Roger Schäli, Filippo Sala und Silvan Schüpbach gelingt spektakuläre Erstbegehung im Bergell

Vom 6. bis 9. März gelang den erfahrenen Alpinisten Roger Schäli, Filippo Sala und Silvan Schüpbach eine bedeutende Erstbegehung: Sie durchstiegen den zentralen Teil der Nordwand der Punta Pioda. Dieser steile und kompakte Wandabschnitt war bisher unberührt und bot extreme klettertechnische Herausforderungen. Für Silvan Schüpbach markiert diese Tour einen weiteren Meilenstein in seinem Langzeitprojekt, die weniger bekannten Nordwände der Alpen zu erkunden.

Die Wand

Die Nordwand der Punta Pioda (3237 m) ist eine beeindruckende Erscheinung inmitten der Bergeller Sciora-Gruppe. Es ist erstaunlich, dass, abgesehen von einer Route im rechten Wandteil, diese Wand bis dato kaum Beachtung fand.

Silvan Schüpbach hegte schon seit einigen Jahren den Wunsch, diese Wand zu durchsteigen. Allerdings kam bei jedem Versuch etwas dazwischen. So auch in diesem Winter: Im Dezember konnte er mit Ines Papert den unteren Teil der Wand erkunden. Kurz darauf brach es sich jedoch einen Fußknochen, und das Projekt musste vorerst auf Eis gelegt werden.

Neues Jahr, neuer Anlauf

Am 5. März stieg Silvan Schüpbach dieses mal mit den beiden Alpinisten Roger Schäli und Filippo Sala zur Sciorahütte auf. Die Rucksäcke waren schwer, ihre Motivation hoch. In der Hütte gab es einiges zu tun: Schnee schmelzen, den Kamin freilegen und die Holzvorräte auffüllen.

Am nächsten Morgen starteten sie früh in die Wand. Im Dezember hatten Silvan und Ines bereits einige plattige Seillängen im ersten Wandteil geklettert. Nun war dieser Abschnitt ein einfaches Schneefeld, und die dreier Seilschaft erreichte schnell die erste überhängende Steilstufe. An diesem Tag schafften sie lediglich vier Seillängen. Der Fels war brüchig und sandig, so dass sie gezwungen waren, viel technisch (Artif) zu klettern. Silvan versuchte jedoch, zumindest im Nachstieg frei zu klettern, was ihm mehr oder weniger gelang.

Nachdem sie die ersten Seillängen mit Fixseilen versehen hatten, kehrten sie zur Hütte zurück. Obwohl sie sehr langsam vorangekommen waren, waren sie euphorisch, da sie ihr erstes Ziel, die große Schneerinne, erreicht hatten.

Am nächsten Morgen starteten sie ihren „Push“, mit dem Ziel, in der Wand zu bleiben. Der Aufbruch war hektisch, und sie räumten die Hütte nur notdürftig auf. Laut Hüttenbuch war in diesem Winter niemand sonst hier gewesen, und sie rechneten nicht mit weiteren Besuchern.

Nach harter Arbeit erreichten sie mittags das Ende der Fixseile, mit dem gesamten Material für drei Tage in der Wand. Filippo und Roger kletterten weiter, während Silvan das Biwak vorbereitete. Am Nachmittag bemerkte er zwei Bergsteiger, die zur Hütte kamen. „Ausgerechnet jetzt!“, dachte er sich. Sie hätten besser aufräumen sollen. Andererseits sollten der freigelegte Kamin, der aufgefüllte Holzvorrat und das Wasser auf dem Herd eine Entschädigung für die Unordnung sein. Doch er sollte sich täuschen: Als Filippo und Roger zum Biwak zurückkehrten, wurden sie bereits in den sozialen Medien für den Zustand der Hütte kritisiert.

Die Alpinisten fühlten sich schuldig und erkannten ihren Fehler. Niemand möchte die Unordnung anderer Leute beseitigen. Dennoch waren sie überrascht, dass die Vorwürfe – von einem ihnen bekannten Kollegen – nicht direkt an sie gerichtet wurden, sondern öffentlich zur Schau gestellt wurden. Silvan versuchte, den Kollegen telefonisch zu erreichen, um sich zu entschuldigen, doch dieser war nicht erreichbar. So blieb ihm nur eine Entschuldigung per WhatsApp.

Es folgte eine kalte Nacht voller Zweifel. Den Schwierigkeiten der Wand zu trotzen, war die eine Sache, gleichzeitig der „Bösewicht“ zu sein, eine ganz andere. Am nächsten Morgen sagten sie sich: „Jetzt erst recht!“ Tatsächlich wich die Bedrückung dem Bedürfnis, nun erst recht alles zu geben und die Route zu beenden. Zum Glück durfte Silvan als erste Seillänge des dritten Tages einen richtig fiesen, engen Kamin klettern – die perfekte Ablenkung, um auf andere Gedanken zu kommen.

Weiter oben kletterte Silvan einen sehr steilen, diagonalen Riss, der sie zum letzten Biwakplatz führen sollte. Mit guten Vorsätzen kletterte er frei im Schwierigkeitsbereich M8, platzierte Cams hinter riesigen, losen Schuppen und ließ sich Sand und Dreck in die Augen rieseln. Doch der gute Wille ließ rasch nach, und er wechselte zur technischen Kletterei, die zwar langsamer, aber auch sicherer war. Gerne überließ er später Roger den Vorstieg, der sie mit dem letzten Tageslicht zum Biwakband führte. Filippo hatte heute eigentlich „Ruhetag“, musste aber die ganze Zeit überhängende Traversen jumaren und Material nachziehen – und kam genauso müde wie die anderen beiden ins Biwak.

Der vierte Tag erlöste sie von der kalten Nacht. Silvan war ziemlich erschöpft und froh, dass Filippo die Initiative ergriff. Filippo führte sie mit einem Abseiler und durch eine Rinne zum Normalweg. Schnell führte er sie durch das kombinierte Gelände auf den Gipfel und in die Sonne – endlich etwas Wärme!

Dieses großartige, entbehrungsreiche Abenteuer in wilden, unbekannten Bergen in unseren Alpen wird den Alpinisten noch lange in Erinnerung bleiben. Es war ihre erste gemeinsame Unternehmung, und sie harmonierten hervorragend als Team.

Abschließend äußerten die Alpinisten den Wunsch, dass alle Bergsteiger*innen die Regeln für die Winterräume in den Hütten einhalten (sie selbst eingeschlossen!) und dass Konflikte im direkten Gespräch und nicht über soziale Medien gelöst werden sollten.

  • Credits Text Silvan Schüpbach , kletterszene.com
  • Credits Fotos Silvan Schüpbach
  • Beitragsdatum 17. März 2025