Leistungsorientiertes Klettertraining – Form follows function

Leistungsorientiertes Training ist ein komplexes Feld. In der BalanceSchmiede weiß man das, denn hier wird zielgerichtet mit Leistungssportlern aus verschiedenen Sportarten in der Vorbereitung auf ihre Wettkampfphase gearbeitet. Klettern stellt hierbei ein großes Aufgabenfeld dar – so haben u.a. Monika Retschy und Christoph Hanke ihr Athletiktraining absolviert.

Fragt man Kletterer, was für sie die wichtigsten Trainingsinhalte sind, so balanceschmiede_moniretschy9hört man oft die gleichen Antworten: Arm- und Fingerkraft, Rumpfkraft, Kraftausdauer und Maximalkraft. Ohne Zweifel sind dieses Fähigkeiten leistungsbestimmende Faktoren beim Klettern, doch bringen sie allein nicht das Potential zum Vorschein, was in einem steckt. Sehr oft wird das Training zu selektiv betrachtet – einzelnen Muskeln, wie dem Latissimus, Bizeps und den Fingerbeuger, werden bestimmte Aufgaben in einer Kletterbewegung zugesprochen. Aber zum Klettern braucht man mehr als „viel Kraft“ in einzelnen Muskeln.
Kaum eine andere Sportart ist so komplex wie Klettern. Es vereint fließend Kraft, Ausdauer, Koordination und Psyche. Dazu sind nicht nur Einzelmuskeln aktiv, sondern ganze Muskelketten, die sich durch den gesamten Körper ziehen. Sportwissenschaftlich betrachtet definiert das schwächste Glied einer Bewegungskette die Leistungsfähigkeit einer Kletterbewegung.

Das schwächste Glied einer Bewegungskette zu finden ist der erste Schritt eines leistungsorientierten Vorbereitungstrainings, denn es definiert einen wichtigen Trainingsinhalt. Hinzu kommen biomechanische Grundregeln, die uns die Trainingswissenschaft und Trainingstherapie zeigen. Ein Gelenk kann dann einen hohen Hebel oder hohe Last umsetzen, wenn es anatomisch optimal positioniert ist. Hierbei ist unsere gelenksnahe Stützmuskulatur enorm gefragt. Eine saubere Gelenkposition einzunehmen braucht aber eine optimale Rumpfaktivierung. Somit haben wir eine erste kleine Muskelkette, die beispielsweise bei einem Klimmzug o.ä. gefordert ist.

Diese Gesetzmäßigkeit zeigt uns, dass die Leistungsform abhängig von vielen Muskelfunktionen ist, die im richtigen Zeitpunkt und der passenden Intensität zusammenspielen müssen – form follows function!

Die Boulderin Monika Retschy und Lead-Athlet Christoph Hanke hatten sich zu Beginn ihrer Vorbereitungszeit einer sportmotorischen Analyse gestellt. Ziel war es, in allgemeinen Bewegungsmuster Fehler oder qualitative Verluste zu erkennen. Die Resultate hieraus bestimmten die ersten Trainingsinhalte. Da Bewegungsqualität sehr eng mit Koordination verbunden ist, wurde bewusst der Kraftaspekt zurückgestellt. Nachdem die Funktion an den „Schwachstellen“ behoben war, stand nun im nächsten Schritt die Leistungsform im Mittelpunkt. Es gilt, die Einzelbausteine funktionell zu einer leistungsstarken Einheit zusammen zu fügen. Denn auch wenn selektiv sowohl Rumpf- als auchBizepsfunktion auf einem hohen Level sind, ist nicht garantiert, dass beide vereint in einer Muskelkette ihr volles Leistungspotential ausschöpfen können. Das klingt zunächst einfach, doch gibt allein die Rumpfmuskulatur mit ihren vielen Zugrichtungen ein komplexes Muskelgeflecht mit eigenen funktionellen Gesetzmäßigkeiten. Je nach Belastungsart der Extremitäten ist der Rumpf unterschiedlich gefordert. In dieser Trainingsphase war Körperwahrnehmung ein entscheidender Inhalt. Auch hier waren die Belastungsintensitäten immer wieder bewusst niedrig gehalten, denn Wahrnehmung braucht hohe Konzentration und mentale Ruhe. Die Bewegungsformen zeigten immer deutlicher kletterspezifische Bewegungsmuster.

[parallax]

BalanceSchmiede_chrishanke4Wie viel sind Bewegungsabläufe für einen leistungsorientierten Kletterer wert, die im kontrollierten Umfeld stressfrei mit viel Konzentration ausgeführt werden können? – Nicht viel, denn in Wettkampf- oder Stresssituationen greifen wir sehr häufig auf spontane Bewegungen zurück.

All die professionelle Vorbereitungsarbeit hätte im Wettkampfstress keinen Sinn, wenn diese erarbeiteten und qualitativ guten Muster nicht unterbewusst und spontan abrufbar sind. Somit war der letzte Schritt die kognitive Festigung der einzelnen Bewegungsabläufe. Hierbei waren die Belastungsintensität oder die Bewegungskomplexität oft sehr hoch. Dennoch war der Fokus stets auf die qualitativ korrekte Ausführung gerichtet.
Rückblickend auf das Vorbereitungstraining wurden in mehreren Schritten viele Leistungsfaktoren trainiert: Eine genaue Bewegungs- präzision und Muskelansteuerung zeigt eine Verbesserung der Kraft-ökonomiesierung (genaues Bewegen um weniger Kraft zu verschenken). Koordinativ wurden gute Muskelfunktionen zu leistungsstarken Ketten verbunden. Körperwahrnehmung über funktionelle Muskelketten verbessert den Athleten koordinativ enorm, da auf unerwartete Belastungs- und Situationsveränderungen schnell reagiert werden kann (falsches Einschätzen der Wandneigung, dynamisches Weitergreifen auf einenunerwartet guten, bzw. schlechten Griff, …)

Dieses vorbereitende Athletiktraining fand ausschließlich abseits der Kletterwand statt und stellt die Basis für alle Trainingsvarianten, die kletterspezifisch im Bouldern oder Seilklettern folgen.
Monika Retschy und Christoph Hanke haben erkannt, dass ein intensives Klettertraining aufgebaut auf einer schwachen Basis nicht zielführend ist. Die häufigen Verletzungen und schmerzbedingten Pausen vieler motivierter Kletterer stützen diese Erkenntnis.

Dieser Artikel ist die Einleitung zu einer in sich aufbauenden Trainingsreihe, die wir in Kooperation mit der BalanceSchmiede in Bad Tölz zusammenstellen werden.

Als kombinierte Info- und Übungsbeschreibung kommen dem nächsten folgende Artikel:

  • kletterspezifische Trainingsplanung
  • kletterspezifisches Rumpftraining
  • kletterspez. rumpfintergriertes UEx-Training
  • kletterspez. rumpfintergr. OEx-Training
  • dynamisches Klettern – funktionelle Weiterleitung von Kräften

Weitere Informationen zur BalanceSchmiede findet ihr unter folgenden Links: