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Trilogie in den Dolomiten [Ueli Steck]
Am 8. Aug. klettert Ueli Steck free solo durch drei Zinnenwände. Hier sein Bericht…
Am Sonntag, 8. August 2010 befand ich mich erneut auf dem Weg in die Dolomiten. Auf meiner Wunschliste stand bereits seit langem, die Drei Zinnen in den Dolomiten zu klettern. Mit den Erfahrungungen aus den Rekorden am Eiger, Grandes Jorasses und Matterhorn konnte ich meine Technik definitiv perfektionieren. Ich habe die Gewissheit, mich schnell und sicher in den Bergen zu bewegen. In meinen Vorbereitungen für das
nächste große Projekt 2011 habe ich in den letzten zwei Monaten unzählige Höhenmeter zurückgelegt mit Jogging. Letzte Woche absolvierte ich das erste Mal eine dreier Serie am Niesen, was immerhin stolze 5000 Höhenmeter ergibt. Diese Serie habe ich dann Ende Woche noch einmal wiederholt. Das Ziel dabei ist, meinen Körper soweit zu bringen, dass ich diese Serien drei Mal pro Woche wiederholen kann. Nach dieser anstrengenden Woche war es dann wieder mal an der Zeit, etwas für die Motivation zu tun.
Der Wetterbericht für die Dolomiten war vielversprechend. Das war der ausschlaggebende Punkt, um die lange Anreise auf mich zu nehmen. Am Sonntagabend sah das Wetter allerdings alles andere als vielversprechend aus: Dauerregen. Ich war skeptisch, ob es abtrocknen würde am nächsten Tag. Am Morgen danach herrschte dann schönstes Wetter, aber die Felsen waren durchnässt. Ich startete einen gemütlichen Morgen auf der Südseite der Berge. Zuerst Einklettern an der kleinsten Zinne, dem so genannte Preussturm. Die 10 Seillängen der Cassinroute waren schnell geklettert. Die Felsstrukturen sind sehr positiv geschichtet. Ideale Voraussetzungen, um alleine zu klettern.
Da es erst 11 Uhr morgens war, wanderte ich nach dem Abstieg weiter zur kleinen Zinne. Ziel: Die berühmte Gelbe Kante. Ein eindrücklicher Pfeiler ragte über meinem Kopf in den Himmel. Ich konnte nicht wiederstehen und stieg in die zweite Wand ein. Es herrschte herrliches sonniges Wetter und ein perfekter Tag nahm seinen Lauf. Das Klettern ging wie von selbst. Bestens aufgewärmt kletterte ich Meter für Meter. Dabei überholte ich mehrere Seilschaften. Sie liessen mich ohne Probleme überholen. Der zweite Gipfel an diesem Tag war geschafft. Die herrliche Landschaft der Dolomiten umgab mich.
Nach einer kurzen Gipfelrast stieg ich wieder ab. Da der Tag noch jung war, beschloss ich, mir auch die Nordseite anzuschauen. Es handelt sich um die Route, für die ich eigentlich hierher gefahren bin. Ehrfürchtig querte ich vom Patternsattel unter die Nordwände der Zinnen. Der Fels schien im Verlauf des Tages abgetrocknet zu sein. Ich erkannte die Linie der Comici Route. Eine elegante und logische Route. Es war drei Uhr nachmittags und über mir 550 Meter senkrechter Fels. Was sollte ich tun? Sollte ich mir die Route für den nächsten Tag aufsparen oder jetzt gleich einsteigen? Die Temperaturen waren angenehm, das Wetter hatte sich etwas verschlechtert, Nebelschwaden zogen umher. Am nächsten Morgen würde es bestimmt kälter sein. So beschloss ich, einzusteigen. Der Routenverlauf ist ganz logisch, viele Haken stecken in den Rissen. Ich kletterte ungesichert, hatte aber ein Seil dabei, um mich gegebenenfalls zu sichern, sollte ich das Gefühl haben, dass der Weiterweg schwer aussehen würde. Ich war völlig isoliert in meiner Welt. In der Welt des Kletterns wo ich Griff für Griff höher und höher stieg. Ich genoss dieses Gefühl und ich spürte absolut keinen Stress. Auch die Griffe waren sehr positiv, die Wand ist steil und ausgesetzt. Nur die
letzten Seillängen gestalteten sich etwas mühsam. Die Ausstiegs-verschneidung war komplett nass. Ich bekam zum Abschluss meines Tages noch eine gratis Dusche. Langsam schmerzten auch meine Füße von den engen Kletterschuhen und auf dem Ringband wechselte ich die Kletterschuhe mit meinen Zustiegsschuhen, in denen ich die letzten paar einfacheren Seillängen bis auf den Gipfel kletterte.
1 Stunde und 5 Minuten nachdem ich eingestiegen war, sass ich neben dem Gipfelkreuz. Dicker Nebel umhüllte mich auf dem Gipfel. Ich war zufrieden. Ein guter Klettertag mit vielen einzigartigen Eindrücken ging zu langsam zu Ende. Zum dritten Mal stieg ich an diesem Tag hinunter und diesmal machte ich einen Stopp in der Lavaredo Hütte. Italien hat schon Vorteile: sogar hier oben gibt es vorzüglichen Kaffee!
Bilanz des Tages:
- Kleinste Zinne / Preussturm SO-Wand „Cassin“ 275 Meter VII-
- Kleine Zinne Süd-Kante „Gelbe Kante“ 430 Meter VI
- Grosse Zinne N-Wand „Comici“ 550 Meter VII
KS.com: Bitte nicht nach machen! Wir brauchen Eure Klicks noch länger ;o)
Text: Ueli Steck, kletterszene.com Foto: Ueli Steck