Diplomarbeit: Persönlichkeit und Motivation im Extrem- und Risikosport
Im Rahmen unseres Studiums an der Universität der Bundeswehr München führten wir im Zeitraum vom 01.08.2008 bis zum 10.09.2008 eine Online-Erhebung für unsere Diplomarbeit durch. Die Arbeit gründete auf der Frage, warum Menschen extreme und riskante Sportarten ausüben.
Ziel war es, vor dem Hintergrund theoretischer Ansätze, Persönlichkeitseigenschaften und Motive von Extrem- und Risikosportlern zu untersuchen. Gegenstand der Untersuchung waren vier von uns ausgewählte Sportarten: Klettern, Basejumping, Downhill und Gleitschirm-/Drachenfliegen.
An der Erhebung beteiligten sich insgesamt 1216 freiwillige Teilnehmer aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, von denen letztendlich 324 Teilnehmer den Fragebogen vollständig beantworteten und für die Auswertung genutzt werden konnten. Der dafür verwendete Fragebogen deckte u.a. folgende Dimensionen ab: Sensation Seeking (Sensationslust), Narzissmus (Selbstliebe), Glaube an eine gerechte Welt, Leistungsmotivation sowie Allgemeine Selbstwirksamkeit.
Theoretischer Hintergrund
Im Theorieteil der Arbeit wurden explizite Erklärungsansätze angeführt, um die verschiedenen Anreize aufzuzeigen, die Menschen möglicherweise zur Ausübung extremer und riskanter Sportarten bewegen. Angefangen bei Balint (1960) und Semler (1994), die Angstlust bzw. die Lust an der Angst thematisieren, wurden des Weiteren die Theorien von Zuckerman (1974) und Apter (1992) dargestellt, welche extremes und risikoreiches Verhalten mit der Reizsuche begründen.
Festzuhalten ist dabei, dass die Ansätze von Balint und Semler Angst als entscheidenden Auslöser für die Suche nach Nervenkitzel thematisieren. Das von Balint geprägte Gegensatzpaar Oknophil und Philobat, war Anstoß für eine genauere Untersuchung und fand im empirischen Teil der Arbeit Anwendung. Eine Betrachtung der beiden Persönlichkeitstypen machte deutlich, dass sich Extrem- und Risikosportler nach Balint durch philobatische Eigenschaften auszeichnen. Sie sind auf der Suche nach neuen Erfahrungen und setzen sich freiwillig Nervenkitzel aus.
Semler hingegen postuliert, dass Angst und deren Kontrolle bzw. Überwindung ein entscheidender Bestandteil des Ausübens von Extrem- und Risikosport ist. Der dadurch erhoffte, bessere Umgang mit der Angst, soll dem Sportler Sicherheit bringen, die er benötigt, um mit der Angst leben zu können.
Zwei weitere Ansätze begründen das Verhalten des Ausübens von Extrem- und Risikosport mit der Suche nach Reizen. Apter (1995) differenziert die Persönlichkeiten der Erregungssucher und Erregungsvermeider. In diesem Zusammenhang wurde zudem auf den Ansatz von Zuckerman (1974) eingegangen, der den Begriff des Sensation Seeking prägte. Er begründet die unterschiedlich starke Ausprägung in der Reizsuche von Menschen mit interindividuellen Erregungsniveaus und unterteilt in die Persönlichkeitstypen High- und Low-Sensation Seeker.
Rheinberg (1996) greift neben dem Sensation Seeking – Konzept auch andere Ansätze auf und entwickelt daraus eine Anreiztrias, mit der er die Suche nach extremen oder riskanten Situationen zu begründen versucht. Diese besteht aus den Komponenten „Kompetenzerleben“, „erregende Bedrohungswahrnehmung“ sowie „ungewöhnliche Bewegungszustände“.
Aus den Theorien wurden die oben genannten Dimensionen des Fragebogens abgeleitet.
Ergebniszusammenfassung
Folgende Ergebnisse stellen eine gekürzte Auswahl der Untersuchungsergebnisse dar.
Selbstwirksamkeit:
Die Einschätzung der eigenen Kompetenzen, im Leben mit Problemen zurechtzukommen, ist bei Extrem- und Risikosportlern nicht höher ausgeprägt als bei anderen Menschen. Auch die Dauer der Ausübung von Extrem- und Risikosport hat keinen Einfluss auf die allgemeine Selbstwirksamkeit der Sportler.
Angstauseinandersetzung:
Die Annahme, dass Extrem- und Risikosportler sich stärker mit ihren Ängsten auseinandersetzen als Nicht-Extrem-und Risikosportler, konnte bestätigt werden. Es zeigten sich signifikante Unterschiede zur Vergleichsgruppe. Dadurch konnten die Grundannahmen aus den Theorien von Semler und Balint gestützt werden.
Sensation Seeking:
Im Einklang mit Zuckermans Theorie (1974) fanden sich bei den Extrem- und Risikosportlern höhere Sensation Seeking-Werte gegenüber der Vergleichsgruppe (der höchste Wert diesbezüglich zeigte sich bei den Downhill-Bikern, siehe Abbildung 1). Eine naheliegende Begründung liegt in dem individuell unterschiedlich stark ausgeprägten Erregungsniveau von Menschen. Extrem- und Risikosportler benötigen demnach mehr Reize, um ihr Erregungsniveau zu erreichen als andere Menschen.
Es wurde zudem bestätigt, dass der Drang nach Sensationslust ab Erreichen des Erwachsenenalters abnimmt. Sensation Seeking ist demzufolge bei älteren Extrem- und Risikosportlern geringer ausgeprägt als bei jüngeren. Zu interpretieren ist dieses Ergebnis insofern, dass der Drang nach Sensationslust vermehrt im jungen und mittleren Erwachsenenalter ausgelebt wird und im höheren Alter weitgehend befriedigt ist.
Leistungsmotivation:
Die Untersuchung zeigte, dass Leistungsmotivation für Extrem- und Risikosportler eine Rolle spielt und diese höher ist als bei Nicht- Extrem- und Risikosportlern. Kompetenzerleben stellt daher einen berechtigten Bestandteil im Erleben von Extrem- und Risikosport dar.
Narzissmus:
Die definierten Merkmale (Anspruchsdenken, Schönheit und Selbstliebe, Bedürfnis nach Aufmerksamkeit) lassen die Schlussfolgerung zu, dass Narzissmus kein Motiv für die Ausübung von Extrem- und Risikosport darstellt.
Glaube an eine gerechte Welt:
Bei Extrem- und Risikosportlern und Nicht- Extrem- und Risikosportlern ist der Glaube an eine gerechte Welt gleichermaßen vorhanden. Unterschiede treten nur marginal auf. Der persönliche Glaube an eine gerechte Welt ist bei beiden mittelstark bis stark ausgeprägt. Dies lässt vermuten, dass die Höhe der Ausprägung des persönlichen Gerechte-Welt-Glaubens nichts mit dem Erleben extremer und risikoreicher Situationen zu tun hat.
Betrachtet man dagegen die einzelnen Extrem- und Risikosportarten innerhalb der Untersuchungsgruppe für sich, sind durchaus interessante Differenzen im Mittelwert erkennbar (siehe Abbildung 2). Die Downhill-Biker haben dabei den schwächsten Wert (M = 3,74), der sogar unter dem Mittelwert der Vergleichsgruppe (M = 4,32) liegt.
Bemerkenswert daran ist, dass die Downhill-Biker den höchsten Sensation Seeking-Wert der untersuchten Sportarten aufweisen. Der schwache Wert im GWPER lässt sich dadurch begründen, dass die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Ausgangs bei diesem Sport deutlich geringer ist als bei anderen, und sie einen sogenannten „Schutzengelglauben“ (Rheinberg, 1996) daher nicht zwingend benötigen.
Die Werte der anderen Gruppen zeigen einen stärkeren persönlichen Gerechte-Welt-Glaube auf – vermutlich aufgrund der hochgradigeren letalen Gefahr, die diese Sportarten in sich bergen. Diese besteht beim Basejumping, Free-Solo-Klettern sowie beim Gleitschirm-/Drachenfliegen in der Höhe, die Sportler aufsuchen.
Von: Felix Nolte, Martin Steiner