Drei Kanten – Drei Zinnen
Florian Storkenmaier (Flo) hat noch eine Woche Handwerkerferien und ich (Hermann Böttcher) stehe eine Woche vor Abgabe meiner Masterarbeit. Ein idealer Zeitpunkt also, um endlich mal wieder ein paar Tage in die Berge zu fahren! Irgendeine lange Aktion wollen wir mal wieder starten – Flo, weil er generell mehr von langen als kürzeren Aktionen hält und ich, um endlich meinen Kopf freizubekommen. Weil wir uns nicht entscheiden können, ob es in die Westalpen zum Rissklettern oder in die Dolomiten gehen soll, packen wir einfach für beides und fahren vom Bodensee ins Rheintal. Kurz vor Feldkirch beschließen wir, einfach eine Münze zu werfen. Meine nervöse Hand lässt die Münze allerdings schon durch die Luft segeln, bevor wir entschieden haben welche Seite was bedeutet. Letzten Endes nutzen wir unseren Telefonjoker Korbinian Grünauer, der uns anweist, an die Drei Zinnen in die Dolomiten zu fahren. Flo hat gerade vom „Drei mal Drei Zinnen Marathon“ von Simon Gietl und Nicolas Hojac gehört. Da wir beide noch nie an den Zinnen geklettert sind, ich noch nicht einmal in den Dolomiten, erscheint uns eine derartige Tour derzeit noch utopisch, dient aber als Inspiration für einen gemäßigteren Plan: An zwei Tagen hintereinander wollen wir jeweils drei Touren auf die Drei Zinnen klettern. Einmal sollen es drei Kanten sein, einmal drei Nordwände.
Drei Kanten – Drei Zinnen
Nach einer Zinnen-Fels-Kennenlern-Begehung der Comici-Dimai an der Großen Zinne und einem darauffolgenden verregneten Tag in Cortina d‘Ampezzo fahren wir nachts die Mautstraße hinauf zum Parkplatz am Rifugio Auronzo. Oben werden wir vom Sturm empfangen. Nach einer kurzen Nacht klingelt der Wecker um 4:30 Uhr. Der Bus wird vom Wind durchgeschüttelt, deshalb bleiben wir erst einmal liegen und überlegen ob es überhaupt Sinn ergibt loszuziehen. Eine halbe Stunde später als geplant raffen wir uns auf. Der Plan: In der Morgensonne wollen wir uns in der Gelben Kante der Kleinen Zinne einklettern. Anschließend soll es über die Scoiattoli-Kante auf die Westliche Zinne gehen. Zum Abschluss folgt dann das Abwärmen in der Dibona-Kante auf die Große Zinne. Statt einer ziehen wir zwei Hosen an, die bereits gerichtete dünne Softshell-Windjacke tauschen wir gegen eine gefütterte Jacke und zusätzlich hängen wir uns Daunenjacken an den Gurt.
Es ist schon hell, als ich mittelmäßig motiviert in die Gelbe Kante (6+ 350m) an der Kleinen Zinne einsteige. Ganz schön speckig ist die Angelegenheit. Am Gipfel kehrt die Motivation dann endlich zurück. Die tadellos eingerichtete Abseilpiste bringt uns direkt in die Scharte zwischen Kleiner und Großer Zinne. Hier steigen wir mit zwei Abseilern nach Norden ab. Am Einstieg der Dibona-Kante essen wir eine Tafel Schokolade, trinken einen Liter Wasser und deponieren unseren Rucksack.
Die Scoiattoli-Kante (8+/9- 410m) an der Westlichen Zinne wirkt zunächst unscheinbar. Steht man erst einmal direkt darunter, sieht man erst, was für eine grandios überhängende Kante die Linie wirklich verfolgt! Flo führt den Cassin-Einstieg bis zur Schlüsselseillänge, einer Querung durch einen großen Überhang in einer Seillänge.
Dort warten wir geduldig, bis eine spanische Seilschaft den nächsten Stand erreicht. Ab hier steige ich vor. Die zwei Längen nach der Schlüsselseillänge verbinde ich, um die Spanier zu überholen. Ab da verläuft die Linie in Rissen direkt an der Kante. Die letzten schweren Seillängen verbinde ich wieder und steige auf den Ausstiegsschrofen über einer Seilklemme gleich weiter. Der Weiterweg auf den Gipfel ist länger als gedacht.
Nach ein bisschen Blödsinn auf dem Gipfelkreuz, glücklich über die erfolgreiche Team-Onsight-Begehung, beginnen wir den Abstieg. Ziel ist die Scharte zwischen Westlicher und Großer Zinne, um wiederum nach Norden abzusteigen. Leider verpassen wir aber einen Abzweig und kommen so am Fuß der Westlichen Zinne auf der Südseite raus. Voller „Freude“ springen wir über die Geröllhalde wieder die Scharte hinauf und nordseitig hinab zum Einstieg der Dibona-Kante (4+ 600m).
Da meine Zehen keine Lust mehr auf meine Kletterschuhe haben, bitte ich Flo zuerst vorzusteigen. Ich möchte das mal in seinen Zustiegsschuhen versuchen (meine sind derzeit unauffindbar). Nach der dritten spärlich abgesicherten Seillänge beginnt in meinem Kopf das Rechnen: 18 Seillängen sind angegeben. Wir haben 14 Expressschlingen und 3 Spocs (Rücklaufsperren) dabei. Das könnte ja funktionieren, zumindest bis zum Ringband. Am Ringband angekommen sehe ich Flo bereits 50 Meter über mir weiterklettern. Ach ja, wir haben auch noch 4 Schlingen dabei. Erst am Gipfel treffen wir uns nach 1,5 Stunden wieder. Traumhaft. Beim Abstieg freuen wir uns beide ungemein auf die im Auto wartende Limonade. Noch im Hellen erreichen wir den Parkplatz. Nach einem knappen Abendessen schlafen wir alsbald ein.
Fakten zu Drei Kanten – Drei Zinnen
Ein Tag. Drei Zinnen über drei Kanten. Alle Längen onsight rotpunkt:
1. Gelbe Kante (6+, 350 m, Kleine Zinne)
2. Scoiattoli-Kante (8+/9-, 410 m, Westliche Zinne)
3. Dibona-Kante (4+, 600 m, Große Zinne)