„Speed wird noch viel populärer werden“ Speed-Bundestrainer Peter Schnabel im Interview
Das Speedklettern hat in osteuropäischen Ländern eine lange Tradition. In Deutschland ist das nicht so, dort ist es nicht so populär wie beispielsweise in Russland und der Ukraine. Erst als bekannt wurde, dass das Sportklettern bei den Sommerspielen in Tokio 2020 zu einer olympischen Disziplin mit einer Kombination aus Bouldern, Lead und Speed wird, erwachte es aus seinem Dornröschenschlaf. Und hatte eine rasante Entwicklung: Die 15 Meter hohe und fünf Grad überhängende Speedtour wird von deutschen Athletinnen und Athleten mittlerweile in Zeiten gerannt, die an die Weltspitze anknüpfen können. „Wir haben uns überlegt, was und wie trainiert werden muss, um schneller zu werden“, sagt Peter Schnabel im Interview mit Kletterszene.com. Peter Schnabel ist seit September 2021 Speed-Bundestrainer, der 37-Jährige kommt eigentlich aus der Leichtathletik. Inzwischen hat aber auch er mit dem Klettern angefangen, seine Bestzeit beim Speed: 16,1 Sekunden. „Das ist gar nicht so schlecht“, sagt er und lacht.
Peter, wie habt ihr es geschafft, in relativ kurzer Zeit viel besser – schneller – zu werden?
Als ich als Bundestrainer angefangen habe, lag der deutsche Rekord bei den Herren bei 5,9 Sekunden, bei den Damen bei 7,73 Sekunden. Heute sind wir bei 5,0 und 6,8 Sekunden – das ist eine gute Entwicklung. Man muss auch dazu sagen, dass wir vergleichsweise junge Athletinnen und Athleten im Kader haben, die ein hohes Potenzial mitbringen. Ich denke, ein Grund für diese Entwicklung war die gegenseitige Beobachtung: Eine Nation schaut, was die andere macht – und das pusht ungemein. Der Mount Everest musste auch das erste Mal bestiegen werden, um die Möglichkeit zu zeigen. Auch wenn der Vergleich etwas hinkt, gibt es gewisse Parallelen zur Fünf-Sekunden-Marke. Wir waren in dem Moment zwar nicht überrascht, aber durch das Zuschauen und Analysieren der Bewegung realisiert man dann eben doch, dass es tatsächlich machbar ist.
Aber inzwischen ist doch auch das Training ein ganz anderes?
Klar, es ist definitiv so, dass sich das Training stetig weiterentwickelt. Der erste Schritt ist immer das Einschleifen der Route. Bei den Gos wird der Bewegungsablauf so eingeprägt, dass die Kletterinnen und Kletterer ihn verinnerlichen. In Relation zu allen Trainingsinhalten ist das allerdings ein eher kleinerer Teil. Wir verbringen dennoch sehr viel Zeit an der Wand, um die kleinen Details zu perfektionieren. Die Maximalkraft spielt beim Speed eine große Rolle, genauso die Schnellkraftkomponente. Sprints und Sprünge gehören zum Training, daneben das Leiter- und Campustraining und Bauch-, Rücken- und Schultertraining. Wir sind etwa 60 bis 70 Prozent an der Wand, 30 bis 40 Prozent bestehen aus Kraftraum und Schnellkrafttraining.
Und wenn die Route automatisiert wurde: an welchen Rädchen wird dann noch gedreht?
Speedkletterer arbeiten an ganz kleinen Details. Je schneller man läuft, umso kleiner werden die Details, an denen man arbeitet. Um noch schneller zu werden, werden beispielsweise die Griffe nicht mehr wirklich lange festgehalten, sondern nur kurz, um dann sofort weiterzuziehen.
So kann man die Flugzeiten reduzieren. Je mehr Kraft man hat, umso leichter wird das. Ziel beim Speed ist, maximale Geschwindigkeit bei maximaler Präzision zu erreichen.
Ist es nicht monoton, immer nur die gleiche Tour zu laufen? Wie motivieren sich die Athletinnen und Athleten?
Diese Frage höre ich nur im Klettersport. Dass ganz viele Sportarten repetitiv und Detail-orientiert sind, wird oft vergessen. Wenn man die Details trainiert, ist jeder Lauf doch anders… man dreht an den kleinen Rädchen, arbeitet an den Feinheiten. Wenn man dann Fortschritte macht, freut man sich. Und das Training besteht ja nicht nur aus dem Spulen der Route, wir haben auch andere Einheiten. Ich überlege mir schon immer wieder etwas Neues, damit es nicht langweilig wird.
Früher gab es in Deutschland nur in ganz wenigen Hallen eine Speedroute. Gibt es für euch inzwischen gute Trainingsmöglichkeiten?
Die Trainingsbedingungen haben sich leider nicht verbessert, sie sind für uns nicht optimal. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Um wirklich gut trainieren zu können, ist eine eigene Halle für den Leistungssport unser Ziel.
Welche Zeiten sind möglich? Oder anders gefragt: sind ein endgültiger Anschluss an die Weltspitze und ein Podestplatz im kommenden Jahr möglich?
Fünf Sekunden sind möglich, unser Ziel sind 4,9 – also bei den Herren. Bei den Damen denke ich, dass wir ebenso noch viel Potenzial haben. Da müssen wir aber noch mehr in die Breite gehen. Zeiten sind mir übrigens grundsätzlich wichtiger als ein Podestplatz. Denn ohne das Niveau, eine bestimmte Zeit klettern zu können, geschehen auch keine Podestplätze. Aber klar, natürlich ist es ein Ziel, eine Medaille auf Weltniveau zu holen. Das ist aktuell aber schwer planbar und hängt eher von der Tagesform ab.
In Kletterkreisen heißt es oft, Speed habe mit Klettern nicht viel zu tun. Was sagst du?
Also ich realisiere immer mehr, dass Speed definitiv anders ist als Bouldern oder Lead. Aber ob es kein Klettern ist? Ich bin zwar kein erfahrener und langjähriger Kletterer, würde aber trotzdem sagen, dass es eindeutig Klettern ist. Lasst uns doch die Unterschiede nicht verteufeln. Wir erbringen unsere Leistung komplett anders, ja, das stimmt. Wir sind aber immer noch gemeinsam in der Halle an der Wand.
Sind Speedkletterer automatisch gute Kletterer?
Die derzeitige Generation hat noch mit Bouldern oder Lead begonnen und sich dann erst später auf Speed fokussiert. Also die findest du auch in Bleau oder im Tessin am Fels. Mit den wirklich guten Kletterinnen oder Kletterern können sie sich aber nicht messen, dafür sind sie zu sehr Spezialisten. Künftig wird es aber sicher so sein, dass schon bei den sehr Jungen von Beginn an der Fokus auf Speed liegt… ob die dann noch bouldern oder Seilklettern werden, weiß ich nicht.
Der Wettkampfmodus läuft im K.-o.-System. Findest du den gerecht?
Puh, also ehrlich gesagt, ist der Modus für mich noch nicht ganz ausgereift. Das K.-o.-System sehe ich kritisch. Für die Zuschauer ist das sicher nett und spannend – für die Athletinnen und Athleten aber nicht besonders optimal. Zum einen ist es ja immer die Frage, gegen wen du laufen musst. Zum anderen hast du keine Chance, einen Fehler zu korrigieren, du erwischt einen Griff nicht optimal und bist raus. Du hast keine Chance, dich in den Wettbewerb zurückzukämpfen. Das ist aber schon ein wichtiges Element im Sport, das man ganz oft sieht. Es macht auch eine Klasse aus, ob ich dazu in der Lage bin.
Wie wichtig ist dabei der Kopf? Ein Mini-Fehler und es ist aus.
Der Kopf ist extrem wichtig. Der Druck, bei den Gos im Wettkampf abliefern zu müssen, ist extrem groß. Deshalb haben wir auch Simulationen unter Wettkampfbedingungen, also mit einer hohen Lautstärke, mit Störungen von außen – da ruft dann beispielsweise jemand rein. Das ist eine gute Vorbereitung. Und dann wird unseren Athletinnen und Athleten natürlich auch eine sportpsychologische Begleitung angeboten, die leiste allerdings nicht ich. Das macht ein Sportpsychologe vom Deutschen Alpenverein.
Wie schaut es mit dem Nachwuchs aus?
Der Jugendkader ist sehr stark, gerade bei den Jungs sind einige starke dabei. Die haben schon jetzt ein hohes Niveau. Bei den Mädels ist das etwas vereinzelter. Mittlerweile gibt es bei den Deutschen Jugend-Cups auch schon bei der C-Jugend einen Speedwettkampf mit einer abgeänderten Route. Dort werden sechs Zusatz-Griffe und Tritte pro Bahn in die reguläre Normspeedroute geschraubt, die Bahn ist statt 15 Meter nur zehn Meter hoch. Für Kinder ist dieses Format deutlich besser. Es wäre sinnvoll, das auch schon bei den Jüngsten anzubieten. Dann könnten wir schon deutlich früher Talente fördern. Durch die Veränderung der Altersklassen im nächsten Jahr versuchen wir, uns nochmal besser aufzustellen.
Speedklettern leidet oft unter einer medialen Vernachlässigung: ärgert dich das?
Ja, das ärgert mich. Speed ist die Nische der Nische. Wir haben kein mediales Portal, wo national darüber berichtet wird, dass zum Beispiel ein Athlet eine Bestleistung gelaufen ist. In manchen Klettermagazinen gibt es das für das Felsklettern, aber eben nicht für das Wettkampfklettern. Speed findet kaum Beachtung, der Fokus war und ist auf das Felsklettern oder auf Bouldern und Lead gerichtet. Durch die Olympischen Spiele hat sich das schon etwas geändert. Inzwischen läuft Speed dort ja auch als Einzeldisziplin. Speedklettern ist sehr spannend zum Anschauen, und man versteht es sofort: Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen, zwei Kletterer, die nebeneinander laufen – und wer als erster oben ist, gewinnt. Bouldern dagegen ist eher etwas komplizierter zu schauen, finde ich. Man muss fast selber bouldern, um zu verstehen, was da passiert. Das Speedformat verändert sich, im nächsten Jahr wird es schon vier Bahnen geben und das macht es noch einmal spannender. Speed wird noch viel populärer werden – und auch auf olympischer Ebene weiterwachsen.