Embrace Gravity (8B+) – Kim Marschners Liebeserklärung ans Tessin
Das erste Mal war ich 2016 im Tessin. Damals wurde Kim Marschner 18 und durfte endlich Auto fahren. Er kaufte sich einen Bus, lud zwei Freunde ein und fuhren mit ihnen in die Schweiz.
Ich verliebte mich sofort in das Tessin und wusste, dass ich in diesem Bouldergebiet Zeit verbringen wollte, um legendäre Klassiker zu wiederholen und neue Boulder zu erschließen.
Schon bald richtete sich Kims Aufmerksamkeit auf das Val Bavona. Das ist ein Seitental des Valle Maggia, und als er zum ersten Mal dort hinfuhr, war Kim von der unglaublichen Menge an Boulderblöcken überwältigt. Man fährt dieses enge Tal hinauf, und gleich am Anfang befinden sich links und rechts der Straße ganze Felder mit Felsblöcken. Das Besondere an Bavona ist, dass die meisten der erschlossenen Boulderprobleme 8A oder schwieriger sind. In diesem kleinen Tal gibt es über zehn mit 8C und schwerer bewertete Boulderprobleme. Auch Kim kennt keinen anderen Ort auf der Welt, wo das so ist.
Ich bin stunden- und tagelang durch den Wald und die Hügel hinaufgewandert, um nach Boulderblöcken zu suchen. Mich motiviert der Gedanke, den einen Boulder zu finden, der sich von allen anderen abhebt. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht einmal, wie dieser Boulder aussehen sollte. Auf jeden Fall sollte er hoch und schwer sein, überhängend, mit klaren Strukturen. Aber letztlich ist es schwer, sich diesen Boulderblock vorzustellen, und deshalb werde ich immer weitersuchen und wahrscheinlich nie damit aufhören.
Letztes Jahr haben Jimmy Webb und sein Freund Roman diesen wirklich coolen Felsblock ganz oben im Tal gefunden. Sie haben mich eingeladen, den Boulder gemeinsam zu versuchen. Es ist eine große überhängende Wand mit verrückten Strukturen. Ehrlich gesagt kommt sie dem perfekten Boulder, der mir vorschwebt, schon ziemlich nahe. Aber wie schon gesagt, ich möchte immer etwas noch Größeres finden.
Jimmy kletterte bald eine Linie auf der linken Seite des Blocks und nannte sie „The New Abnormal“. Es ist ein großartiger 8B+/C Boulder, der aber bei kleiner Körpergröße schwieriger ist. Mein Fokus lag eher auf dem rechten Ausstieg des Boulders, denn bei dieser Linie spielte die Körpergröße keine wirkliche Rolle.
Aber letztes Jahr konnte ich den entscheidenden Zug nicht bis zum Saisonende klettern
Dieses Jahr bin ich mit dem Ziel zurückgekehrt, den Boulder zu knacken. Schon am zweiten Tag in Bavona trug ich alle meine Crashpads dorthin und startete einen neuen Anlauf. Ich fand schnell heraus, dass die Züge, die ich letztes Jahr versucht hatte, nicht funktionierten. Also suchte ich nach einem anderen Weg.
Anstatt von einem kleinen leistenartigen Loch zu einer flachen Leiste zu schnappen, fand ich einen Toehook für den rechten Fuß sowie eine Möglichkeit, mit dem linken Fuß hoch anzusteigen, sodass ich diesen Zug statisch halten konnte. Nach vielen Versuchen habe ich den Zug schließlich zum ersten Mal geschafft. Das Spiel geht weiter!
Beim nächsten Mal fühlte ich mich müde und konnte den Zug nicht mehr klettern. Etwas frustriert beschloss ich, zwei Ruhetage einzulegen und es mit neuer Energie zu versuchen. Mein Plan ging auf, und ich konnte den Zug wiederholen, aber ich war immer noch nicht in der Lage, den Start mit ihm zu verbinden. Beim nächsten Mal waren die Bedingungen besser, die Haut an meinen Fingern war top und ich fühlte mich stark. Nachdem ich mich gründlich aufgewärmt hatte war ich bereit, es zu versuchen, aber ich stürzte wieder an der Schlüsselstelle. Wenn man von unten kommt, ist es wirklich schwer, das schmale Loch auf die richtige Art und Weise zu greifen, und das macht den Zug noch anspruchsvoller. Ein weiterer Versuch, der nächste Sturz. Nochmal – wieder nichts. Ich merkte, dass ich müde wurde und es Zeit für eine Pause war. Ich lief hinunter zum Parkplatz und wärmte mich in meinem Wagen auf. Ein kleiner Snack für etwas Energie und dann war ich bereit, es ein letztes Mal zu versuchen.
Ich kletterte zur Schlüsselstelle, erwischte das Loch perfekt, setzte meinen linken Fuß, platzierte den rechten Toehook und zog so fest wie ich konnte. Ich habe es gerade noch geschafft, die nächste Leiste zu erwischen, doch dann wurde mir klar, dass ich jetzt nur noch durchhalten musste. Nach diesem Zug ist es immer noch nicht vorbei, aber ich hatte die Sequenz ziemlich gut einstudiert und wusste, dass ich es schaffen konnte.
Wenige Sekunden später hatte ich „Embrace Gravity“ (8B+), durchstiegen – als Erstbegehung. Was für ein Gefühl!
so Kim Marschner