499 Touren ab 8a – Sarah Kampf im Interview
Sie war die erste Frau, die 2009 in Franken mit „Steinbock“ eine 8c punkten konnte. Damit wurde Sarah Kampf schlagartig bekannt. Die 42-jährige Wahlfränkin ist eine erklärte Felskletterin. Nach einer erfolgreichen Episode beim Wettkampfklettern – unter anderem wurde sie 2003 im Lead und im Speed deutsche Vizemeisterin – konzentriert sich Sarah seit 2004 auf den Fels. Und räumt seitdem kräftig ab: 2000 kletterte sie ihre erste 8a, mittlerweile stehen 499 Routen ab 8a auf ihrer Ticklist – darunter zehn 8c´s. Sarah lebt heute mit ihrer Familie in Franken, das nach wie vor zu ihren Lieblingsklettergebieten zählt.
Ks.com: 499 Touren seit 2000 – das bedeutet, dass du rein rechnerisch jedes Jahr 20,8 Touren im Grad 8a oder schwieriger geklettert bist. Das ist schon eine Hausnummer! Ist Steinbock bei diesen vielen Routen eigentlich noch immer eine besondere für dich? Macht dich das stolz, die erste Frau mit einer 8c gewesen zu sein?
Puh, gute Frage. Ich wollte damals ja nicht gezielt die erste Frau in diesem Grad sein, sondern es war für mich eine persönliche Challenge. Ich war zuvor ein paar 8b+-Routen geklettert und wollte danach dann eben eine 8c machen. Dass ich dann die erste Frau mit diesem Grad in Franken war, war dann trotzdem etwas Außergewöhnliches für mich. Soweit ich weiß, wurde Steinbock bislang auch noch von keiner anderen Frau gemacht… vielleicht, weil sie relativ körperkräftig und kraftausdauernd ist – und darüber staune ich manchmal dann schon ein bisschen. Für mich ist Steinbock nach wie vor eine Tour, die mir viel bedeutet. Ich habe mich lange mit ihr auseinandergesetzt und mich sehr auf sie eingelassen.
Wie wichtig ist dir das Bouldern? Auch da ist deine Ticklist beeindruckend: Zwischen 2004 und 2023 waren es 27 Boulder zwischen 8a und 8a+…
Ich bouldere total gerne – vor allem im Winter, wenn es für das Seilklettern zu ungemütlich ist. Dabei lerne ich auch fürs Klettern mit Seil immer wieder enorm viel dazu, was das Erarbeiten von Lösungen angeht. Wenn ich aber gezwungen wäre, mich zu entscheiden, würde ich das Seilklettern wählen. Das erfüllt mich einfach noch mehr.
Wie kamst du überhaupt zum Klettern?
Das allererste Mal war ich sechs Jahr alt, als ich mit Freunden meiner Eltern in unserer damaligen Heimat in Spanien einen Kletterausflug gemacht habe. Ich fand es schon damals cool. Richtig los ging es dann aber erst später, als ich 14 Jahre alt war, und von einer Schulfreundin, die mit ihren Eltern viel geklettert ist, an den Fels mitgenommen wurde. Das war damals in Südfrankreich. Seitdem habe ich damit nicht mehr aufgehört. Zuvor habe ich ziemlich intensiv Langlaufen betrieben und mich in dieser Zeit konsequent an Trainingsplänen orientiert. Das wollte ich beim Klettern aber nie haben, ich wollte immer frei und ungeplanter klettern.
Ist das auch ein Grund dafür, dass deine Wettkampfkarriere nur relativ kurz dauerte?
Ja, wahrscheinlich schon. Mein Fokus lag aber schon immer auf dem Fels, das Felsklettern ist meine Leidenschaft… das Wettkampfklettern ist nur ein relativ kleines Kapitel in meinem Leben.
Du kletterst inzwischen schon seit knapp 30 Jahren. Ist es dir nie langweilig geworden, hast du nie daran gedacht, einen anderen Sport zu machen?
Na ja, ich und wir als Familie machen ja schon noch andere Sachen. Gehen laufen und Mountainbiken oder im Winter Langlaufen oder auf Skitour. Im letzten Sommer waren wir in Spanien am Atlantik, da haben wir alle gemeinsam das Wellenreiten ausprobiert. Das war ein cooles Erlebnis, mit den Kids zusammen das Gleiche zu lernen. Ich habe mir aber schon immer wieder mal die Frage gestellt, ob ich meine Schwerpunkte verschieben möchte – aber das Klettern ist für mich nach wie vor wichtiger. Mir wird es nie langweilig beim Klettern, ich habe immer Ziele und es macht mir immer Spaß. Das ist eine Konstante in meinem Leben, die ich zwar immer mal hinterfrage, die ich bislang aber immer klar bejahen konnte.
Was gibt dir das Klettern?
Es erfüllt mich, es bringt mir so viel Freude… und es ist sehr vielfältig, fordert beispielsweise immer wieder andere Bewegungen und Fähigkeiten ab. Das Reisen, das das Klettern mit sich bringt, ist für mich eine der schönsten Seiten an diesem Sport. Man kann dadurch so viele tolle Orte entdecken und spannende Menschen treffen. Daneben ist es die Auseinandersetzung mit einem Stückchen Fels, das Tüfteln, wie man eine bestimmte Stelle klettern kann, was mich reizt. Ich sehe das Klettern eher wie ein Spiel: Es ist eine kleine Challenge, bei der es darum geht, ein Rätsel zu lösen. Das finde ich faszinierend.
Machst du noch immer am Jahresanfang eine Liste mit Touren, die du in diesem Jahr dann gerne klettern würdest?
Ja, das ist tatsächlich so. Da stehen Touren drauf, die ich in den Vorjahren nicht gemacht habe oder von denen ich gehört habe und dachte, dass sie reizvoll sein könnten. Inzwischen spielen aber auch noch andere Faktoren eine Rolle.
Der Fels sollte Familien-kompatibel sein, der Zustieg nicht zu lange dauern und es sollte Kletterpartner geben, für die der Fels auch interessant sein könnte. Also so ein striktes Projektieren wie früher gibt es bei mir nicht mehr, ich muss nicht mehr unbedingt mein Ding durchziehen, sondern habe inzwischen eine eher pragmatische Herangehensweise.
Aber die 500 werden es in diesem Jahr auf jeden Fall?
Also es würde mich schon reizen, mich mal wieder auf etwas Schweres einzulassen. Auf der Liste stehen auch Touren im Grad 8b bis 8c. Ich habe Lust, an meinem Limit zu klettern – aber ohne es übers Knie zu brechen. Es muss in meinen Alltag reinpassen, erzwingen werde ich es nicht. Ich werde mir da nicht mehr wie früher selbst Druck machen. Ich fühle mich fit genug für etwas Schweres, aber ob sich das dann auch tatsächlich in einer bestimmten Tour ausdrückt, ist natürlich eine ganz andere Frage. Namen von Projekten wirst du jetzt aber nicht hören… (lacht).
Wäre für dich eine 9a ein Traum, den du dir noch erfüllen möchtest?
Eine 9a ist nicht unbedingt mein Ziel, so ein großes Projekt würde aktuell nicht in mein Leben passen. Für mich ist der absolute Grad mittlerweile aber auch nicht mehr so ausschlaggebend wie früher. Ich hatte im letzten Sommer viele gute Tage mit meiner Familie und Freunden am Fels, an denen ich nicht so schwer geklettert bin – und auch da konnte ich viel dazulernen. Das Projektieren von Touren am Limit erfordert einen starken Fokus und volle Hingabe, das kann man – beziehungsweise ich – nicht erzwingen. Aber wer weiß, vielleicht zieht mich eine Tour irgendwann wieder mal so sehr in ihren Bann, dass ich ganz automatisch an meine Grenze gehen kann. Das möchte ich nicht ausschließen.
Du hast gerade deine Familie erwähnt: Du hast zwei noch kleine Söhne, bist berufstätige Mutter, und kletterst nach wie vor verdammt schwer. Wie bekommst du das Alles unter einen Hut?
Ich bekomme große Unterstützung von meinem Mann. Er klettert zwar auch, aber interessiert sich daneben für viele andere Sportarten und ist damit weniger aufs Klettern fixiert als ich. Aber er hat Verständnis und schafft mir immer wieder Freiräume, wir können uns gut organisieren. Und ich habe zum Glück einen flexiblen Teilzeitjob, ich kann viel im Homeoffice arbeiten. Mit der Fränkischen direkt vor der Haustür reicht die Zeit für Familie, Job und auch für das Klettern. Meine Rahmenbedingungen sind glücklicherweise gut, da bin ich sehr dankbar.
Apropos Job: du hast Politikwissenschaften studiert, arbeitest aber als PR-Managerin bei einem großen Outdoor-Hersteller. Wie kam das?
Ich fand Politikwissenschaften immer sehr interessant – und habe nach meinem Studium auch noch eine Zeitlang in diesem Bereich gearbeitet. Mein Schwerpunkt war aber Europapolitik und ich hätte langfristig in Berlin oder Brüssel arbeiten müssen. Dafür war mir dann aber das Klettern zu wichtig, das steht bei mir zu sehr im Fokus. Ich konnte dann bei einem meiner Sponsoren in der Marketingabteilung einsteigen. So gesehen ist auch meine Berufswahl dem Klettern geschuldet… aber ich fühle mich in meinem momentanen Job auch gut aufgehoben.
Sarah, du zählst mit zu den Frauen, die beim Klettern Grenzen verschoben haben. Inzwischen gibt es viele jüngere Frauen, die sehr schwer klettern. Wie schätzt du die junge Generation ein?
Die Dichte an sehr guten Frauen ist viel größer geworden, da hat sich in den vergangenen 20 Jahren wahnsinnig viel getan. Und was ich auch sehr gut finde: die meisten kommen von sich aus an den Fels – und nicht wie früher oft nur als Begleiterin ihres Partners. Es gibt deutlich mehr Frauen, die selbständig klettern. Ich finde es auch mega cool, wie viele Mädels-Seilschaften unterwegs sind.
Was sind deine Schwächen – und was deine Stärken?
Hm, meine Schwäche ist noch immer, dass mein Ehrgeiz manchmal zur Ungeduld führt. Meine Stärke ist, dass ich gelernt habe, nicht optimale Umstände an einem Klettertag – das können beispielsweise schlechte Bedingungen, wenig Zeit oder mangelnde Leistung sein – hinzunehmen. Es ist, wie es ist. Ich lasse mich davon nicht mehr demotivieren und habe im Vergleich zu früher damit einen entspannteren Umgang. Ich genieße die Zeit am Fels einfach trotzdem, und daraus ziehe ich dann meine Motivation und Kraft.
Hast oder hattest du eigentlich Vorbilder?
Nein, aber ich finde es großartig, wenn jemand sich über sehr lange Zeit seine Leidenschaft bewahrt – und das unabhängig von Graden. Wenn man Kletterern anmerkt, dass sie in ihrem Element sind, dass das Klettern sie bereichert und sie mit dieser positiven Einstellung auch andere anstecken können, finde ich das sehr schön. Es gibt in der Erlanger Kletterhalle eine Gruppe älterer Kletterer, die sich dort regelmäßig treffen, die das einfach genießen und dabei absolut nicht verbissen sind. Das finde ich großartig. Ich hoffe, dass auch ich mir meine Leidenschaft noch viele Jahre bewahren kann – und auch noch in 20 Jahren klettern werde.