Die Favorit*innen für Olympisches Gold [ Sportklettern – Paris 2024 ]

Während uns im Fußball über die Jahre mal das eine, mal das andere tierische Orakel mit Prognosen zum Thema Favoriten versorgt, müssen wir uns im Klettern weiterhin damit behelfen, zu recherchieren, nachzudenken und Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen.
Als Gastgeberland steht Frankreich in der Kombination und im Speed jeweils ein Quotenplatz pro Geschlecht zu. Nötig hatte das französische Team diese Quote allerdings nicht, denn abgesehen von einem einzigen Platz in der Kategorie Speed-Männer holten sie sich durchweg die jeweils möglichen beiden Startplätze pro Geschlecht und gehen so mit 4 Starterinnen und 3 Startern ins Rennen.
Team USA macht alle Plätze voll und erhöht damit nicht nur rein rechnerisch seine Chancen auf einen Podiumsplatz oder Sieg, auch das Leistungsniveau der 8 teilnehmenden US-Amerikanerinnen ist unglaublich hoch. Wie das Gastgeberland wird auch China mit 7 Sportlerinnen vertreten sein.

Damen – Bouldern und Lead

Janja Garnbret of Slovenia performs during the training in Trenta, Slovenia - Samo Vidic/Red Bull Content Pool

In dieser Disziplin lässt sich relativ leicht eine erste Vermutung äußern, denn wer Janja Garnbret hier nicht auf dem Schirm hat, der muss die vergangenen Jahre hinter dem Klettermond gelebt haben. Die 25-Jährige Slowenin ist nicht nur die erste amtierende Olympiasiegerin im Klettern überhaupt, sie dürfte demnächst auch einen Anbau für die Sammlung all ihrer Medaillen benötigen. Die ein oder andere Bronze- und Silbermedaille finden sich zwar in ihrer Sammlung, mit 45 Mal Gold, von denen 8 Mal für einen Weltmeister-, und 4 Mal für einen Europameistertitel stehen, ist sie allerdings in ihrer bisherigen Karriere in Sphären unterwegs, in die ihr einfach niemand folgen kann.
Trotz all dieses Erfolgs bleibt ihr Klettern spielerisch-experimentell und jeder Sieg eine Überraschung, die sie nach wie vor sichtlich bewegt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine der folgenden Athletinnen, die allesamt durchaus realistische Chancen auf eine Medaille haben, ihr den Sieg abringen kann, ist zwar nicht groß, aber dennoch vorhanden.

Die Österreicherin Jessica Pilz und die Japanerin Ai Mori, die im Ranking des IFSC in Sachen Bouldern und Lead auf Platz zwei und drei rangieren, haben gute Karten.

Jessica Pilz wurde 2015 Europa-, und 2021 Weltmeisterin in der Kombination, sowie 2018 Weltmeisterin im Lead und ist auch darüber hinaus häufig auf dem Siegertreppchen zu finden. Mit ihren 27 Jahren verfügt sie über reichlich Klettererfahrung.

Ai Mori wiederum wurde mit nur 12 Jahren die jüngste japanische Meisterin überhaupt und holte sich den Titel abgesehen von einer ausgelassenen Wettkampfteilnahme 2018 und einer Silbermedaille 2019 mit zuverlässiger Regelmäßigkeit. Trotz ihrer relativ geringen Körpergröße von 154 cm ist es immer wieder faszinierend, ihr dabei zuzuschauen, wie sie für ihre Dimensionen scheinbar unlösbare Boulder- und Kletterprobleme knackt.

Brooke Raboutou (USA), die bei den vergangenen Olympischen Spielen Platz 5 belegen konnte, ist ebenfalls eine Kandidatin für die Spitzenränge. Die Kombination Bouldern und Lead liegt ihr sehr und in den vergangenen Jahren mischte sie konstant in der Weltspitze mit. Bereits ihre Eltern waren erfolgreich im frühen, internationalen Wettkampfzirkus des Kletterns unterwegs. Über diese Wurzeln ist sie durch ihre eigenen außergewöhnlichen Leistungen längst hinausgewachsen.

Ihre Teamkollegin Natalia Grossman, die sich für die vergangenen Spiele in Tokyo nicht qualifizieren konnte, kann zwar beim Lead bisher keinen internationalen Sieg vorweisen, aufs Podium hat sie es dennoch bereits 8 Mal geschafft. Ganz oben stand Natalia stattdessen schon 10 Mal bei Worldcups im Bouldern und 2021 konnte sie sich den Weltmeistertitel in der Disziplin sichern.

Die Italienerin Laura Rogora unterbietet Ai Mori in Sachen Größe zwar noch um 2 cm, steht ihr allerdings in Sachen beeindruckender Problemlösungskompetenz um Nichts nach. Als dritte Frau der Welt gelang es ihr, eine 9b zu klettern und eine 8c onsight zu begehen.

Nicht zuletzt ist Oriane Bertone aus Frankreich im Auge zu behalten. Sie startete ihre internationale Wettkampfkarriere 2019 gleich mit einem Sieg bei den Jugendeuropa- und Jugendweltmeisterschaften in beiden Disziplinen. Bei ihrem Worldcup-Debüt 2021 kletterte sie sich direkt auf Platz 2, wurde 2023 Vizeweltmeisterin im Bouldern und feierte ihren ersten Sieg bei einem Boulderworldcup. Ihr Olympiaticket löste sie mit deutlichem Vorsprung vor Laura Rogora, die dort auf Platz drei noch um ihre Qualifikation bangen musste.

Herren – Bouldern und Lead

jakob_schubert_innsbruck_kletter_wm

Während es bei den Damen mit Janja eine klare Favoritin auf den Sieg gibt, gestaltet sich eine Prognose bei den Herren deutlich schwerer.

Jakob Schubert rangiert im internationalen Ranking der IFSC in beiden Einzeldisziplinen, so wie im Combined, unter den Top 10. Der Österreicher hat mit seinen 33 Jahren schon viele Wettkämpfe bestritten und seine erste Olympiaerfahrung in Tokyo mit einer Bronzemedaille gekrönt.

Dem Tschechen Adam Ondra könnte wie vielen seiner Kollegen das neue Combined-Format zugutekommen. Bereits seit 2009 erklimmt er die Treppchen der Weltmeisterschaften und ist vierfacher Welt- und zweifacher Europameister. Auch wenn er im Finale der vergangenen olympischen Spiele „nur“ den sechsten Platz belegte, ist für Ondra nach wie vor ein Sieg bei den diesjährigen Spielen möglich.

Der 19 Jahre junge Brite Toby Roberts ist ebenfalls in allen Bereichen ganz vorne mit dabei und definitiv ein Kandidat fürs Siegerpodest.

Colin Duffy (USA), der sich gleich bei seinem ersten internationalen Senioren-Wettbewerb 2020 für die Olympischen Spiele in Tokyo qualifizieren konnte und dort Siebter wurde, ist ein weiterer heißer Kandidat für die vordersten Ränge. Duffy gilt als Allrounder, hat mit nur 20 Jahren bereits seine erste Olympiaerfahrung hinter sich und reichlich Energie für weitere Überraschungen.

Tomoa Narasaki ist zwar ein Spezialist fürs Klettern in Absprunghöhe und wäre das Bouldern eine olympische Einzeldisziplin, wäre er ein klarer Siegesanwärter, aber auch im Lead ist er mittlerweile gut unterwegs.

Ziemlich genau umgekehrt verhält es sich bei Alexander Megos, der bei einem reinen Lead-Wettkampf durchaus um den Sieg klettern könnte, sich beim Bouldern auf internationaler Ebene allerdings meistens in den Top 20 und gelegentlich in den Top 10 findet.

Beide haben dennoch Chancen aufs Treppchen, sollten sie in ihrer Paradedisziplin ihre Höchstleistung und in ihrer schwächeren Disziplin einen außergewöhnlich guten Lauf haben.

Damen – Speed

Da Speedklettern in Paris erstmals als olympische Einzeldisziplin gewertet werden wird, wäre ein Rückblick auf die Rankings von Tokio wenig aussagekräftig.

Die Polin Aleksandra Miroslaw ist definitiv eine Anwärterin auf den Olympiasieg. Miroslaw hat mit 6,24 Sekunden am 15. September 2023 zum achten Mal ihren eigenen Weltrekord geknackt und ist damit seit dem 6. August 2021 Weltrekordhalterin bei den Frauen. Sie war bereits zweimal Welt- und einmal Europameisterin und hat insgesamt 11 Worldcupsiege in der Tasche.
Ihre Teamkollegin Aleksandra Kalucka konnte sich 2022 den Gesamtweltcupsieg sichern und hat ebenfalls Chancen.

Speedklettern Olympia Tokio

Auch die Chinesin Lijuan Deng hat mit 5 Weltcupsiegen auf ihrem Konto das Potential, die schnellste Kletterin in Paris zu werden.

Emma Hunt aus den USA platziert sich bei Worldcups ziemlich zuverlässig unter den Top 7 und holte sich erst kürzlich in Salt Lake City ihren ersten Sieg.

Rajiah Sallsabillah, die für Indonesien ins Rennen geht, könnte ebenfalls für eine Überraschung sorgen.

Herren – Speed

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Sieg sich zwischen den Weltrekordhaltern der vergangenen beiden Jahre, Veddriq Leonardo aus Indonesien (4,90 Sekunden) und Samuel Watson (USA), aktuell 4,79 Sekunden, und dem Chinesen Peng Wu entscheidet.

Alle drei konnten bei ihren jüngsten Wettkampfteilnahmen wiederholt in die einstelligen Ränge klettern.

Leonardo ist zudem dreifacher Gesamtweltcupgewinner seit 2021.

2019 gelang der Gesamtweltcupsieg Bassa Mawem (Frankreich), der bereits an den Olympischen Spielen in Tokyo teilgenommen und sich sogar für das Finale qualifiziert hatte, aufgrund einer Bizepsverletzung aber vorzeitig aufgeben musste. Obwohl er mit seinen 39 Jahren einer der ältesten Starter ist, kann er definitiv noch für eine Überraschung sorgen.

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Video-Link: https://youtu.be/Ri5niwvIXwE?si=cvBWJnM1YoEsMXEQ
  • Credits Text Hanna Rexer f. kletterszene.com
  • Credits Fotos Ks.com Archiv, IFSC, Paris 2024
  • Beitragsdatum 20. Juli 2024