Wie geht kommerzieller Routenbau? Kletterszene im Gespräch mit Peter Zeidelhack
Im Teil II der Serie Routenbau geht es um den kommerziellen Routenbau: Der ist für ihn eine Dienstleistung, sagt Peter Zeidelhack. Der 43-Jährige Wahlmünchner ist Mitglied der Geschäftsleitung des DAV-Verbundes in der Region München, einem Zusammenschluss der vier Kletterzentren in Thalkirchen, Freimann, Gilching und Bad Tölz. Dort ist er nicht nur für den Routenbau in den Hallen zuständig, sondern er schraubt auch selber. Der gebürtige Ludwigsburger studierte Sportwissenschaften, für sein Hauptstudium kam er 2001 nach München und rief dort die Münchner Stadtmeisterschaft mit ins Leben. „Für mich ging es aus dem Studium raus und in die Kletterhalle rein“, sagt Zeidelhack. Dort ist er dann auch geblieben: „Ich kann nichts anderes.“
Ks.com: Peter, was macht für dich eine gute Route aus?
Peter Zeidelhack: Sie muss den Kletterer fordern, aber nicht überfordern. Und sie muss ihm auch und in erster Linie Spaß machen – der Spaß steht definitiv im Vordergrund.
Was sind die Unterschiede zum Wettkampfroutenbau?
Der kleinste gemeinsame Nenner ist, Griffe an die Wand zu schrauben. Beim kommerziellen Routenbau geht es darum, dass die Route beim Klettern Freude bereiten soll, sie soll den Bedürfnissen der Besucher entsprechen. Beim Wettkampf ist das Ziel, dass nur einer oben ankommt, die Route soll einen Split herstellen
Das heißt, ihr schraubt nach dem Geschmack der Besucher?
Definitiv. Wir sind letztendlich Dienstleister im Breitensport. Die Besucher investieren Geld und ihre Freizeit, ihnen soll es gefallen. Und sie sollen danach sagen, wir kommen morgen oder übermorgen wieder. Ich stelle mir beim Schrauben immer die Frage, was ich abfragen kann. Beim Anfänger geht es beispielsweise darum, ein spannungsfreies Klettern zu generieren, ihn an die Wand zu bringen. Dazu gehört dann auch das Erfolgserlebnis, es ganz nach oben geschafft zu haben. Die Sicherheit steht aber bei allen Routen – egal in welchem Schwierigkeitsgrad – für uns an oberster Stelle.
Entscheidet der Routenbau letztendlich über den Erfolg einer Halle?
Christian Popien (Hallenberater und Hallenbetreiber; Anmerkung Kletterszene.com) hat einmal gesagt, dass die Routen das zentrale Element für den Erfolg sind. Ich sehe das genauso. Deshalb kommen ja auch die Leute in die Hallen: um zu klettern – und nicht, um Burger zu essen oder um einen Kaffee zu trinken. Wir „verkaufen“ Klettern, es geht darum, dass die Besucher der Halle treu bleiben, weil ihnen der Routen und Boulder Spaß machen.
Gibt es eine Ausbildung, um kommerzieller Routenbauer zu werden?
Seit 2013 gibt es vom Deutschen Alpenverein den Lehrgang „Routenbauer Breitensport“. Der Fokus dabei liegt auf dem Thema Sicherheit. Inzwischen haben etwa 150 Leute diese Lizenz erworben und sind ausgebildete Routenbauer. Ich habe das Konzept damals mitentwickelt, beteiligt waren daneben Christian Popien, Tom Brenzinger, Dave Cato, Stevie Hilgers und andere. Das Lehrteam heute besteht aus fünf Ausbildern, ich bin der Koordinator des Teams. Es gibt immer wieder 14-tägige Kurse – ähnlich wie die zum Trainer C. Darüber hinaus gibt es in Deutschland aber keine Angebote. Die meisten Routenbauer in Deutschland schrauben aber, ohne diesen Schein zu haben. Früher war übrigens einmal eine IHK-Ausbildung in Rede, das wurde aber nie umgesetzt. Aber in meinen Augen würde der Routenbau auch keine drei Jahre, die diese ja dauert, füllen.
Verdient man genug, um davon leben zu können?
Sich sein komplettes Leben damit zu finanzieren, ist immer noch schwierig. Der Job ist körperlich sehr anstrengend, eigentlich zu fordernd für den Körper – zumindest für das Geld, das man normalerweise dafür bekommt. Es gibt nur sehr wenige Routenbauer in Deutschland, die so ein Standing haben, dass sie ganz andere, wesentliche höhere Honorare fordern können. Eigentlich aber bräuchte es andere Stundenlöhne, ähnlich denen, die im Handwerk gezahlt werden. Momentan sagen viele junge Leute, dass sie sich für dieses Geld nicht kaputtmachen. Es sind halt viele, die den Routenbau als Studentenaushilfsjob machen… aber das passt nicht wirklich zusammen mit dem Stellenwert, den der Routenbau für die Hallen hat beziehungsweise haben sollte. In unseren Verbundhallen ist es so, dass wir hauptamtliche Schrauber haben, die durch Minijobber ergänzt werden. Wir legen Wert darauf, ein eigenes Team zu haben. Aber auch als Hauptamtlicher kann man auf Dauer nicht mehr als zwei oder drei Tage in der Woche schrauben, danach bist du fertig.
Was zeichnet einen guten Routenbauer aus?
Ganz einfach: Empathie und Demut. Empathie, um sich in die Kletterhallenbesucher reinversetzen zu können, aber auch im Team gut arbeiten zu können. Demut brauchen wir, um unseren Selbstverwirklichungsdrang vor dem Schrauben abzulegen. Wir machen das nicht für uns, sondern wir schrauben für andere. Es gibt da einen guten Satz von Helmut Thoma, dem früheren RTL-Chef: „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“.
Wie gehst du bei dem Schrauben einer Route vor?
Der Plan ist schon ein Stück weit vorgegeben: Da ist die Frage, in welcher Linie du schraubst, dort gibt es immer bestimmte, mögliche Farbkombinationen. Und letztendlich entscheidet dann das verfügbare Angebot im jeweiligen Griffsortiment, was ich schrauben kann…
das ist dann ein bisschen wie ein Puzzlespiel. In erster Linie muss die Tour sicher sein, das bedeutet, dass mindestens bis zum dritten Haken die Clip-Positionen dem Grad entsprechend einfach sein sollten. Und dann sollte die Kletterei nicht trivial sein, kein reines Rechts-Links bedeuten. Sehr selektive Routen, bei denen ein Zug entscheidend ist, sind aber auch die Ausnahme. Das sind für mich die wichtigsten Kriterien.
Wie wichtig ist die Optik einer Route?
Der erste Eindruck zählt natürlich. Das ist wie bei Äpfeln auf einem Markt: Wenn sie poliert sind und schön aussehen, dann löst das visuell einen Impuls aus, der auf alle Fälle eine Rolle spielt. Die Optik ist ganz sicher ein Faktor.
In Freimann und Thalkirchen sind die Routen bis zu 20 Meter hoch, welche Sicherheitsmaßnahmen haben die Schrauber?
Bis auf wenige Komponenten ist das mit der Industriekletterei vergleichbar. Wir sind mit einem Fixseil und Sicherungsgerät abgesichert, dazu haben wir ein zweites Seil mit einem mitlaufenden Auffanggerät als Redundanz – und der Grifftransport findet an einem weiteren Seilsystem statt. Das Prinzip der Redundanz ist dabei am wichtigsten.
Schraubt ihr normalerweise von der Hebebühne oder vom Seil aus?
Im Verbund im Verhältnis deutlich mehr aus dem Seil. Dadurch wird unserer Meinung nach die Qualität der Routen besser, denn dann bist du direkt an der Wand. Seilschrauben ist zwar anstrengender, aber man ist nicht unbedingt langsamer. Wenn ich die Wahl habe und das Gelände passt, gehe ich immer ins Seil. Wenn die Wände aber zu steil sind, schrauben wir natürlich aus der Hebebühne.
Wer entscheidet, ob eine Route gelungen ist?
Wir haben Besucher, von denen wir Feedback bekommen. Wir schicken aber auch Leute in neue Touren rein. Ich teste meine Routen schon während des Schraubens. Wenn du von der Hebebühne aus arbeitest, ist das natürlich nicht möglich, dann muss noch jemand die Tour klettern – alleine schon um zu sehen, ob die Griffe fachgerecht montiert sind. Ich denke, es ist auch von der Erfahrung abhängig, die jemand hat, ob eine Route gleich gelungen ist. Ich mache es so, dass ich mir beim Schrauben einen imaginären Kletterer mitnehme und ihn mir auf die Schulter setze. Den frage ich dann, ob er beispielsweise noch einen zusätzlichen Griff oder Tritt braucht oder ob ein bestimmter Zug möglich ist. Bei den Neutouren gibt es übrigens die allermeisten Diskussionen wegen des Schwierigkeitsgrades.
Schraubst du auch Boulder oder hast du dich auf Leadrouten fokussiert?
Ich schraube auch Boulder, sehe mich aber eher als Routenschrauber. Das Schrauben von Bouldern ist aber grundsätzlich ein ganz anderes: Bei einem Boulder kannst du schon den ersten oder zweiten Zug so schwer machen, dass das dann die Schlüsselstelle ist. Oder du baust in Bodennähe einen instabilen Zug ein. Das ist bei den Leadrouten aus Sicherheitsgründen nicht möglich, dort sind Dynamik und instabile Positionen insgesamt weniger gefragt.
Wo siehst du die Zukunft des Routenbaus?
Der Routenbau muss besser gewertschätzt werden – in der Breite. Dazu gehört unter anderem eine bessere Bezahlung für dieses wichtige Berufsbild, das über Wohl und Wehe der Kletterhallen entscheidet. Und eine höhere Wertschätzung. Es müsste grundsätzlich mehr in den Routenbau investiert werden. Was ich mir persönlich wünschen würde, wären mehr Frauen in dieser Männerdomäne: Schrauberinnen gibt es nach wie vor kaum – leider.