Die Einsatzzahlen der Bergwacht steigen – Deutlich weniger Unfälle bei DAV Mitglieder [Bergunfallstatistik 2019]
Ein historisches Tief: 2019 gab es in Relation zum Mitgliederstand so wenige Unfälle wie zuletzt vor 20 Jahren. Im Berichtszeitraum gerieten insgesamt 1140 Alpenvereinsmitglieder in einen Unfall oder eine Notlage. Ein Jahr zuvor waren es noch 55 mehr, also 1195 Betroffene. Bei den Unfall- und Notfallereignissen selbst zeigt sich ein noch deutlicherer Rückgang: In der Vorperiode wurden 979 Unfälle beim Bergsport gemeldet, 2019 nurmehr 877 – 102 weniger.
Allerdings listet die Statistik nicht nur erfreuliche Zahlen auf: Im Berichtszeitraum starben 54 DAV-Mitglieder beim Bergsport, 23 mehr als im Vorjahr.
„Die deutliche Steigerung ist für uns überraschend, vor allem, weil es insgesamt weniger Unfälle und Notfälle gab“,
erklärt der Ressortleiter für Sportentwicklung im DAV, Stefan Winter.
Die meisten Todesfälle ereigneten sich beim Wandern (17), Hochtourengehen (9) und Alpinklettern (5). Großereignisse, wie etwa ganze Seilschaftsabstürze beim Hochtourengehen, gab es indes nicht. Die Steigerung der tödlich endenden Unfälle erstreckt sich über nahezu alle Bergsportarten. Die größte Zunahme betrifft das Hochtourengehen mit sechs Todesfällen mehr sowie das Outdoor-Sportklettern und -Bouldern, mit vier Toten mehr. Die Hauptursachen beim Wandern und Bergsteigen lagen nach wie vor in Stürzen und Kreislaufversagen, beim Klettern kamen zu den Stürzen Fehler in der Seil- und Sicherungstechnik hinzu.
Obwohl es so viele Tote zuletzt 2003 gab, liegt die Quote der tödlich Verunglückten trotzdem auf einem niedrigen Niveau: Vor 16 Jahren hatte der DAV rund 686.000 Mitglieder, also nur knapp die Hälfte der aktuellen Mitgliederstärke von über 1,3 Millionen. Zur Verdeutlichung: Man muss derzeit rund 2500 Jahre ununterbrochen in den Bergen unterwegs sein, um statistisch gesehen ein Mal beim Wandern zu sterben.
„Wobei Statistiken natürlich kein Trost sind, wenn man selbst betroffen ist“,
gibt Winter zu.
Zahl der Blockierungen steigt wieder an – doch nicht überall
Der Anteil von Blockierungen an den Notfallursachen stieg nach einem Rückgang 2018 wieder an, vor allem beim Wandern (+6%), Bergsteigen (+5%) und Skitourengehen (+6%). Unter den Begriff „Blockierung“ fallen all jene Notfälle, in denen Bergsportlerinnen und Bergsportler unverletzt die Bergrettung rufen müssen, etwa weil sie sich verlaufen haben oder zu erschöpft sind, um weiter oder zurück zu gehen. „Blockierungen lassen sich durch eine präzise Selbsteinschätzung und akribische Tourenplanung relativ gut vermeiden“, so Experte Winter. Der Deutsche Alpenverein hat mit der Bergwandercard ein nützliches Tool für den Sommer entwickelt, um sich und die geplante Tour besser einschätzen zu können.
Allerdings gibt es auch hier ein positives Signal: Der Anteil von Blockierungen beim Alpinklettern ist auch in diesem Jahr gesunken – sogar um zehn Prozent!
Unfälle insgesamt rückläufig
„Zum ersten Mal seit fünf Jahren sinken nun auch die absoluten Unfallzahlen“, freut sich Stefan Winter. Allerdings muss man auch hier genau die Statistik betrachten: Beim Wandern gibt es tatsächlich einen Zuwachs der Unfälle, von 276 im Jahr 2018 auf 292 im aktuellen Berichtszeitraum. „Dies ist nicht wirklich verwunderlich, seit Jahren zieht es immer mehr Menschen in die Berge und Wandern ist dabei die Hauptbetätigung“
so Winter.
Den größten Rückgang verzeichnet der Wintersport: Beim Pisten- und Backcountry-Fahren sanken die Unfallzahlen von 319 auf 258, beim Skitourengehen von 122 auf 79.
„Bedenkt man, dass es sich 2019 um ein sehr schnee- und lawinenintensives Jahr gehandelt hat, in dem von vielen Unfällen berichtet wurde, überrascht uns das besonders positiv“
, so Winter.
Der DAV-Experte schätzt, dass der Rückgang der Zahlen auf einen höheren Ausbildungsstand und eine defensivere Tourenwahl der DAV-Mitglieder zurückzuführen sein könnte: Im Unterschied zu Statistiken der Bergrettungsorganisationen schaut die DAV-Bergunfallstatistik nur auf die DAV-Mitglieder. Allerdings: Ein Beweis für eine Trendwende sei dies noch nicht, dazu müsse man noch die kommenden Jahre abwarten, so Winter.
Ausblick: Das Corona-Jahr 2020
Corona stellte bislang ganz besondere Anforderungen an die Bergsportgemeinde und die zuständigen Behörden: Zur Hochphase der Pandemie in Deutschland war der Sport zwar nicht komplett verboten, aber die Reisefreiheit eingeschränkt, sodass tatsächlich kaum Menschen in die Berge gingen. Dies änderte sich schlagartig mit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen: Seitdem zieht es mehr Menschen denn je in die Alpen. Stefan Winter:
„Es scheint, als würden viele ihren Sommerurlaub nicht im Ausland, sondern in den Bergen verbringen.“
Für den DAV-Experten und Bergführer birgt dies aber auch Probleme.
„Die Alpen sind auf so einen Ansturm nicht vorbereitet, gleichzeitig erkennen wir, dass nun auch Menschen die Berge für sich entdecken, die bisher nichts mit ihnen zu tun hatten.“
Wo viele Menschen sind, steigt auch das Unfallrisiko. Der DAV appelliert darum an Bergsportlerinnen und Bergsportler, sich besonders sorgfältig auf die Touren vorzubereiten und eine defensive Tourenplanung an den Tag zu legen. Welche Auswirkungen Corona auf das Unfallgeschehen in den Bergen hat, wird die Bergunfallstatistik im nächsten Jahr zeigen.
Auch die Bergwacht Bayern zieht Bilanz
Die Einsatzzahlen der Bergwacht steigen im Sommer rapide an. Der Nutzungsdruck in den bayerischen Alpen und Mittelgebirgen sowie hohe Erwartungshaltungen und der Erlebnisdrang der Menschen beschäftigen die ehrenamtlichen Bergretter.
Eine nahezu Verdopplung verzeichnen die Sommereinsätze: In den vergangenen
12 Jahren sind die Einsätze von 1582 (2006) auf 3071 (2018) angestiegen. Zusätzlich zeigt sich ein neuer Trend bei den sogenannten Blockierungen. Hier handelt es sich um Personen, die den Notruf wählen, da sie am Berg weder vor noch zurück kommen. Das Phänomen Blockierung basiert auf abnehmender Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und für Gefahren, damit nimmt die „Hilfsbedürftigkeit“ zu. Ebenfalls signifikante Anstiege gibt es beim Mountainbiken: Die Einsätze stiegen von 160 (2006) auf 591 (2018) um 269 Prozent. Auch der Einsatzbereich Bergsteigen/ Bergwandern zeigt stark wachsende Zahlen: Waren es 2006 noch 1258 Einsätze, wurden im Jahr 2018 2161 Unfälle gemeldet. Auch die Einsätze mit Gleitschirmfliegern sind in 12 Jahren von 73 auf 127 um 74 Prozent angestiegen. Der Megatrend Hallenklettern hat hingegen keine Auswirkungen auf die Einsatzzahlen für das Klettern am Naturfels.
Einerseits ist die Wahrscheinlichkeit geringer geworden, am Berg zu sterben. Andererseits steigt die Wahrscheinlichkeit, auf Menschen zu treffen, welche in Not geraten, verletzt, akut erkrank oder den Herausforderungen nicht gewachsen sind, signifikant an.
- Weiteren Informationen zu der Bergwacht Bayern Statistik > HIER <
Die „Corona-Saison“ der Bergwacht Bayern
Auch für die Bergwacht Bayern war dieses Jahr bisher ungewöhnlich:
„Der Lockdown‘ im Rahmen der Coronapandemie führte zu einem starken Rückgang der Gesamteinsätze in den Monaten März und April. Im Vordergrund standen insbesondere Einsätze beim Mountainbiken und Unfälle in den Wäldern. Bedingt durch die gute Witterung und Sturmschäden in den Wäldern kam es zu einer signifikanten Steigerung der Unfälle bei Forstarbeiten. In der Sommersaison sind in den Monaten Juli und August in der Regel am meisten Einsätzen zu verzeichnen. Aktuell lässt sich dies soweit in der Wahrnehmung bestätigen. Ein fundierter zahlenmäßiger Vergleich wird nach Abschluss der Saison möglich sein.“
so Roland Ampenberger, Pressesprecher der Bergwacht Bayern: