Alix von Melle und Luis Stitzinger brechen ihre Mount Everest Expedition ab
Alix von Melle und Luis Stitzinger sind zusammen mit dem Alex Brutscher auf dem Weg zum Mount Everest. Die drei brachen Mitte März auf um ihr lang ersehntes Ziel den Gipfel des Mount Everest zu besteigen. Der Bayrische Rundfunk begleitete Alix und Luis auf dieser Expedition und hielt alle daheim gebliebenen mit einem Expeditions-Tagebuch auf dem laufenden. Alix und Luis schrieben aber auch auf ihrer eigenen Seite ins Tagebuch und erlebten die letzten Tage am Mount Everest wie folgt…
Tagebucheinträge
…unserer Projekte und Expeditionen
Samstag 25.4.: Erdbeben
Um ca 12.00 Uhr ereignete sich ein Erdbeben im Himalayagebirge, dessen Epizentrum ca. 70 Km westlich von Kathmandu entfernt gelegen sein und dessen Stärke bei 7,7 der Richterskala gelegen haben soll. Ein zweiter, leichterer Erdstoß ereignete sich etwa eine halbe Stunde später. Das Beben war im Everest BC deutlich spürbar, es ereigneten sich kleinere Bergstürze und Gerölllawinen. Zu Schaden kam niemand. Uns geht es gut und im Basislager sind alle wohlauf!
Sonntag 26.4.: Der Tag nach dem Beben
Gestern ein Schock, heute das Thema aller Nachrichten: Das große Erdbeben, das sich gestern mit Epizentrum ca. 70 Km westlich von Kathmandu ereignete. Der erste, etwa 30 Sekunden lange und stärkste Erdstoß erfolgte gegen 12.00 Uhr Mittag (nepalische Ortszeit), ein zweiter, schwächerer, eine halbe Stunde später, ein dritter, ebenfalls schwacher, gegen 15.00 Uhr. Auch heute bebte die Erde wieder, kurz nach 5.00 Uhr morgens und gegen 12.00 Uhr waren hier in Tibet deutliche Erdstöße zu verzeichnen. In Nepal soll es seitdem ganze 32 Beben gegeben haben. Trotz der zahlreichen Erdstöße kam es hier auf der Nordseite des Everest zu keinen Schäden. Einige Gerölllawinen und ein kleiner Bergsturz ereigneten sich im Bereich des Basislagers. Am Nordsattel war die Rede von Rissen und Verwerfungen in der Eisflanke, mit der Gefahr der Destabilisierung der Wechtenkrone des Cols. Obwohl die Versicherungsarbeiten am gestrigen Tag weiter getrieben wurden, kam es offensichtlich zu keinen Unfällen mit Personenbeteiligung. Auch das bereits etablierte ABC (6400 m) blieb von Lawinen verschont. Sämtliche Bergsteiger, Climbing Sherpas und Hilfskräfte steigen heute zurück ins Basislager ab, um Bilanz zu ziehen und zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Anders stellt sich die Situation auf der Südseite des Berges dar. Berichte sprechen mittlerweile von vielen Todesopfern im Basislager und im Bereich der Route durch den Khumbu Eisfall hinauf zum Lager 1. Viele Dörfer des Solu Khumbu, des Mittellandes und natürlich auch die Hauptstadt Nepals, Kathmandu, sind vom Erdbeben stark betroffen. Die meisten der hier auf der Nordseite arbeitenden Nepalis haben Familie und Angehörige, von denen sie keine oder nur spärliche Nachrichten über deren Wohlergehen erhalten haben. Wir sind tief getroffen von dieser großen Katastrophe und unser Mitgefühl gilt zu allererst diesen Menschen, die um ihre Familien bangen müssen oder Angehörige verloren haben. Wir trauern mit der Bevölkerung Nepals um die zahlreichen Todesopfer, die dieses Erdbeben gefordert hat.
Wie es bei uns weiter gehen wird, wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Der Everest ist für uns jedenfalls momentan in weite Ferne gerückt – es gibt andere Dinge im Leben, die momentan wichtiger sind, als sich an einem Berg selbstzuverwirklichen! Heute Nachmittag wird eine Zusammenkunft aller Expeditionsleiter, Climbing Sherpas und der zuständigen Vertreter der chinesischen Regierung stattfinden, die über den weiteren Verlauf der Expeditionen beraten werden. Ob es derzeit allerdings eine Möglichkeit gibt, über den Landweg (Zhangmu – Kodari) nach Kathmandu zurückzukehren und von dort aus die Heimreise antreten zu können, ist ungewiss. Sobald Klarheit über das weitere Vorgehen herrscht, werden wir uns wieder melden.
Montag 27.4.: Abbruch der Expedition
Angesichts der größten humanitären Katastrophe der jüngeren Geschichte Nepals und aus Respekt und Mitgefühl gegenüber der großen Zahl der Todesopfer und deren Angehörigen im ganzen Land und sogar an unserem Berg – der Südseite des Everest – haben wir uns dazu entschlossen, unsere Everest Expedition abzubrechen. Auch wenn auf der Nordseite keinerlei Schäden an Material oder Mensch zu verzeichnen sind, können und wollen wir unsere Augen vor dem Leid, das sich zugetragen hat, nicht verschließen. Darüber hinaus möchten wir nicht der Grund dafür sein, weshalb nepalische Helfer, Köche und Climbing Sherpas weiterhin vor Ort gehalten werden und nicht zu ihren Familien nach Hause können, um dort nach dem Rechten zu sehen. Eine Weiterführung der Expedition würde uns unter den gegebenen Umständen nicht richtig erscheinen, selbst ein möglicher Gipfelerfolg würde sich schal und nichtig anfühlen. Wir könnten über ihn keine Freude empfinden. In den kommenden Tagen werden wir versuchen, unsere Heimreise über Lhasa anzutreten. Jeder Bergsteiger muss diese Entscheidung aber für sich selbst treffen. Wir haben auch Verständnis für diejenigen, die ihre Chance am Everest – vielleicht die einzige im ganzen Leben – nach wie vor nutzen möchten. Auch uns ist die Entscheidung nicht leicht gefallen. Wir waren bestens vorbereitet, hatten uns am Berg gut akklimatisiert und waren für die bevorstehende Aufgabe hoch motiviert. Letztendlich entscheiden wir aber immer nach unserem Gefühl, und das fühlt sich dieses Mal nicht richtig an. Wir zählen auf das Verständnis unserer Unterstützer und Partner und danken ihnen für das entgegengebrachte Vertrauen. Wir hoffen, dieses durch unsere Entscheidung nicht enttäuscht zu haben. Unser Mitgefühl gilt all jenen, die Familie, Angehörige oder Freunde in dieser Katastrophe verloren haben – egal ob Einheimische aus Nepal oder Bergsteiger und Trekker aus fernen Ländern. Ihnen wünschen wir viel Kraft und Unterstützung in dieser schweren Zeit. An alle Leser möchten wir appellieren, die nepalische Regierung und internationale Hilfsdienste bei der Bewältigung dieser Krise zu unterstützen. Auch wir werden unser Möglichstes dazu beitragen. Wir bedanken uns bei allen, die bei dieser ach so kurzen Expedition mitgefiebert und uns den Daumen gehalten haben! Seid versichert, Everest, wir kommen wieder! Irgendwann.
Alix & Luis
Mittwoch, 29.4.: Die Tage danach
Update 14.00 Uhr (Ortszeit Nepal): Wie eben in einer Konferenz im Basislager des Mount Everest (Nordseite) von der CTMA verkündet wurde, sind ab sofort sämtliche Achttausender in Tibet für eine weitere Begehung gesperrt. Alle Expeditionen müssen ihre Arbeiten einstellen und im Laufe der nächsten Tage/Woche aus Tibet ausreisen. Dies gilt auch für den Mount Everest. Begründet wurde dieser Schritt mit der anhaltend großen Erdbebengefahr und einem erwarteten weiteren großen Erdstoß mit Zentrum in Tibet. Obwohl bereits vor einigen Tagen sämtliche Teams ins Basislager (CBC) zurückbeordert wurden, befinden sich noch immer einige Bergsteiger am Berg (vorrangig ABC), die sich weigern abzusteigen. Ihnen wurden drastische Strafen angedroht, sollten sie nicht einlenken. Die CTMA wird sich in den folgenden Tagen um eine geordnete Ausreise aller internationaler Bergsteiger über Lhasa bemühen und die notwendigen Dokumente und Hilfsleistungen bereitstellen.
Video-Link: https://vimeo.com/126330316