu simpel. Ich bin der Typ, der lieber clever ist. Doping ist irgendwie zu doof. Ich glaube auch, dass noch zu wenig Geld im Klettersport ist, um die Athleten in dieser Richtung zu verführen. Und es gibt noch so viele Hebel, um noch viel cleverer und professioneller zu trainieren. Die Leistungsfähigkeiten sind noch längst nicht ausgeschöpft im Klettersport.
H: Das führt auch direkt zu meiner nächsten Frage. Wenn ich mir die jahrzehntelange Entwicklung zum aktuellen 100 m Weltrekord anschaut, der bei den Männern bei 9,58 Sekunden und bei den Frauen bei 10,49 liegt, frage ich mich bei welcher Zeit der aktuelle Stand des Wettkampfkletterns liegt? Sind wir überhaupt schon unter 10 Sekunden?
Nein, auf gar keinen Fall. Wahrscheinlich so auf den mittleren Zehnerzeiten. Man muss mal sehen, dass das professionelle Training erst vor ungefähr 5-7 Jahren begonnen hat. Vorher konnte man noch mit einigermaßen gutem Talent oder mit viel Fleiß an die Weltspitze klettern. Heutzutage braucht man beides. Durch professionelles Training kann man noch extrem viel bewirken.
H: Wie genau kann man sich diese Professionalisierung vorstellen?
Also ich bin ja nicht so der Fan von solchen fancy Instagram- oder Youtube-Trainingsvideos (Hannes fühlt sich irgendwie ertappt). Das ist zwar schön für den Sport (Hannes entspannt sich wieder), aber ich glaube immer noch, dass die harte Arbeit extrem wichtig ist. Ich glaube aber auch, dass die Belastungtoleranz gestiegen ist. Also was ein Athlet erträgt. Dann ist der Aspekt der Verletzungs-Prophylaxe deutlich wichtiger geworden. Also was muss man tun um diese Intensität überhaupt wegzustecken. Ein begleitetes Training ist natürlich extrem wertvoll. Weil man immer jemanden hinten dran hat, der einen steuern kann.
Der hilft den inneren Schweinehund zu überwinden oder auch etwas bremst, um nicht über diese Messerklinge zu fallen. Außerdem ist in den letzten Jahren die Wissenschaft massiv eingestiegen. Es gibt ja mittlerweile auch jedes zweite Jahr einen Kongress zu dem Thema von der Climbing Research Association. Vor sechs Jahren hab ich den mal mitorganisiert, da waren das noch ein 1,5 Tage.Mittlerweile ist es eine ganze Woche.
H: Wie schaut die nahe und mittlere Zukunft für Dich als Trainer aus?
Es gibt eigentlich zwei Zeitschienen. Die eine ist Olympia. Um den jetzigen Athleten einen letzten Schliff zu geben. Die große Langzeitschiene jedoch ist die Jugendförderung um für die nächsten Olympischen Spiele oder auch die übernächsten geeignete Talente zu finden und zu fördern.
Und auch in dieser Talentförderung muss erst mal viel Arbeit gesteckt werden. Wie sichtet man? Was macht ein Talent aus? Wann müssen wir sichten?
H: Was macht denn ein Talent aus?
Es ist eine Mischung aus Begabung, was du genetisch mitbekommst,also um in den obersten 10 Prozent mitzuspielen, also eine gewisse Hochbegabung. Dazu kommen Katalysatoren wie soziale Geschichten: Wie bist du aufgewachsen? Was für eine Peer Group hattest du? Was hast du für Möglichkeiten? In der Sahara wird es sehr schwer sein ein Topschwimmer zu werden. Ein Talent muss auch die Fähigkeit zur Entwicklung haben, so eine Art open minded access zu den Dingen. Dass du eben nicht verschlossen bist. Und eine gewisse Hungrigkeit ist unabdingbar.
H: Wann sollte sich ein Talent spezialisieren, Stichpunkt Stoffwechseltyp?
Vor 10-15 Jahren hat man noch gesagt: Auf keinen Fall zu früh spezialisieren damit noch die ganze Entwicklungsbreite da ist. Ich kenne ein paar Studien aus dem Schweizer Fußball, die besagen, dass die frühe variantenreiche Sportart-Spezialisierung am erfolgreichsten ist. Sprich, dass du in einer Sportart zu Hause bist, sie aber sehr variantenreich trainierst. Bezogen aufs Klettern heißt das du solltest alle Disziplinen in jungen Jahren machen. So lassen sich später wahrscheinlich die größten Erfolge generieren.
H: kommst du als Nationaltrainer eigentlich in den Konflikt mit den individuellen Trainern der Athleten? Wer hat der letzte endlich das Sagen?
Nein, keine Konflikte. Wir versuchen auch die Heimtrainer mit ins Boot zu holen, ganz klar. Weil letztendlich funktioniert es ja nur bei einer Zusammenarbeit. Weil bei Konflikten wäre der Athlet letztendlich der Leidtragende. Und das ist es ja was wir am wenigsten wollen. Wir sind Dienstleister damit der Athlet die beste Leistung bringen kann.
H: Käsefondue oder Schäufele?
Käsefondue, klar (lacht). Ich bin extrem gerne in Deutschland. Ich fühle mich auch hier sehr wohl, muss ich sagen. Aber klar, die Identität wird einen niemand nehmen.
H: Vielen Dank, Urs!