Mit links – Paraclimberin Corinna Wimmer im Interview
Alles ist möglich, solange man es nur macht: Das ist für Corinna „Corie“ Wimmer so eine Art Motto. „Ich versuche es einfach und sage nicht sofort, ich kann etwas nicht – manchmal versuche ich es auch immer wieder, ich bleibe dran“, sagt die 27-Jährige im Interview mit Kletterszene.com. Corinna, die derzeit in München Medizin studiert, hat einen vollständigen linken Arm, ihr rechter reicht – von Geburt an – nur zwei Zentimeter über das Ellenbogengelenk hinaus. Was sie nicht davon abhält, erfolgreich zu klettern.
Corinna, zwei schnelle Fragen zum Aufwärmen: Bouldern oder Klettern?
Äh… Bouldern.
Fels oder Plastik?
Fels.
Manche würden sagen, klettern mit nur einem Arm ist verrückt. Was sagst du?
Ich habe meine Behinderung ja von Geburt an, ich kenne das gar nicht anders. Ich mache ja schon immer alles mit eineinhalb Händen. Ich habe irgendwann für mich beschlossen, mich nicht davon, was andere sagen, abhängig zu machen was ich tue. Sondern ich mache das, was mir Spaß macht. Und da stecke dann immer meine volle Energie rein. Ich kämpfe für meine Ziele. Manche finden es vielleicht verrückt, dass ich klettere – aber wenn ich immer nur auf andere hören würde, dann würde ich wahrscheinlich nur zu Hause hocken.
Auf deinem Insta-Account finden sich Hashtags wie #tenfingersareoverrated oder #mitlinks. Das hört sich nach einem sehr souveränen, lockeren Umgang mit deiner Einschränkung an – ist das so?
Mit links ist ein interner Familienscherz. Ich finde das halt auch witzig wegen der Doppeldeutigkeit. Und das mit den Fingern: viele gehen davon aus, dass man zehn Finger braucht, um beispielsweise zu klettern… ist aber nicht so. Deshalb dieser Hashtag. Aber es ist schon so, dass ich mit meiner Einschränkung sehr offen umgehe. Und damit auf große Akzeptanz und eigentlich nur selten auf Ignoranz stoße.
Was ärgert dich am meisten von den sogenannten Normalos?
Ärgern wäre jetzt zu viel gesagt, aber ich mag es nicht so besonders, wenn andere über mich bestimmen. Also wenn sie für mich beschließen, was ich kann beziehungsweise nicht kann. Wenn ich mich immer daran halten würde, dann blieben mir viele Möglichkeiten verwehrt. Man sollte Barriere abschaffen, bevor sie entstehen. Ich habe zwar „nur“ einen Arm, aber ich studiere, ich habe einen Job und ich klettere… und das alles funktioniert.
Und die Kletterszene? Bist du da einfach Corie – oder gibt’s auch komische Reaktionen?
Also manchmal gibt’s von Kletterern, die mich nicht kennen, schon Blicke, aber insgesamt ist das absolut kein Thema. Das ist eigentlich eine sehr offene Community. Ich habe oft super schöne Gespräche über das Klettern, viele probieren auch meine Beta aus, die natürlich eine andere ist… das ist manchmal sehr witzig. Also überwiegend gibt es eine sehr positive Resonanz.
Wie hast du eigentlich das Klettern für dich entdeckt?
Ich bin im Landkreis Rosenheim aufgewachsen, also sehr nahe an den Bergen. Eine Affinität zu Bergen und Natur war immer da. Paradoxerweise habe ich aber eine sehr ausgeprägte Höhenangst und habe – als so eine Art Therapieversuch – in einer kleinen Halle mit dem Bouldern begonnen. Was anfangs nur als Therapie gedacht war, hat mich dann aber nicht mehr losgelassen.
Was bedeutet es dir inzwischen?
Das Klettern ist für mich Teil meines Alltags, meines Lebens. Egal ob in der Halle oder draußen am Fels. Das Klettern gibt mir unglaublich viel. Beim Klettern kann man über sich selbst herauswachsen, man muss sich mit seinen Stärken und Schwächen auseinandersetzen – daneben verlangt es eine enge Verbindung von Körper und Geist. Wenn ich klettern war, komme ich eigentlich immer mit einem Lächeln nach Hause.
Nach welchen Kriterien suchst du dir deine Routen aus? Linksorientiert?
Nee, tatsächlich ist viel rechtsorientiert geschraubt. Ich schaue, was in meinem Schwierigkeitslevel ist. Eine eigentlich komplett leichte Route kann für mich beispielsweise unmöglich sein, weil mir dafür die Reichweite fehlt. Ich suche mir aber auch oft herausfordernde Routen aus, für die ich meine Komfortzone verlassen muss. Die meisten Boulder und Routen sind zwar eigentlich nicht für eineinhalb Arme gedacht, aber ich muss dann eben anders rangehen und mir meine eigene Beta basteln, das erfordert viel Kreativität.
Was sind deine Stärken und was deine Schwächen?
Stärken sind Körperspannung, Flexibilität, unkonventionelles Denken und nicht aufzugeben. Schwächen sind anatomisch bedingt, ich kann rechts beispielsweise keine Griffe mit Fingerlöchern nehmen, auch schulterlastige Züge gehen nicht.
Projektierst du auch Boulder oder Routen?
Ja, klar… ich habe Projekte und tüfftle daran. Vor Kurzem habe ich wochenlang einen Boulder probiert. Ich konnte die Einzelzüge einfach nicht zusammensetzen, hatte schon keine Haut mehr. Irgendwann habe ich dann erfahren, dass der Boulder am nächsten Tag rausgeschraubt wird. Und an diesem Tag bin ich um sechs Uhr in der Früh aufgestanden, in die Halle gefahren und habe ihn im ersten Versuch durchgezogen. Ich hätte alles gegeben, um ihn zu machen – und es hat dann ja auch geklappt.
Würdest du dich als ehrgeizig beschreiben?
Ja, schon. Aber im gesunden Maß. Wenn ich ein Ziel habe, dann setze ich viel Energie rein.
Du bist seit 2020 im Bundeskader der Paraclimber… wie läuft´s da?
Meine ersten richtigen Wettkämpfe waren erst im vergangenen Jahr, 2020 gab es coronabedingt ja keine Wettkämpfe. Es lief gut, ich habe viele Erfahrungen gemacht und konnte viel dazulernen – es war ein ereignisreiches Jahr. Ich hoffe, die drei Weltcups, die es in dieser Saison geben wird, mitnehmen zu können. Ich arbeite gerade an meiner Doktorarbeit und mich zu 100 Prozent auf das Klettern zu fokussieren, geht leider nicht. Aber es macht mir unglaublich viel Spaß, gemeinsam mit dem Team bei Wettkämpfen anzutreten. Viele aus dem Team sind inzwischen auch zu guten Freunden oder Trainingspartnern geworden.
Was waren bislang deine größten Erfolge?
Ich wurde 2021 in Imst Dritte, das war allerdings kein Weltcup. Und am Fels habe ich einen 6c-Boulder gemacht, der wurde mir als sehr einfacher Aufwärmboulder verkauft (lacht). Ich fand ihn zwar dann ein bisschen anspruchsvoll beziehungsweise sehr herausfordernd, aber habe ihn dann, nachdem ich eine eigene Beta gefunden habe, trotzdem gemacht.
Hast du einen großen Traum?
Paralympics wären natürlich schon sehr schön… aber noch sind wir ja nicht bei den Olympischen Spielen vertreten, das wird frühestens 2028 in Los Angeles der Fall sein. Das wäre aber alleine schon als Zeichen schön, wenn wir Paraclimber dort ankommen würden.
Ich bin dann mit meinem Studium schon fertig, falls ich nicht als Athletin teilnehmen kann, dann ja vielleicht als Ärztin. Es gibt sogenannte Klassifizierer, die die Paraclimber vor den Wettkämpfen in die verschiedenen Kategorien einteilen. Das würde mich reizen, ich könnte da mein Kletterwissen und meinen medizinischen Hintergrund wunderbar kombinieren. Ich kann in diesem Jahr schon mal ersten Erfahrungen als Trainee machen, mal schauen, wie es danach weitergeht.
Und wie geht’s in diesem Jahr weiter mit Corinna Wimmer?
Ich möchte ganz viele europäische Bouldergebiete, wo ich bislang noch nicht war, besuchen. Ich lerne gerne andere Länder und Kulturen kennen. Und dann hoffe ich, dass es mit einem Start bei den drei Weltcups klappen wird.