Mutter werden, Mutter sein – Kletterin bleiben
Schwangerschaft und Muttersein sind für über ein Drittel aller kletternden Menschen Teil ihres Lebens. Die Leidenschaft für den Klettersport damit zu vereinbaren, bleibt für viele von ihnen eine Herausforderung.
Warum klettern und bouldern wir? Sport hat grundsätzlich und in Maßen betrieben positive Effekte auf Körper und Psyche, das gilt auch für werdende Mütter ohne Schwangerschaftskomplikationen.
Sich am Fels und in der Halle unter Freund*innen und Fremden als Teil einer Gemeinschaft wahrzunehmen, gemeinsam tüfteln, einen Zug oder eine ganze Route zu schaffen, die Berge erleben, scheitern und dazuzulernen, der Kaffee danach – vieles davon gehört für die meisten von uns einfach zum Kletterleben dazu.
Mit der Entwicklung des Kletterns zum Breitensport steigt auch der Anteil der kletternden Frauen. Laut einer Kletterhallenumfrage des DAV aus dem Jahr 2024 waren 47 % aller Gäste weiblich.
Grob überschlagen wird über ein Drittel unserer Community also früher oder später mit einem weiteren Abenteuer konfrontiert: dem Mutterwerden und -sein und damit als Kletterin auch mit der Frage „Unter welchen Voraussetzungen kann ich meinen Lieblingssport weiter ausüben und wie?“

Denn für viele Frauen ist Kletterin zu sein schlicht ein sehr wesentlicher Teil ihrer Identität.
Die Gesellschaft schreibt uns förmlich vor, man sollte sich selbst vergessen und einfach nur Mutter sein. Ja, ich bin eine Mutter, aber ich bin auch eine Kletterin. Ohne eines von beiden wäre ich nicht Caroline.
Caroline Ciavaldini – Kletterszene
Bereits 2015 schrieb die besonders am Fels erfolgreiche deutsche Sportkletterin Sarah Kampf für uns einen Beitrag zum Thema Klettern in der Schwangerschaft und danach. Während Sarah neben wenigen international bekannten Klettergrößen wie Lynn Hill und Beth Rodden Mitte der 2010er-Jahre eine der wenigen Frauen war, die öffentlich teilten, wie sie diese Lebensphasen erlebten, machen mittlerweile weitere Profikletterinnen Teile ihres sportlich aktiven Wegs durch Schwangerschaft und Rückbildung auf Social Media sichtbar.
Die britische Olympionikin Shauna Coxey kletterte seit ihrem dritten Lebensjahr und zeigt sich im Mai 2022 in ihrer vierzigsten Schwangerschaftswoche, nah über der Weichbodenmatte an einem Hallenboulder traversierend, ganz in ihrem Element.
Ich kann immer noch nicht glauben, wie gut es sich anfühlt, mich an der Wand zu bewegen. Auch wenn ich hier und da etwas Hilfe und ein paar zusätzliche Griffe brauche. Auf diesen ersten Zug war ich allerdings super stolz!
Auch die ukrainische Olympiateilnehmerin Jenya Kazbekova, die erst in diesem August Mutter geworden ist, entschied sich dazu, ihre Instagram-Follower an einigen Klettererfahrungen während ihrer Schwangerschaft teilhaben zu lassen.
Das Beste, was du während einer Schwangerschaft tun kannst, ist, auf deinen Körper zu hören. Mit 20 Jahren Erfahrung vertraue ich mir selbst und meinem Instinkt, um zu wissen, was sicher ist und wo ich mich zurückziehen muss.






Man muss nicht Profiathletin sein um dem Klettersport während und nach einer Schwangerschaft weiter nachzugehen, dennoch ist sie kein geeigneter Zeitpunkt, um neu in den Sport einzusteigen.
Grundvoraussetzungen, um den Lieblingssport während dieser Zeit weiterzutreiben, sollten also ein paar Jahre Erfahrung sein und vor allem eine normale, unkomplizierte Schwangerschaft und eine gute Selbsteinschätzung.
Auch Linda, Freizeitboulderin, war sportlich, als sie schwanger wurde, und boulderte während ihrer Schwangerschaft zunächst weiter. Dabei hielt sie Rücksprache mit ihrer Gynäkologin und mit ihrer Hebamme.
Ich war relativ schnell sehr vorsichtig, habe mich sehr eingeschränkt, was die Schwierigkeitsgrade angeht, und habe dann auch oft die Route abgebrochen und bin abgeklettert, wenn es mir zu sketchy wurde.
Manche Frauen finden etwas später, nachdem Schwangerschaftsübelkeit und Erschöpfung des ersten Trimesters überstanden sind, zum Sport zurück.
So ging es auch Luzia, die sich schließlich auf das Seilklettern im Toprope verlegte.
Zur Ausübung dieser Spielart des Klettersports während der Schwangerschaft gibt es sogar mittlerweile erste Studien. Die Schlussfolgerung einer dieser Studien auf der Grundlage des Seilgesicherten Kletterns:
Sportklettern kann unter bestimmten Voraussetzungen während der Schwangerschaft sicher ausgeübt werden.

Was im Gespräch mit Frauen aus der Kletterszene, die eine Schwangerschaft erlebt haben, auch deutlich wurde war, wie wichtig die eingangs erwähnte soziale Komponente des Sports für schwangere Kletterinnen ist.
Wer viele Kletterfreund*innen hat und mit diesen bisher sehr viel Zeit am Fels und in Hallen verbracht hat, möchte das auch weiterhin im Rahmen des Möglichen tun.
Je kompetitiver das Umfeld und je mehr man sich auch selbst über Leistung definiert, desto schwieriger wird es allerdings, weiterhin „mitzuspielen“, auch nach der Entbindung.
Kaum ein erwachsener Körper macht in einem derartigen Tempo so gravierende Veränderungen durch wie der weibliche während Schwangerschaft und Rückbildung. Schwerpunkt und Körperdimensionen müssen ständig neu austariert werden, Bauchmuskeln gehen ihrer Wege um Platz zu machen für das neue Leben im Bauch, das Schwangerschaftshormon Relaxin lockert Bändern und Gelenke in Vorbereitung auf die Entbindung.
Der Weg zurück zum sportlichen Körper wie man ihn vor der Schwangerschaft kannte gestaltet sich oft unerwartet langwierig und hart.
Auch über ein Jahr nach der Entbindung ging es mir häufig so, dass ich kognitiv genau wusste, wie und dass ich einen Boulder klettern kann, aber mein Körper war einfach noch nicht wieder in der Lage dazu.
Luzia
Wieder neu anfangen zu müssen, Dinge wieder lernen zu müssen, die man zuvor intuitiv beherrscht hatte und die einem nun schwer fallen oder gar nicht mehr gelingen kennen Kletter*innen aller Geschlechter höchstens von Zwangspausen nach schwerwiegenden Verletzungen.
Frauen, die geplant schwanger werden und sich schon vorab mit der auf sie zukommenden Einschränkung auseinandersetzen nehmen den herausfordernden Weg zurück zu ihren sportlichen Fähigkeiten häufig etwas leichter.
Doch auch das Angebot an professioneller Begleitung wächst. Martina Scheichl-Merle, Spezialistin für prä- & postnatales Training ist Initiatorin von „Mommy wants to climb“. Sie hat Sport (Mag., BSc.) studiert, ist leidenschaftliche Kletterin und selbst Mutter. Aus diesem Hintergrund heraus hat sie einen Kurs entwickelt, der dort ansetzt, wo viele Angebote für Mütter enden: bei der Rückkehr in ein aktives, kraftvolles Kletterleben – nicht nur körperlich, sondern auch mental.
Für Martina geht es wie für viele Frauen in dieser Lebensphase auch um Selbstwert, Autonomie und Identität.
Frauen erleben nach der Geburt häufig einen enormen Bruch: Sie funktionieren für andere, verlieren ihre sportliche Sicherheit, ihr Selbstbild und ihren Selbstwert und glauben oft, es sei egoistisch, sich selbst wieder Raum zu nehmen.
Martina

Sport, insbesondere Klettern, kann dabei zutiefst empowernd wirken: Es schult Selbstwirksamkeit, Mut, Vertrauen und Körperbewusstsein – Eigenschaften, die Mütter dringend brauchen und oft verlernen, wenn sie nicht aktiv gestärkt werden sagt Martina.
Dieser Beitrag ist weder ein medizinischer Ratgeber, noch soll er zu irgendeiner Handlung motivieren. Jede Frau und werdende Mutter steht individuell vor der eigenverantwortlichen Entscheidung, ob sie weiter klettern kann und möchte, wessen Rat sie zur Beantwortung dieser Frage einholt und ob sie sich weitere Unterstützung auf ihrem Weg Mutter zu werden, Mutter zu sein und Kletterin zu bleiben sucht.
Weitere Artikel zum Thema auf Kletterszene:
- Mit Bauchgefühl in die Wand mit Sarah Kampf
- Baby Steps mit Caroline Ciavaldini + Video
Martinas Angebot:
Weitere Links:
Video-Link: https://youtu.be/AjZsRdA590A?si=RVlHW-gSLjqlRCXd