Wettkampfroutenbau ist eine Gratwanderung [ Peter Zeidelhack im Interview ]

Seit über 17 Jahren arbeitet er mittlerweile schon als Routenschrauber – langweilig werde das nie, er sei dankbar, tun zu können, was er liebe, sagt Peter Zeidelhack. Der 44-jährige Wahlmünchner ist Mitglied der Geschäftsleitung des DAV-Verbundes in der Region München, einem Zusammenschluss der vier Kletterzentren in Thalkirchen, Freimann, Gilching und Bad Tölz. Dort ist er nicht nur für den Routenbau in den Hallen zuständig, sondern schraubt auch selber. Im Gespräch mit Kletterszene.com erzählt er von seinem Lehrgang mit einem der Lead-Routenbauer der Olympischen Spiele, seinem großen Ziel, der Professionalisierung des Routenbaus – und weshalb er kein Wettkampf-Routenschrauber sein möchte. 

Kletterszene.com: Peter, wie war der Lehrgang mit Jan Zbranek, dem Lead-Routenbauer in Tokio? Um was ging es da?

Es war eine Premiere. Wir hatten Mitte September in München den ersten Kurs für kontinentale Routenbauer: Sieben  Routenbauer aus ganz unterschiedlichen Ländern  – beispielsweise Österreich, Litauen, Polen – nahmen daran teil. Bislang ist es so, dass es auf nationaler Ebene Schrauber gibt und etwa 30 aktive IFSC-Routenbauer, die bei internationalen Wettkämpfen eingesetzt werden. Die kontinentale Ebene aber fehlt bislang. Also grundsätzlich geht es um eine Professionalisierung der Ausbildung. Darum, nationalen Schrauber eine internationale Ausbildung zu bieten – ihnen die Basics des Wettkampfroutenbaus zu vermitteln. Bei dem Lehrgang gab es Online-Seminare und von Jan in der Rolle des Chefroutenbauers eine Demonstration, wie die Wettkampfrunden aufeinander aufbauen.

Mein Part war das Thema Sicherheit. Momentan sind es noch zwei Welten, jedes Land macht irgendetwas – und wir wollen Brücken bauen. Die jeweiligen Skills sollen in beide Richtungen weitergegeben werden. Der Plan ist, dass letztendlich alle international zusammenarbeiten, wie das bei den Industriekletterern ja auch schon passiert. Da sind gerade viele Prozesse am Entstehen. 

Du bist inzwischen schon sehr lange im Geschäft. Lernst auch du bei einem Lehrgang  immer noch dazu?

Vorletzte Woche hatte ich in Regensburg eine Fortbildung, vergangenes Wochenende einen Lehrgang in München. Ich lerne bei jedem Kurs etwas dazu, nehme für meinen Routenbau etwas mit. Manchmal sind es auch Softskills, manchmal Techniken und manchmal Ansichten. Bei Jan war es aber noch mal etwas ganz Besonderes, der ist so unglaublich on fire… Das steckt zwar alles noch in den Kinderschuhen, aber inzwischen diskutieren wir die Entwicklung beim Routenbau in einem internationalen Forum – unter anderem auch mit Jacky Godoffe (französischer Kletterer, Autor und Routesetting-Legende; Anm. Ks.com). Es tut sich was. 

Wohin gehts beim Routenbau? Wieder weg von New School?

Beim Lead ist es mit New School eh nicht so krass wie beim Bouldern, da kannst du nur vereinzelt New-School-Element einbauen. Das ist alleine durch das spezifische Bewegungsmuster ein bisschen limitiert. Aber natürlich ist auch das Griffspektrum wesentlich größer geworden: Früher hast du vor einem Wettkampf eine Kiste mit Griffen bekommen, heute sind es ganze Palettenwagen mit riesigen Dingern drauf. Die Entwicklung beim Wettkampfroutenbau hat sich stark verändert. Wohin sie geht, vermag ich aber nicht zu sagen. Beim Hallensport dagegen wird sich sicher nicht wahnsinnig viel verändern, alleine schon aus pragmatischen Gründen – sonst könnten wir in einer Linie keine drei Routen mehr schrauben. Ich denke nicht, dass sich der Style der Routen grundsätzlich verändern wird. Dynamische Bewegungen – wie der Dreifach-Weiterleiter – sind sehr speziell und beim kommerziellen Routenbau nur schwer umzusetzen. 

Wie wichtig ist beim Schrauben der Zuschauer? Wird an den auch gedacht?

Definitiv. Natürlich denkt man an den Zuschauer, das war gerade auch bei Olympia mit Blick auf die Fernsehzuschauer ein Aspekt. Und bedeutet eine absolute Gratwanderung: denn die Kletterei soll spektakulär sein, aber wenn kein Athlet einen Boulder oder die Route klettern kann, dann hat es eben nicht funktioniert. Das ist beim Bouldern sicher noch extremer als beim Lead. Also als Schrauber kannst du schon mal verkacken.

Beim Lead-WM-Finale der Herren beispielsweise war es nicht absolut optimal geschraubt, da hat es sich letztendlich an drei oder vier Griffen nahe dem Top abgespielt und sich auch dort entschieden. Aber es ist schwierig, das hundertprozentig zu treffen. Für mich ist der Wettkampf-Routenbau für die Ausbildung wichtig, aber ich möchte kein Wettkampf-Routenbauer sein. Das ist mir zu wild. Da bist du oft der vermeintliche Routenbauer-Depp. Für mich als kommerzieller Schrauber  geht es darum, dass die Hallenbesucher beim Klettern Spaß haben, dass sie die Tour toppen können. Und das sind natürlich ganz andere Grundvoraussetzungen.

Passiert es eigentlich auch immer wieder mal, dass eine Athletin oder ein Athlet eine andere Beta, als die vom Routenbauer gedachte, klettert?

Das kommt vor – und ist für den Routenbauer mindestens unglücklich. Weil das natürlich nicht der Auftrag war… und der Kommentar kommt, man hätte das sehen müssen. Beim Bouldern passiert das öfters als beim Lead. Das ist den Fähigkeiten, die Wettkampfkletterer mittlerweile haben, geschuldet. Die trainieren in den Hallen alle Bewegungsmuster, die es nur gibt – und kommen dann im Wettkampf auf Lösungen, an die die Routenbauer vielleicht nicht gedacht haben. Da wird dann auch mal nicht der Weg über die Zone genommen, sondern geballert und direkt hochgezogen. 

Zuletzt gab es nach Wettkämpfen immer wieder Kritik am Routenbau… findest du die gerechtfertigt?

Ich denke, bei manchem Athlet wäre etwas Demut und Selbstreflexion angesagt. Wenn man bei einem Wettkampf nicht die gewünschte Perfomance abliefern kann, liegt das nicht immer unbedingt am Routenbau. Aber ganz ehrlich gesagt, möchte ich nicht tauschen. Wettkampfroutenbau ist eine Gratwanderung. Wenn man sich die Olympischen Spiele anschaut, dann war das Herrenfinale Lead eine Sensation: ein Griff war entscheidend. Ondra hat ihn nicht gehalten, Jakob Schubert hat ihn durchgezogen – das war ein absoluter Spannungsmoment. Beim Bouldern dagegen gab es das Problem, dass es absolut wenige Tops gab. Bei Olympia schrauben zu können, war sicher ein Knaller – aber auch unglaublich schwierig. Es ist für mich nicht wirklich beneidenswert, so im Fokus zu stehen.

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Video-Link: https://youtu.be/jgxSnWfwoAI