Wie verhalte ich mich draußen beim Bouldern [Deppenlehrgang, der zwohundertfuffzigste]

Ein offener Brief von Oliver Fell:

Liebe Hallenkletterer, Boulderpuffgänger und Campusboardmutanten!

Wenn ihr mal Ausgang habt, also so nach draußen geht; das ist dort, wo es nur eine Sonne gibt und nicht 20 Neonröhren; dann lest euch doch mal das Folgende durch und hirnt:

Wenn man an einen Boulderfelsen kommt und dort ist jemand, dann sagt man Hallo, fragt vielleicht wie die Bedingungen sind, was die Anwesenden so probieren, vielleicht wo man herkommt, man macht halt kurz Konversation, ist höflich und macht seinen Stiefel und berücksichtigt dabei, was die anderen am Fels so machen. Man versucht schlicht und ergreifend, die anderen möglichst wenig zu stören, hält sich etwas zurück und gut ist. Viellicht findet man die anderen auch sympathisch, man unterhält sich. Vielleicht hat man auch dasselbe Projekt und man kann sich unterstützen, hat Ideen, kann spotten. Es ist dabei übrigens nicht außerhalb der geistigen Vorstellungkraft, wenn man nach einem Versuch mal über die Griffe bürstet.

Man darf auch nach einem Fehlversuch fluchen. Gegen ein „Fuck“ oder sonst was hat niemand was. Es kann auch mal laut werden, aber dann ist auch gut. Schlechte Stimmung bringt einem selbst nix und auf andere wirkt es bestenfalls nur nervend oder lächerlich. Bouldern ist ein Spiel und zu einem Spiel gehört auch verlieren. Man muss lachen können über seine eigene Schwäche.
Übrigens; der übliche Smalltalk, des „Woher“ wird mit mehr oder weniger Kenntnis über das örtliche Boulder- oder Klettergebiet des Gegenüber reflektiert und nicht über das örtliche Boulderpuff. Ein Karlsruher unterhält sich über die Pfalz und nicht über „The Rock“, ein Nürnberger über das Franggggnjura und nicht über das Café Kraft und ein Münchner über Kochel, Zillertal, Konstein, meinetwegen Buchenhain, aber nicht über die Boulderwelt.Wenn man an einen Boulderfelsen kommt und dort ist jemand, dann tritt man nicht auf wie Graf Koks aus dem Boulderpuff, wirft man seine Sache nicht unter einen Bouldereinstieg, verstreut sein Zeug nicht unter allen Sitzstarts, schmeißt durchgeweichte, stinkende Dönertüten nicht an Einstiege und langt nicht mit seinen stinkenden Fettfingern auf alle Einstiegsgriffe. Man spuckt seine Dönerreste auch nicht in die Landschaft.
Man fragt, ob man ein unter einem Boulder liegenden Pad mitbenutzen kann, ob man auch an dem von den Anwesenden probierten Boulder mitprobieren kann. Man drängt keine anderen Leute aus dem Boulder. Das ist unhöflich und wenn man Kinder zur Seite schiebt, die gerade an einem Boulder probieren, dann lässt das nicht darauf schließen, dass man der Hallen-Hero des örtlichen Boulderpuffs ist, sondern das da längenmäßig in der Büx was zu kurz gekommen ist.
Nein, es interessiert keine Sau, wenn mit 4711 Dezibel ununterbrochen verkündet wird, dass ein Mutant auf einem Internetboulderporno einen Griff als Zange nimmt und der einzig richtige Tritt der Welt dieser wäre. Mag ja stimmen, aber es interessiert nicht, wenn es ununterbrochen mit 4711 Dezibel verkündet wird.
Leute, Lärm ist Schmutz. Es ist der Schmutz, den ihr neben euren Kippenresten, eurem Dönerauswurf, eurem Tape und eurem Chalkpapier hinterlasst. Verkündet eure Kenntnisse euren Gesprächspartnern und nicht der ganzen Welt! Haltet euch etwas zurück und geht nicht davon aus, dass andere eure Stärke, euer im Internet angeeignetes Boulderwissen interessiert. Und plärrt nicht alle zwei Sekunden „Allez“ durch die Gegend; insbesondere dann nicht, wenn es gegenüber anderen Leuten erschallt, den ihr durch euer Verhalten gezeigt habt, dass euch diese Leute vollkommen wurscht seid, weil ihr euch als Mittelpunkt der Welt fühlt.
Und nein, es ist nicht lustig, plärrende MP3-Playern am Fels lauschen zu dürfen.
Und wenn man euch dreimal gebeten hat, diese scheiß Filmkamera aus der Landezone eines anderen, gerade probierten Boulders auch wieder wegzunehmen und es einem beim vierten Mal zu blöd ist und man mit dem Fuß bei der Landung die Kamera wegkickt (soft auf eine Matte), dann wundert euch vielleicht doch nicht…Leute, wenn es so weiter geht, wird die Zeit kommen, in der ich rumliegende Autoschlüssel in den Wald feuern werde und meine Abflüge aus Bouldern gezielt auf Smartphones einschlagen werden…
Eine Anmerkung unsererseits: Obenstehendes ist ein offener Brief von Oliver Fell und spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider. In diesem Fall schon…
Und eigentlich ist es eh etwas nervig und irgendwie auch mühsam, es ist ja nicht so, daß das der erste Deppenlehrgang (oder per Suche) wäre, aber wir geben nicht auf… in diesem Sinne: Geht in euch, hört auf eure innere Stimme und bezwingt den Boulder, bloß halt leise — in euch gekehrt, you know :)
Nachtrag Nummer 2:
Nachdem hier die Kommentare ein bisserl in die falsche, nämlich persönliche, Richtung abdriften, wollten wir uns mal kurz nochmal zur Stelle melden:
Per Defintion wird ein offener Brief dazu verwendet, um Personen oder Personengruppen mit kontroversen Aussagen […] zu konfrontieren oder um ein aus Sicht des Verfassers des Briefes notwendiges Handeln des Adressaten zu provozieren…
So jetzt würde ich mal alle zukünftigen Kommentatoren bitten diesen Satz wirken zu lassen und nachzudenken, bevor wieder über die Wortwahl vom Olli diskutiert wird. Es geht hier nicht darum, ob sich jemand hier persönlich auf den Schlips getreten fühlt, es geht darum ein Verständnis und somit entsprechendes Verhalten für sensible Naturareale zu schaffen und für eine Kommunikation aller Beteiligten, egal ob vor Ort oder hier in den unendlichen Weiten des Interwebz.
Wir haben es lustig probiert, wir haben es sachlich probiert, jetzt haben wir es aggressiver probiert. Die Quintessenz ist die gleiche, weiterhin werden Bouldergebiete gesperrt.
Sorry, diese Ignoranz einiger weniger ist mir persönlich fremd… und an alle anderen, die sich „normal“ aufführen, sind hier nicht angesprochen.
Text: Oliver Fell