Ein typischer Go mit null Erwartungen – Martina Demmel im Interview
7. April 2021: Dieses Datum wird Martina Demmel wohl nie vergessen. An diesem Tag kletterte die 19-Jährige ihre erste 9a, „Joe-cita“ im spanischen Oliana. Erst vor knapp vier Jahren begann Martina zu klettern. Eine Freundin nahm sie damals mit in die Halle, danach war sie angefixt. Mittlerweile hat die Oberbayerin, die früher übrigens Skirennen fuhr, eine beeindruckend lange Ticklist: Im vergangenen Mai kletterte sie ihre erste 8c in Franken – und scheint seitdem im Abzockmodus zu sein: Ihre letztjährige Routenbilanz mit 201 Routen im achten Franzosengrad spricht Bände. Mittlerweile spult sie 8c´s am laufenden Band. In diesem Jahr waren es bereits etwa zehn 8c´s und schwerere Touren, die sie für sich verbuchen konnte. Eine 9b sei für sie momentan aber definitiv noch unvorstellbar, sagt Martina im Gespräch mit Kletterszene.com. Wir sagen: „Warten wir´s ab…“
Ks.com: Martina, Glückwunsch zur ersten 9a. Hast du in dem Moment, als du den Umlenker geklippt hast, eigentlich realisiert, was da gerade passiert ist?
Martina Demmel: Vielen lieben Dank! Nein, das habe ich jetzt Tage später immer noch nicht wirklich realisiert – und es fühlt sich immer noch mehr wie ein langer Traum an. Beim Klippen des Umlenkers hatte sich bei mir gedanklich eigentlich verfestigt, dass es eigentlich unmöglich war, dass ich nicht in der Platte gefallen bin… total verrückt!
Eigentlich wolltest du an diesem Nachmittag ja gar nicht in Joe-cita einsteigen… hast es dann aber doch getan…
Ich war an diesem Nachmittag zuerst ziemlich müde und überhaupt nicht in der Stimmung, Vollgas zu geben. Aber als dann alle anderen Touren, die ich noch offen hatte, gerade belegt waren, dachte ich mir spontan: „warum eigentlich nicht zum Einschleifen die Züge nochmal auschecken“. Es war ein typischer Go mit null Erwartungen – und dazu perfekten Bedingungen und bester Unterstützung der anderen Kletterer am Fels. Das lässt einen gleich viel befreiter und risikobereiter klettern.
9a: ist das für dich ein Meilenstein?
Der Grad selbst hat schon etwas Magisches und Motivierendes an sich, war aber – nachdem ich die beiden wunderschönen Hälften von „Joe-cita“ kannte -, nie das Hauptziel. Vielmehr ging es mir darum, Spaß an den einzigartigen Zügen zu haben und dabei einfach mal zu kämpfen, bis zum geht nicht mehr und zu schauen, wie weit ich komme – ohne einen großen Gedanken an einen Durchstieg zu haben. Der kam dann erst, als ich das erste Mal von unten an der Platte ankam… obwohl ich mir da immer noch sicher war, zu fliegen…
Du hast Joe-cita (9a) in nur fünf Versuchen geklettert. Lag dir die Tour oder bist du momentan im absoluten Abzockmodus?
Beides! Nein, Spaß beiseite (lacht). Ich kannte beide Hälften davor schon ein wenig, weil „Joe-cita“ (9a) ein Linkup von „Joe Blau“(8c+) und „La morenita“ (8c+) ist und nach dem Durchstieg dieser beiden Touren brauchte ich dann noch fünf weitere Versuche. Ansonsten würde ich sagen, dass meine Ausdauer mittlerweile auch nicht die schlechteste ist, was bestimmt geholfen hat. Dazu kamen die entspannte Atmosphäre am Fels mit den vielen inspirierenden Leuten und über die ganzen Wochen immer gute Bedingungen. Viel Glück war natürlich auch dabei, weil ich gefühlt nicht fitter als letztes Jahr bin.
Im vergangenen Mai bist du erst deine erste 8c geklettert. Inzwischen kletterst du 8c´s am Fließband. Gibt´s eine Erklärung, wie man so schnell so verdammt gut wird?
Das ist eher schwer zu sagen, wahrscheinlich liegt das am ehesten daran, dass ich immer viele verschiedene Touren auch unter meinem Limit probiere und dadurch schneller die für mich perfekte Lösung in neuen Touren finde – was natürlich Kraft und Versuche spart. Und wenn es gerade gut läuft, kann man auch viel entspannter und ohne Erwartungen in neue Touren reinstarten, was auch sehr hilft. Sonst kann ich mir das selbst leider nicht wirklich erklären…
Und wie viele 8c´s und schwerere Touren waren es in diesem Jahr dann eigentlich schon?
Gute Frage, da müsste ich glatt mal nachschauen… auf jeden Fall viiiiel mehr, als ich mir in so einer kurzen Zeit erträumen hätte können! Für die neugierigen Leute: so um die zehn Routen 8c und schwerer waren es bislang in diesem Jahr.
Du bist noch ein paar Tage in Oliana: was passiert da noch?
Nicht mehr viel, außer, dass ich die letzten Tage mit dem entspannten spanischen Lifestyle nochmal voll genießen werde. Ein Tag ist auch noch für einen kleinen Dreh in Oliana geplant, aber da lasse ich mich selbst noch überraschen, was dabei rauskommt. Hoffentlich kommt das coole Freiheitsgefühl mit den besten Leuten hier gut rüber (lacht).
Du kletterst erst seit vier Jahren, hast aber schon jetzt ein unglaublich hohes Niveau: ist es für dich vorstellbar, eine 9b zu klettern?
Nein, weil 9a+ schon überhaupt nicht vorstellbar ist und 9b dann erst recht nicht. Erst möchte ich noch mehr Erfahrung im unteren elften Grad sammeln, bevor ich an sowas denke. Da gibt es noch viel zu viele Touren, die ich gern probieren möchte – anstatt viel Zeit nur in eine einzige zu investieren.
Wie geht es weiter mit Martina Demmel? Was hast du für Pläne – und denkst du eventuell an eine Profikarriere?
Ich glaube, das Leben als Profikletterer kann man nicht planen, weil das von so vielen Faktoren abhängt. In diesem Sommer möchte ich erstmal ein wenig in das Wettkampfklettern – vor allem im Lead – hineinschnuppern. Ich habe das Glück, seit diesem Jahr Mitglied des Nationalkaders zu sein. Ansonsten möchte ich auf jeden Fall jede freie Minute am Fels verbringen – wenn es die Haut mitmacht.
Vielen Dank und weiterhin viel Spaß beim Klettern.