Auf eine Tasse Kaffee mit Melissa le Nevé

Melissa le Nevé ist fast schon ein Resident im Frankenjura. Legendär ist ihre erste Frauen-Begehung von Güllichs Wallstreet, in der sie einen Weltrekord aufstellte in der Disziplin »Hooks auf Ohrenhöhe«. Aber das mit dem Frauendings interessiert sie selber weniger: »I’m just a girl.« Das fränkische Maximalkraft-Klettern kommt ihrem Boulderstrom ziemlich entgegen, weshalb sie gefühlt die Hälfte des Jahres mit ihrem blauen Bus hier vor Ort ist. Ist das Wetter schlecht, rockt sie im lässigen E4 oder bildet gleich zusammen mit Dirk Uhlig ein Dreamteam am Akkuschrauber.

Hannes: Wer ist Melissa le Nevé?

Melissa: A girl! (lacht) Eine weibliche Person, just a girl.

Wie magst Du Deinen Kaffee?

Nicht zu stark, eher so middle-taste. Am besten äthiopische Bohne. Dazu ein bißchen Milch, aber keine gewöhnliche, sondern Hafermilch. So eine Art Cappucino. Zugegebenermaßen bin ich da etwas kompliziert.

Was denkst Du ist die wichtigste Eigenschaft um ein richtig guter Kletterer zu werden?

Ich denke, dass Talent wichtig ist, aber das wichtigste ist die harte Arbeit, die Du reinsteckst. Und ein gutes Selbstvertrauen zu entwickeln, dass Du wirklich an Dich glaubst.

Hast Du immer an Dich geglaubt?

Nein. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis sich so etwas entwickeln konnte. Dabei haben mir vor allem Freunde geholfen, die an mich glaubten, bevor ich das selber tat. Dabei ist es immer noch eine Achterbahnfahrt. Aber ich habe jede Menge Beharrlichkeit und ich kann hart arbeiten, das wird schon!

Hast Du diese Hart-Arbeiten-Einstellung in allen Bereichen Deines Lebens oder ist das nur etwas, was beim Klettern zutrifft?

Nee, das hatte ich schon immer. Ich mag es lieber wenige Dinge zu tun, die aber mit vollem Einsatz. Sicherlich ist es jetzt so, dass ich fast alle Energie ins Klettern stecke, weil es meine Passion und mein Job ist. Ich studiere allerdings noch die Homoöpathie und da ist es schon ähnlich: When I’m into it, I’m really into it. Du mußt halt einfach wissen, was Du willst und where to put your money on. Das ist nicht ganz einfach rauszufinden, aber es lohnt sich danach zu suchen.

Hast Du irgendetwas aufgeben müssen, um so gut zu werden?

Ich denke nicht, dass das was mit »aufgeben« zu tun hat. Ich habe eine Wahl getroffen! »Aufgeben« ist negativ, »eine Wahl treffen« ist positiv. I made a choice – for sure!

Was denkst Du wieviel Prozent Talent und wieviel Prozent Fleiß sind an Deinem Erfolg beteiligt?

Ich bin schon talentiert, wenn ich zum Beispiel meinen Körperbau anschaue. Für eine Frau bin ich recht groß, aber nicht supergroß, ich bin ziemlich schlank, hab dünne Knochen. In punkto Kraft bin ich sehr explosiv und ich hatte auch recht starke Finger von Anfang an und war immer beweglich. Also hab ich schon mal ein paar ganz gute Voraussetzungen fürs Klettern, aber am Anfang war ich auch eine 6a-Klettererin – so wie jeder! Ich hab mich zwar recht schnell gesteigert von 6a auf 7a, auf 8a, auf 8c, auf 8c+ … letztendlich hat sich die harte Arbeit einfach ausgezahlt, die ich da in den letzten 13 Jahren reingesteckt habe. Summasumarum würde ich sagen, dass es bei mir so 20 % Talent und 80 % Fleiß sind.

Ich hab acht Jahre gebraucht, um von 4a auf 7a zu kommen …

(Lacht sich tot, was sonst?)

Anyway. Was ist die wichtigste Lektion, die Dich das Klettern gelehrt hat?

Geduld. Denn Klettern ist eigentlich zu 99 % scheitern und zu 1 % erfolgreich sein. Auch im Wettkampfklettern braucht es unendlich viel Geduld im Aufbauprozeß, um letztendlich erfolgreich zu sein. Und ich war wirklich kein geduldiges Kind, überhaupt und ganz und gar nicht.

Bereust Du die endlosen Stunden, die Du in der Isolationszone abgehangen hast?

Das ist doch nur ein Detail vom Ganzen. Das gehört dazu.

Was hältst Du von der Idee des »female first ascents«?

Puuuh, da will ich eigentlich gar nichts drüber sagen. Das interessiert mich gar nicht. Ich glaube das Ganze wird von den Medien und den Sponsoren gerne benutzt, um irgendeine Sache zu boosten. Und davon halte ich nichts. Ich bewundere aber Frauen, die das Limit pushen und finde es großartig, welche Leistungen sie bringen. Ich finde es aber auch supercool welche Leistungen Männer bringen!

Kannst Du das beeinflussen?

Klar, das kann man beeinflussen. Mindtools, wie Visualierung oder ein bißchen im Move schreien, den Kampfgeist voll aktivieren … da gibt es viele Wege, um in den Flow zu kommen. Deswegen habe ich ja so viele Wettkämpfe gemacht, weil ich total süchtig nach diesem Gefühl war und nicht genug bekommen konnte. Zum Beispiel wenn Dich die Energie des anfeuernden Publikums dazu bringt einen crazy Swing zu halten, den Du normalerweise nie halten würdest. Im Kopf entsteht dann eine Art Zeitlupe, das ist einfach perfekt im Wettkampf.

Hast Du ein Mantra oder etwas anderes, was Dich immer begleitet?

Grundsätzlich glaube ich an die Energie die Natur. Und ich glaube an die Energie von dem Mondstein, der um meinen Hals hängt. Den hat mir meine Mutter geschenkt und er ist immer bei mir.

Was ist für Dich der ideale Weg um Erfüllung beim Klettern zu finden?

Wenn ich Energie fühle. Wenn ich im richtigen Moment am richtigen Ort die richtigen Dinge tue – der Flow halt! Wenn ich mehr als das leiste, wozu ich eigentlich dachte imstande zu sein.

Merci beaucoup!

De rien!