Siebe Vanhee gelingt Eintagesbegehung der „Odyssee“ an der Eiger Nordwand
Am Dienstag, den 30. Juli, gelang dem belgischen Kletterer Siebe Vanhee, mit der Unterstützung des amerikanischen Kletterers Tommy Caldwell, eine Begehung von „Odyssee“(8a/ 33Sl) in der Eiger Nordwand innerhalb eines Tages.
„Odyssee“ wurde 2015 von Roger Schaeli, Simon Gietl und Robert Jasper erstbegangen und gilt als die schwierigste Big-Wall-Freikletterei am Eiger. Die Route besteht aus 33 Seillängen mit Schwierigkeitsgraden bis 8a+ und einer Gesamtlänge von 1400m.
Siebe berichtet:
„Vor ein paar Monaten kontaktierte mich Tommy, um mit mir diesen Sommer in Europa zu Klettern. Wir würden uns für ein paar Tage treffen, um an der Produktentwicklung für unseren gemeinsamen Sponsor Edelrid zu arbeiten. Nach unserem Treffen begleiteten Tommy und ich Sébastien Berthe und Dörte Pietron auf einigen fantastischen Routen an der Schwarzen Wand im Höllental in Deutschland. Dann war uns nach mehr und Größerem. Ich war noch nie am Eiger geklettert und Tommy auch nicht. Das Wetter schien stabil zu sein. Wir hatten einige Zweifel, ob die Wand nach einem besonders feuchten Frühjahr trocken sein würde, aber zu unserer Überraschung sah die Wand so trocken aus, wie sie nur sein konnte.
Die Wahl unserer Route lag auf der Hand: Odyssee (8a+, 33 Seillängen, 1400 m)! Dies ist die größte und härteste Felsroute in der Eiger-Nordwand. Die Route wurde im Jahr 2020 zweimal an einem Tag begangen. Von Nicolas Favresse und Sébastien Berthe sowie von Jacopo Larcher und Babsi Zangerl. Das hat Tommy und mich inspiriert, dasselbe zu tun, eine freie Besteigung an einem einzigen Tag zu machen. Ich war allerdings sehr eingeschüchtert, denn beide Teams erzählten mir, wie schwierig das Finden der Linie ist und dass selbst die „leichteren“ Seillängen des 7. Grades sehr anspruchsvoll seien und manchmal auslaufen. Wir wussten, dass Babsi und Jacopo die Route schon einmal geklettert waren, und Seb und Nico hatten sie am Ende der Saison begangen, als die Griffe bereits mit Chalk markiert waren. Jetzt, nach dem nassen Frühling, würde die Routensuche noch viel herausfordernder sein.
Am Dienstag, den 30. Juli, starteten wir um 3.30 Uhr morgens am Fuße des Berges. Schere, Stein, Papier, entschied dafür, dass Tommy beginnen würde. Das offensichtliche Ziel war es, im Wechsel vorzusteigen und beide jede Seillänge frei zu klettern. Tommy hatte bereits angedeutet, dass er auf seiner Europareise nicht viel geklettert war und nicht in bester Form war, aber er würde alles geben.
Ab Seillänge 8, der ersten Seillänge im Schwierigkeitsgrad 7c/8a, beschloss Tommy, in den Support-Modus umzusteigen und mir zu helfen, die Route zu klettern.
Wir beschlossen, dass ich von diesem Punkt an vorsteigen würde und versuchen würde, so viele schwierige Seillängen wie möglich zu klettern, um eine saubere, freie Begehung möglich zu machen. Abgesehen von der Schlüsselstelle in Seillänge 10 (8a+). Hier hielten wir es für klüger, dass Tommy mir die Seillänge für eine Flash-Begehung präparieren würde. Er stieg zuerst hoch, markierte die Griffe und ermöglichte mir so einen Durchstieg im ersten Versuch. Dank seiner Hilfe bin ich durch die Seillänge gecruised! Von da an hatte ich das Gefühl, dass es läuft. Das Klettern war langsam, die Beta-Suche war schwierig, aber ich schaffte es ohne Stürze bis zur Seillänge 20 (7c), wo ich mich zu oft verirrte. Es war ein 45-minütiger Kampf, um diese Seillänge ohne Stürze zu schaffen. Unglücklicherweise stürzte ich kurz unter dem letzten Zug und bekam einen soliden 15-Meter-Sturz ab.
Benommen und geschwächt von der Anstrengung, zog ich mich wieder hoch, überprüfte die Züge, seilte mich ab und kletterte die Seillänge in meinem zweiten Versuch. Wir kletterten weiter durch die nächsten, endlos erscheinenden Seillängen, bis zum Stand der Seillängen 28 (7c) und 29 (8a). Seb hatte uns vor diesen Seillängen gewarnt, da sie die Schlüsselstellen für einen Durchstieg von Odyssee sein würden.
Ich war bereits in Seillänge 20 gestürzt, so dass der sturzfreie Aufstieg nicht mehr möglich war. Ich arbeitete die Züge der beiden Seillängen aus und kletterte sie beide beim zweiten Versuch. Für die letzten vier Seillängen, die nur mit 6a/b bewertet sind, brauchten wir weitere drei Stunden.
Das Gestein war locker und mein Gehirn war nach 18,5 Stunden Konzentration auf das harte Klettern schon ziemlich kaputt. Es war dunkel und die Absicherung war schwer zu finden. Der Schlafmangel machte sich bemerkbar, und es wurde zu einer Herausforderung, an den Ständen wach zu bleiben.
Um 1 Uhr nachts, nach insgesamt 21,5 Stunden Klettern, hatten wir die Odyssee innerhalb eines Tages geklettert!
Tommy war ein fantastischer Partner, positiv und optimistisch, dass ich diese Tour schaffen würde. Ich habe selten eine so gute Partnerschaft mit jemandem erlebt, den ich kaum kenne. Er hat mich nicht nur den ganzen Weg über unterstützt, er war einfach nur glücklich und genoss dieses Fest des Leidens und versuchte, so viele Längen wie möglich zu befreien. Ich bin zufrieden mit der Leistung, aber noch dankbarer bin ich für die Erfahrung und die Zusammenarbeit mit Tommy.
Ich möchte mich auch bei Roger Schäli, Simon Wahli und Jonas Schild für die vielen praktischen Infos zur Logistik und zur Strecke bedanken.“