So wenige Tote wie noch nie [DAV Bergunfallstatistik 2020]
Ob Bergwandern, Alpinklettern, Sportklettern, Skitourengehen, Pisten- und Variantenskifahren oder Hochtourengehen – bei den meisten Bergsportdisziplinen ging die Anzahl der gemeldeten Unfälle und Notfälle zurück. Nicht so beim Klettersteiggehen und Mountainbiken: Bei Erstgenanntem gab es im Berichtszeitraum 69 Meldungen mit drei tödlichen Ausgängen, während es ein Jahr zuvor 33 Meldungen und zwei Tote waren. Beim Mountainbiken wurden 2020 insgesamt 65 Vorfälle mit einem tödlichen Ausgang gemeldet, während es ein Jahr zuvor 38 Meldungen mit ebenfalls einem Todesfall waren.
Der Deutsche Alpenverein dokumentiert jedes Jahr in seiner Bergunfallstatistik, wie sich die Unfälle und Notlagen beim Bergsport unter seinen Mitgliedern entwickeln. Für das Berichtsjahr 2020 sind zwei Punkte hervorzuheben: Erstens gab es in 70 Jahren noch nie so wenige Tote. Zweitens gehen die Unfallzahlen bei allen Bergsportdisziplinen zurück – mit Ausnahme vom Klettersteiggehen und Mountainbiken. Lukas Fritz von der DAV-Sicherheitsforschung interpretiert diese Entwicklungen so:
Die Regeln und Appelle im Zusammenhang mit der Pandemie haben das Verhalten der Bergsportszene beeinflusst. Es ist wahrscheinlich, dass viele Menschen die Appelle der Alpenvereine zur Zurückhaltung ernst genommen haben.
Das Unfallgeschehen 2020 im Überblick
So wenige Tote wie im Jahr 2020 gab es in der fast 70-jährigen Geschichte der DAV-Bergunfallstatistik noch nie. 28 DAV-Mitglieder kamen im Berichtszeitraum beim Bergsport ums Leben – und damit halb so viele wie im Jahr zuvor (einem Jahr mit ausgesprochen vielen Toten). Gleichzeitig liegt die Anzahl der Unfall- und Notfallmeldungen insgesamt auf Vorjahresniveau. Insofern liegt der Schluss nahe, dass die Bergsportler*innen mit mehr Zurückhaltung unterwegs waren als normalerweise. Das entspräche jedenfalls den Appellen, die die Alpenvereine aus Corona-Gründen an die Bergsportszene gerichtet haben.
Die sehr geringe Todesfallquote 2020 dürfte also eine auch durch die Pandemie beeinflusste Ausnahme darstellen. Den Trend zu immer geringerem Risiko beim Bergsport gibt es hingegen schon lange. Zum Vergleich: In der ersten DAV-Bergunfallstatistik waren 43 Tote zu beklagen – bei rund 110.000 Mitgliedern.
Im Jahr 2017 (ein durchschnittliches Jahr in der jüngeren Zeit) waren es 41 Tote bei 1,24 Mio. Mitgliedern. Das Risiko für DAV-Mitglieder, beim Bergsport tödlich zu verunfallen, war vor fast 70 Jahren also etwa elfmal höher als heute. Zur Veranschaulichung des aktuellen Bergsportrisikos (auf Basis der Zahlen von 2018/19): Ein*e Bergsportler*in müsste rund 228 Jahre jeden Tag eine Wanderung unternehmen, bis sie statistisch gesehen erstmals eine Verletzung erleidet. Die Gründe für das mittlerweile geringe Bergsportrisiko sind vielfältig: Mehr Wissen und Können in der Bergsportszene, bessere Wetterberichte, bessere Ausrüstung und bessere Tourenplanung gehören sicherlich dazu.
Mehr Unfälle und Notfälle an Klettersteigen und beim Mountainbiken
An Klettersteigen waren die Unfälle und Notfälle in den Jahren zuvor konstant rückläufig. Ob die aktuellen Zahlen eine Trendumkehr einläuten, ist allerdings ungewiss. Sicher ist hingegen, welche Ursache hinter den Unfällen und Notfällen steckt: Überforderung. Dem entspricht, dass die Mehrzahl der Vorfälle aus sehr schwierigen Klettersteigen gemeldet werden und dabei Blockierungen („Ich komme nicht mehr vor und zurück!“) doppelt so häufig (54%) vorliegen wie Stürze (24%). Klettersteige werden also womöglich unterschätzt. Dafür spricht auch, dass vermehrt überforderte Kinder und Jugendliche aus Klettersteigen gerettet werden müssen.
Beim Mountainbiken sind zwei Dinge sehr bemerkenswert. Erstens ist der Anteil der Unfälle und Notfälle mit E-Bikes mit 12% überraschend gering. Es sind vor allem die Bikeparks, aus denen vermehrt Vorfälle gemeldet werden – und nicht die Trails. Zweitens hat es keine Kollisionen zwischen Wandernden und Mountainbiker*innen gegeben – übrigens nicht nur in 2020 nicht, sondern in 20 Jahren nicht. Falls es also hier und da Konflikte zwischen diesen Fraktionen geben mag: Unfälle spielen dabei keine Rolle.
Zum Vergleich: Die Bergunfallstatistik der Bergwacht Bayern
Der Deutsche Alpenverein und die Bergwacht Bayern arbeiten beim Thema „Sicherheit am Berg“ und insbesondere in der Sicherheitsforschung im Zentrum für Sicherheit und Ausbildung in Bad Tölz eng zusammen. Die Unfallstatistik des Deutschen Alpenvereins und die Einsatzstatistik der Bergwacht Bayern beruhen allerdings auf unterschiedlichen Datenquellen und Erhebungsmethoden und liefern deshalb auch unterschiedliche Ergebnisse. Das sind Hauptaussagen aus der Bergwacht-Statistik:
- In der Wintersaison 2019/2020 waren die Einsätze stark rückläufig. Dies ist im Kontext der Pandemie (frühzeitige Schließung der Skigebiete) und geringer Schneelage zu sehen.
- In den Frühjahrsmonaten standen insbesondere Einsätze beim Mountainbiken im Vordergrund.
- Im Sommer 2020 gab es ähnlich viele Einsätze wie im Jahr 2019.
- Bei der weitaus überwiegenden Zahl der Einsätze handelte es sich um Sportverletzungen oder internistische Notfälle am Berg.
- Die Einsätze zur Rettung unverletzter, blockierter oder von hilfsbedürftiger Menschen hat in vergangenen Jahren zugenommen.
- Ein wichtiger Appell der Bergwacht lautet: Lieber zu früh als zu spät einen Notruf absetzen!