Krangel im Seil – Risiko oder nicht?

Seilkrangel - die Ursachen

Krangel im Seil gehören zu den lästigsten Erscheinungen des Kletterlebens. Es ist extrem nervig, erst mal einen Seilsalat entwirren zu müssen, wenn Du Dich gerade einbinden willst, oder wenn solche Krangel im Nachstieg auftreten. Aber birgt es sogar gewisse Risiken, wenn sich am Seil über der Einbindeschlaufe plötzlich eine Seilwindung nach der anderen stapelt? Ausrüstungsguru Kolin Powick ist dieser Frage nachgegangen.

Bist Du jemals in einer Seillänge unterwegs gewesen und am Ende hattest Du ein korkenzieherförmiges Stück Seil an Deinem Klettergurt?  Ich schon. Und es macht mich verrückt. Es ist mir im Vorstieg passiert, im Nachstieg, mit Einfachseilen, Halbseilen, Zwillingsseilen, alten und neuen Seilen. Krangel im Seil gibt es schon so lange, wie es den Klettersport gibt.  Wie und warum kommt es dazu? Wie kann man es verhindern? Und ist es ein Risiko, wenn sich während des Kletterns zu viele solcher Krangel bilden?

Ursachen von Seilkrangel

Ich bin mir sicher, dass es noch mehr gibt, aber die folgenden vier Punkte sind die wichtigsten Ursachen von Krangeln im Seil:

  1. Aufschiessen/Abwickeln
  2. Ablassen – Position von Haken
  3. Ablassen – enger Radius
  4. Abseilen oder Sichern mit Halbmastwurf

1) Aufschiessen/Auslegen

Bis vor kurzem waren Seile von Mountaineers Coil fast allen Herstellern gemäss der „alten Schule“ ab Werk aufgeschossen. Einige wenige sind lose in Seilsäcken erhältlich (wodurch die Krangelbildung vermieden wird), aber die meisten werden einfach immer im Kreis gewickelt, so wie Du ein Seil einfach um Deinen Oberarm oder Schulter und Deine Hand wickeln würdest. Wie früher die Bergsteiger.

Wenn jemand, der dieses Problem noch nicht kennt, ein werkseitig aufgeschossenes Seil so wie es ist zum Klettern verwenden würde… tagelang wäre diese Person mit Entkrangeln beschäftigt.

Es gibt seit vielen Jahren eine „empfohlene Methode“, ein neues Seil abzuwickeln. Hierbei wird das gesamte Seil mehrmals von einem Seilende zum anderen mit einer Hand durch die andere Hand gezogen. Auf diese Weise lassen sich die mitgebrachten Windungen und Krangel entfernen, die beim werksseitigen Aufwickeln entstehen. Viele Seilhersteller sind inzwischen dazu übergegangen, Seile schon ab Werk so aufzuschiessen, dass Fehler beim Abwickeln und daraus entstehende Krangel verhindert werden. Da die Seile beim Aufschiessen nicht verdreht werden, müssen beim Abwickeln auch keine Windungen aus dem Seil entfernt werden.

Ein solches Seil kann einfach frisch aus der Verpackung genommen und zum Klettern verwendet werden, ohne dass es zu krangeln beginnt. Sehr cool! Auch wenn sich das nicht unbedingt aufregend anhört, so ist es doch eine Innovation, die nicht nur die nervige Krangelbildung eindämmt sondern auch Zeit spart.

 2.) Ablassen – Position von Haken

Beim Ablassen kann die Position von Haken am Standplatz einen grossen Einfluss auf Dein Seil haben. Idealerweise hast Du zwei bombenfeste Haken mit Quicklinks, Abseilringen oder einer Kette. Wenn der ganze Stand dann so eingerichtet ist, dass das Seil wie ein umgekehrtes V darin hängt, wird das Seil kaum krangeln.

Wenn das Seil durch zwei Haken mit einem grösseren Abstand verläuft, sodass das Seil nochmals umgelenkt wird, kann dies zu einer Krangelbildung führen.

3.) Ablassen – enger Radius

Hast Du schon mal ein Geburtstagsgeschenk mit Geschenkband umwickelt, und dann das Geschenkband mit Daumendruck über den Rücken der Schere gezogen, damit es sich schön einringelt?  Ein ganz ähnlicher Effekt tritt auf, wenn Du dich von einem einzelnen, sehr schmalen Haken ablässt. Die meisten Karabiner, Quicklinks und Kettenglieder haben einen ausreichenden Durchmesser, sodass dieses Problem nicht auftritt. Aber bei einem sehr schmalen Karabiner, einem dünnen Kettenglied oder abgenutzten Karabiner mit Seilrille kann sich das Seil krangeln.

4.) Abseilen mit Halbmastwurf

Heutzutage kommt das nicht mehr so häufig vor, da die meisten Leute Abseilgeräte benutzen. Aber seid gewarnt, beim Abseilen mit Halbmastwurf krangeln die Seile wie irr.

Du kannst das jedoch vermeiden, indem Du sicherstellst, dass die Seile vollständig frei hängen. Auf diese Weise drehen sich die Windungen sofort selber aus den freien Seilenden heraus. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass eine Person mit einem linkshändigen Halbmastwurf und die nächste mit einem rechtshändigen Halbmastwurf abseilt. Auf diese Weise werden die Windungen neutralisiert und die Krangelbildung wird stark verringert.

Allerdings ist es am besten, beim Abseilen ein Abseilgerät und keinen Halbmastwurf zu verwenden.

So entfernst du Krangel aus dem Seil

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel kannst Du das gesamte Seil einfach eine Weile am Stand hängen lassen, wodurch sich die Krangel aus der gesamten Länge lösen. Das ist ein guter Anfang, aber es ist nicht immer einfach, den richtigen Ort zu finden.  Dann kannst Du Dein Seil einfach wie im Toprope durch zwei Quickdraws ziehen. Die gesamte Länge, einmal vorwärts, einmal rückwärts.

Das wird ebenfalls helfen. Eine weitere Möglichkeit im Sommer besteht darin, das Seil über eine trockene Wiese hinter Dir herzuziehen. Einfach an einem Seilende nehmen, ein bisschen herumspazieren, und dabei werden die Krangel herausgedreht. Meine bevorzugte Methode ist es, das Seil in einer Route oder am Boden durch ein ATC-Sicherungsgerät zu ziehen.

Vor einigen Jahren flog ich im Winter nach Alaska, um dort einen schnellen (fehlgeschlagenen) Gipfelversuch zu starten. Als mein Kumpel und ich im Airport-Hangar in Talkeetna unsere Ausrüstung zusammensuchten, stolperten wir über ein nagelneues Seil – natürlich nach Old-School-Methode aufgewickelt. Ich war gerade mit Karabinern und dergleichen beschäftigt, als ich im Augenwinkel sah, wie mein Kumpel dieses Seil einfach gedankenlos auseinandernahm. Ich wusste sofort, dass wir den grössten Seilsalat aller Zeiten haben würden. Wir versuchten, das Seil auf der schneebedeckten Startbahn auszulegen und auseinander zuziehen. Am Ende banden wir das Seil am Flieger fest und liessen es die ganzen 70 Seilmeter, rückwärts durch den Schnee stapfend, durch unsere ATCs laufen. Nachdem das jeder von uns drei Mal gemacht hatte, war schliesslich die ganze Krangelei herausgedreht.

Riskiken

Abgesehen vom Frust eines zum Korkenzieher aufgewickelten Seils am Klettergurt, zwischen den Karabinern oder am Sicherungsgerät, habe ich mich schon immer gefragt, ob es ein besonderes Risiko bei der dynamischen Belastung eines gekrangelten Seils gibt. Könnte beim Sturz in ein gekrangeltes Seil der Kern reissen? Wir wollten uns das Ganze mit verschiedenen Seilen am Fallturm ansehen.

Top Rope Setup - Krangel im Kletterseil - Sicherheit Test

Tests 
Wir beschlossen, zwei Szenarios zu testen – Vorstieg und Nachstieg.
Wir drehten die Seile vor jedem Falltest ziemlich stark ein.

  1.  Ein typischer Seilsturz mit wenig Schlappseil – statische Sicherung (kein Durchrutschen).
  2.  Ein Sturz im Vorstieg in einen Quickdraw, Sturzfaktor > 1.0

Top Rope Setup - Krangel im Seil - Sicherheits Test

Zusammenfassung
Basierend auf unseren eingeschränkten aber harten Testbedingungen (sowohl starke Krangelbildung als auch hohe Belastungen) erscheint es unwahrscheinlich, dass es bei einem Sturz in ein Seil mit Krangeln zu einem Kernriss kommt. Ein stark gebrauchtes Seil zeigte beim Test jedoch stärkere Schäden (starke Verflachung und Anzeichen eines beginnenden Kernrisses) als ein neues oder wenig gebrauchtes Seil.

Fazit

Ich kann wieder ganz beruhigt sein. Während ich mich im Nachstieg in einer Seillänge abmühe, die mir meine Frau eingehängt hat, und ich kurz davor bin, beim Stürzen den eingekrangelten Korkenzieher an meinem Klettergurt lang zu ziehen, kann ich mir also sicher sein, dass dieser Seilsalat keine unangenehme Folgen nach sich ziehen wird. Uff.

Beim Abseilen oder Topropen solltest Du möglichst Quickdraws verwenden, um den Stand zu schonen. Dabei sollten die Schnapper der Quickdraws in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Wenn die letzte Person abgelassen wird, sollte das Seil richtig im Stand eingefädelt werden. Wenn die Haken einen zu weiten Abstand haben, ist es möglicherweise besser abzuseilen, um Krangelbildung zu vermeiden.

Beim Auschecken einer Sportkletterroute, in der viele Leute an der selben Schlüsselstelle immer wieder in den selben Karabiner stürzen, lohnt es sich, diesen Karabiner beim Ablassen gelegentlich zu prüfen. Wenn sich schon eine tiefe Kerbe gebildet hat, sollte er ausgetauscht werden. Zum einen schützt dies die Seile vor Krangelbildung, zum anderen erhöht es die allgemeine Sicherheit.

Und nicht vergessen, wenn Du dein nagelneues Seil auspackst, lohnt es sich, etwas Zeit zum Entkrangeln zu investieren. Entweder mit einer der hier beschriebenen Methoden. Oder, wenn es ein „Climb Ready“-Modell ist, kannst Du sofort losstarten.

So oder so – pass gut auf Dich auf.