Sanfte Wiesen und harte Züge [Andi Bindhammer im Allgäu]
Andreas Bindhammer holt sich Wiederholungen der härtesten Route und des schwersten Boulders im Allgäu
Das Frühjahr im Südwesten Deutschlands war kurz und der Sommer heiß und feucht. Was gut ist für die Flora, ist es ganz und gar nicht für die Kletterer.
Allen Widrigkeiten zum Trotz gelingt Andreas Bindhammer im April die bisher einzige Wiederholung des Top-Boulders Jagun, fb 8b/8b+ auf die Originalvariante von Hary Röker. Der erste Zug des Sitzstartboulders ist dabei gleichzeitig auch der schwerste. Bei geringer Körpergröße reduzieren sich die Trittmöglichkeiten auf ein abschüssiges Käntchen, das die gesamte Körperspannung auf den Fels übertragen muss. Ein brachialer Schulterzug führt über einen Sloper-Kiesel in eine positve Drei-Finger-Schale, die mittels eines Zweifinger-Seitgriffes eineinhalb Meter durchzuziehen ist. Einen Schulterzug weiter wartet bereits der Ausstiegsgriff. Das Bouldern im Allgäu – kurz und kompromisslos.
Etwas länger musste die aktuelle Top-Route im Südwesten Deutschlands auf ihre erste Wiederholung warten. Trotz einiger viel versprechender Versuche an den trockeneren Tagen des Sommers wurde es Ende August bis es Andreas Bindhammer gelang, die 15 Züge der Route fehlerlos aneinander zu reihen. Ein Tiefdruckgebiet hatte die Temperaturen abgesenkt und der Regen sich verzogen. Der Wind kam aus Nordwesten – eine absolute Seltenheit in der Gegend. Trotz anfänglich feuchter Griffe fast ideale Voraussetzungen für die weiten Züge an den abschüssigen Leisten von Frontman Deluxe 8c+/9a. – Ein mit fb 8a/8a+ bewerteter Boulder führt zur einzigen Clip-Position der Schlüsselpassage, einem seichten Loch in 4m Höhe. In der anschließenden fb 8a+ Passage sollte man sich keinerlei Fehler leisten. Die geringste Abweichung von der idealen Körperposition, die kleinste Unsicherheit führen unweigerlich zum Sturz. Und den sollte man sich besonders am Ende dieser Passage nicht leisten, vor allem nicht beim Nachclippen des notwendigerweise zu überkletternden dritten Hakens. Das Resultat in diesem Fall wäre ein Sturz aus 7m Höhe auf den Boden. Sich während des Sturzes noch drehen zu können um auf den Füßen zu landen wäre dabei sicher noch das Optimum. – Also: an die Festigkeit des Konglomeratgesteins glauben, nicht weiter darüber nachdenken und zuschrauben was das Zeug hält. Was nicht allzu oft mit einem Hänger gelang, klappt an diesem kühlen August-Tag ohne Sturz, wenn auch unter deutlich erkennbar angespanntem Zittern.
Also: an die Festigkeit des Konglomeratgesteins glauben, nicht weiter darüber nachdenken und zuschrauben was das Zeug hält. Was nicht allzu oft mit einem Hänger gelang, klappt an diesem kühlen August-Tag ohne Sturz, wenn auch unter deutlich erkennbar angespanntem Zittern.
Es ist geschafft! – Die beiden ultimativen Projekte im Allgäu müssen sich endlich geschlagen geben…
Interview mit Andreas Bindhammer
Die Beschreibungen der Boulder und Routen klingen fast so, als könnten sie auch in der Fränkischen Schweiz stehen. – Gibt es Parallelen zwischen dem Klettern im Allgäu und dem im Frankenjura?
Was Länge und Charakteristik der neu erschlossenen Gebiete anbelangt trifft das durchaus zu. Das Konglomeratgestein im Allgäu weist zwar weniger Fingerlöcher und dafür mehr Leisten und Zangen auf, aber Kletterer, die sich in der Fränkischen wohl fühlen, dürften auch mit den Allgäuer Felsen gut zurechtkommen. Im Allgäu gibt es natürlich eine deutlich geringere Zahl an erschlossenen Felsen, alles konzentriert sich auf einige wenige Gebiete.
Wie beurteilst du nach deinen Wiederholungen die Bewertungsvorschläge der Erstbegeher?
Jagun zu bewerten fällt mir sehr schwer. Bei einer Länge von – mit Zwischengriffen – fünf Zügen spielt vermutlich der „Liegfaktor“ eine große Rolle. Boulderer mit mehr Körpergröße dürften es jedenfalls etwas leichter haben. Vielleicht ist der Boulder für meine Größe 8b+, für jemanden mit 1,80 m oder mehr dann 8b. Verglichen mit meinem Boulder 1st Class TickIt! finde ich die Gesamtanforderungen bei Jagun etwas geringer, aber solche Einschätzungen sind immer sehr subjektiv. Eine Route wie Frontman Deluxe kann ich mit nichts vergleichen, was ich bisher geklettert bin. Zwei Boulder im Grad 8a/8a+ hintereinander zu klettern und dabei auch noch die Zwischensicherungen einzuhängen, das ist für mich recht neu und daher schwer zu bewerten. Gehe ich aber davon aus, dass mir die Art der Kletterei wirklich liegen sollte, da ich mich ja überwiegend an dieser Art von Griffen bewege, finde ich die Bewertung eher vorsichtig gewählt. Da der für mich schwerste Zug aber ein Spannweitenproblem an einem für mich etwas zu schmalen Loch darstellt, könnte ich mir durchaus vorstellen, mit ungünstigen Voraussetzungen gekämpft zu haben.
Du hast einige neu erschlossene Gebiete erwähnt. Tut sich im Südwesten etwas in der Hinsicht?
Dieses Jahr wurden von meinem Bruder Christian zwei neue Felsen mit eher kurzen, maximalkräftigen Routen eingebohrt. Durch die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten sind hier eine ganze Menge schöner Linien entstanden. Auf den ersten Blick erscheint alles etwas verwirrend, beschäftigt man sich jedoch eingehender mit den Routen, findet man sehr schöne Zugkombinationen, die allesamt auch logisch sind. Vor allem die Jesuswand bietet eine Menge neuer Routen von 8a+ bis 8c/8c+ mit bis zu 15m Länge. Auch „ältere“ Gebiete wie Tiefenbach bei Oberstdorf erhalten ständig neue Linien. Hary Röker ist hier als einer der Haupterschließer zu nennen – ständig aktiv auf der Suche nach Neuland. Vor allem in den oberen Schwierigkeitsgraden hat sich dieses Jahr eine Menge getan im Allgäu.
Warst du auch aktiv beim Erschließen neuer Routen?
Bisher habe ich leider nur Zeit gefunden, die meisten neuen Routen und Boulder in der Region zu wiederholen. Ich bin beruflich momentan stark eingespannt und da kommen mir die neuen Herausforderungen „vor der Haustür“ sehr gelegen. Sofern die Witterungsbedingungen es zulassen kann ich so trotz Arbeit noch täglich ein paar Stunden am Fels verbringen und mich auf zukünftige Projekte vorbereiten.
Ist das Allgäu auch für Nicht-Locals empfehlenswert und rechtfertigt auch eine längere Anreise?
Ich bin der Meinung, die Gebiete hier sind durchaus eine gute Alternative zum Frankenjura. Wir haben zwar nicht ganz die Vielfalt an Möglichkeiten, aber es ist ja auch nicht immer die Quantität, die zählt…
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Text: Andreas Bindhammer, Fotos: Axel Oeland
[Bei dem KS.COM Artikel – Daniel Woods klettert seine erste 9a – Haben wir leider den Christian Bindhammer als Erstbegeher erwähnt. Dies ist falsch und dafür möchten wir uns entschuldigen: Erschlossen wurde KinematiX 2001 von Andreas Bindhammer]