Siebe Vanhee wiederholt El Pilar del Cantábrico ( 8a+/ 500m) solo und an einem Tag

Kaum eine Woche ist es her, dass wir von Siebe Vanhee, Séb Berthe und deren erfolgreicher Ein-Tages-Begehung von Rayu (8c), einer der schwersten Multipitch-Routen im spanischen Pico’s de Europa National Park berichtet haben, schon legt Siebe Vanhee nach:

Nachdem ich Rayu geklettert hatte, blieben mir nicht mehr viele Tage in den Picos und ich war immer Abenteuerhungrig.  

Im Gespräch mit seinem Kletterpartner Séb kamen die beiden darauf, dass Siebe doch versuchen könnte, „El Pilar del Cantábrico“ am Picu Ureillu zu klettern. Im Alleingang!

Diese mit 8a+ eingestufte und 15 Seillängen (500 m) lange alte, technische Linie wurde schon mehrmals frei geklettert. Die Absicherung dieser Route macht die Sache noch interessanter. Der größte Teil der Route ist mit „Burilles“, alten, geschlagenen Haken (Normalhaken), die unter anderem zum Klettern mit Hilfsmitteln (Strickleitern, Seilschlingen etc.) verwendet werden, sowie mit Klemmkeilen und Seilsicherungen ausgestattet

Seb und ich beschlossen, am selben Tag zu klettern. Seb in Orbayu, unterstützt von seiner Freundin Soline, und ich allein in El Pilar. Die Wettervorhersagen waren schrecklich, sie sagten den ganzen Tag über leichten Regen voraus. Aber auch hier riskierten wir es und hofften, über den Wolken zu klettern.
Die erste Seillänge kannte ich bereits. Um 17 Uhr am Vortag hatte ich beschlossen, mein Seilsolo in der ersten Seillänge zu üben, damit ich am nächsten Tag schneller und sicherer abheben konnte. An diesem Morgen war ich schnell und effizient und kletterte die erste Seillänge, 7b+. Ich befestigte das Seil am Stand, seilte mich ab, reinigte die Seillänge, säuberte den unteren Stand, zog mich wieder nach oben, und meine Tasche nach, bereitete den Stand und das Seil vor und machte mich auf den Weg zu Seillänge 2 (8a).
Dies würde mein Ritual für die nächsten 15 Seillängen, 500 Meter und 12 Stunden sein, bis ich den Gipfel erreicht haben würde.

Auch in der zweiten Seillänge, bestehend aus einer 7 Meter vom Stand entfernten Boulder-Crux, gefolgt von 30 Metern leichterer Kletterei war Siebe im Flow und durchstieg sie im ersten Versuch. Sein Seilsolo-Ritual wiederholend, bereitete er sich auf die Schlüsselstelle vor, 8a+. Mit Feuereifer kletterte er ohne Pause die ersten harten Meter solide durch. 

Ich ermutigte mich selbst laut auf Niederländisch: „Fuck yeah man, ge zijt nen beer!“ Das bedeutet: „Fuck yeah Mann, du bist ein Bär!“. In Ermangelung eines Partners musste ich mich besonders stark motivieren, meine gute alte Muttersprache hilft mir dabei sehr! 

Doch dann schlug der Pump in den Unterarmen gnadenlos zu. Er verfehlte einen Griff, und als er im Begriff war zu fallen wurde ihm bewusst, dass er an alten Normalhaken im Seilsolo unterwegs war. Beim Stürzen griff er vor Schreck ins Seil um sich abzufangen. 

Ich weiß nicht, was enttäuschender war, das ich bei meinem Sturz ins Seil gegriffen habe, oder die Tatsache, dass ich die Seillänge nicht onsight geklettert bin. 

Nach dem Schreckmoment schaute sich Siebe die restlichen Züge an und kehrte zum Stand zurück und startete erneut. Zum Ausruhen blieb keine Zeit, denn die dicken Nebelwolken, die in der asturischen Sprache „Orbayu“ heißen, zogen auf.

Sie bringen plötzliche Feuchtigkeit mit sich und machen die Hände, Seile und Kletterausrüstung in wenigen Sekunden nass. 

Nach einem weiteren Beinahe-Sturz und mit drei Meter Schlappseil um in der schwierigen Kletterei nicht durch Seilzug behindert zu werden, erreichte Siebe dieses mal den Stand.

Ich klippte den Umlenker und schrie laut! Es war nur mein Schrei, sonst war niemand da.

Die schwierigsten Seillängen waren geschafft, aber es war noch nicht vorbei. Die beiden nächsten Seillängen waren lang, technisch und etwas furchteinflößend. Die Seillänge 4, bewertet mit 7c+, war eine 40 m lange vertikale Kletterei, die der fast geraden Linie der Normalhaken folgte. Frei kletternd war es allerdings unmöglich, den Haken zu folgen. Nach einem Zick-Zack-Kurs um die „Burilles“ und einer schwierigen Routenfindung schaffe Siebe die Länge jedoch sturzfrei.

Eine weitere 40-Meter-Herausforderung im Schwierigkeitsgrad 7b+ war noch übrig.
Sowohl in Sachen Sicherung, als auch in Sachen klettertechnischen Anspruchs ein kleines Abenteuer für sich. 

Trotz improvisiertem Material und nassem Seil, das sich kaum noch durch die Sicherung ziehen ließ, gelang dem nervenstarken Belgier aber auch hier ein Durchstieg.

Drei weitere 7a-, und sieben weitere leichte Seillängen und er stand auf dem Gipfel. 

Um 19 Uhr erreichte ich den Gipfel! Ich war über den Wolken, in der Sonne, ganz allein. Ein herrliches Gefühl, ich hätte nie zu träumen gewagt, dass ich zu einer solchen Leistung fähig bin und allein in meiner Wolke so viel Spaß habe. 

  • Credits Text Hanna Rexer f. kletterszene.com
  • Credits Fotos Frank Kretschman, David Lopez Campe
  • Beitragsdatum 4. September 2023