From China with Love

„Mejola!“, sagt die alte Frau und redet wild gestikulierend auf uns ein. Ob sie denkt, dass wir sie verstehen? Unser Chinesisch besteht bis jetzt aus drei Worten: „Nihao“ für Hallo, „Shishie“ für Danke. Und „Mantao“. So nennen die Einheimischen die dampfenden Hefeklösse, die wir uns gerade zum Frühstück holen wollen. Aber wenn da keine „Mantaos“ sind und die alte Frau „Mejola“ sagt, wird das wohl bedeuten, dass sie keine mehr hat. Aha.

TS_CLB_LIMING_D168550China ist grandios. Irgendwie funktioniert es am Schluss immer. Wir wollen ins Bergdorf Li Ming und erklären dies dem Taxichauffeur. Auf Deutsch. Denn da versteht er etwa gleich wenig, wie wenn wir englisch sprechen würden. Er antwortet auf Chinesisch. Weder verstehen wir ein Wort von seinem Chinesisch, noch scheint er schon mal ein deutsches Wort gehört zu haben. Aber am Schluss sitzen wir mit all unseren Camalots im Taxi und er fährt uns fröhlich pfeifend nach Li Ming. Was braucht man mehr?

Li Ming, ganz im Südwesten von China gelegen, liegt auf 2`400 Metern Höhe. Umgeben von waldigen Hügeln, von denen Felswände aufragen, die rötlich schwarz grau schimmern. Es hat alles hier: feine Fingerrisse, die sich überhängend durch mächtige Felspfeiler ziehen. Perfekte Handrisse, die nur deshalb nicht weltbekannt sind, weil sie noch kaum jemand geklettert hat. Wir sind im siebten Himmel!

Doch dieser währt nicht so lange – denn irgendwie landen wir am Schluss doch immer wieder bei einem jener Risse, die eigentlich bereits von unten schauerlich breit aussehen. „Na einen Fünfer Camalot brauchts da schon“, meint Felicitas, als wir den Offwidth Riss vor uns studieren. Bepackt mit allerlei Friendgrössen mache ich mich auf. Bald hänge ich ratlos am letzten guten Faustklemmer. Wie um Himmels Willen kommt man da hoch? Es ist jedes Mal dasselbe: Der Fünfer Camalot steht für garantiert interessante Kletterei. Fingerkraft nützt beim Rissklettern nicht viel, Griffe hat es hier keine. Der Riss ist breit, die Faust zu schmal. Die Schulter geht aber auch nur halb rein. Also eigentlich unmöglich. Zentimeterweise schiebe ich mich hoch. Meine Bewegungen gleichen mehr einem Ertrinkenden – sobald ich aufhöre mit den Armen zu rudern, habe ich das Gefühl, in den Tiefen des Risses zu verschwinden. Aber irgendwie funktioniert es am Schluss doch. Fix und fertig, die Hose zerrissen, erreiche ich den Stand. Und platze fast vor Freude. Normal ist das wohl kaum. Die Frage nach dem Sinn unseres Tuns stellen wir vorsichtshalber nicht.
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Wenig später versucht sich Felicitas an einem engen Kamin. Die Friends an ihrem Harness beginnen bei Grösse 5. Es folgt ein Kampf gegen die Schwerkraft. Doch irgendwann ist sie oben. Und das Grinsen am Stand sagt mehr als tausend Worte. Felicitas: „Was für eine Route! Da denkst du, da kommst du nie oben an. Oder du meinst du stürzt, aber dann geschieht doch nichts, irgendwie bleibst du einfach stecken. Irgendwie funktioniert es am Schluss immer.“Am nächsten Tag entdecken wir das Pendant zur Route „Slot Machine“ im Indian Creek. Eine komplett grifflose, dreissig Meter lange, enge Verschneidung mit einem Riss ganz zuhinterst. Versuchst du den zu erreichen, fühlst du dich wie eine Sardine in der Dose. Klemmen oder gar Piazen können wir da vergessen. Zum Glück haben wir Thomas Senf, ein erfahrener Elbsandsteinkletterer, dabei. Er TS_CLB_LIMING_D168935macht uns vor, wie man die Route locker hoch turnen kann. Uns bleibt der Mund offen. Wenig später versuchen wir seine Bewegungen nachzuahmen. Deutlich weniger elegant, aber es funktioniert! Rücken gegen die eine, Füsse gegen die andere Wand. So schieben wir uns Meter für Meter hoch. Nur um einen Camalot im Riss zu legen, geht es von Zeit zu Zeit in die Konservendose. Die Verschneidung weit aussen zu klettern geht besser als gedacht. Der Gedanke daran, zwischen den Wänden hinab zu schrammen, lässt mich jedoch öfter als mir lieb ist in die Konservendose zurückkehren. Schon wieder ein Highlight der Kategorie furchtbar‐schön.

Es dämmert bereits, als wir uns auf den Rückweg machen. Im Schein der Stirnlampen steigen wir ab ins Dorf Li Ming. Die Einheimischen sitzen in ihren offenen Häusern und wärmen sich an einer Feuerschale. Einige winken uns zu, als sie uns erkennen. Denn ausser einer Handvoll Kletterer verirren sich kaum Westler in dieses Tal. Wir fühlen uns privilegiert, hier zu sein, einen winzigen Teil Chinas erleben zu dürfen und auf ein so aufgeschlossenes Volk zu treffen.

FACTS

Location:

Li Ming: Das Bergdorf liegt auf 2400müM in der Provinz Yunnan in Südchina. Li Ming befindet sich gleich am Eingang des  Nationalparkes Laojunshan, der vorwiegend von chinesischen Touristen besucht wird. Ausser einer Handvoll Kletterern sind wir dort nie einem Westler begegnet. Die Gegend wird vorwiegend von Leuten aus dem Volk der Lisu bewohnt.

Zugang: Per Flugzeug über Peking nach Lijiang. Von dort mit dem Sammeltaxi (in 2h) oder dem Ortsbus (4h, Orientierung schwierig wenn man der chinesischen Sprache und Schrift nicht kundig ist) nach Li Ming.

Unterkunft: Die Handvoll Kletterer kommen alle im FarawayHostel unter. Die Besitzer sprechen ein paar Brocken englisch und können einen bei Bedarf auch mal mit dem Auto zu einem Klettersektor fahren, damit der Zustieg zu Fuss etwas kürzer ausfällt. Freies Campieren ist im Nationalpark nicht erlaubt.

Verpflegung: Auch wenn man an jeder Ecke gebratene Hühnerfüsse kaufen könnte: Das mit dem Essen geht in Li Ming auch für Europäer problemlos. Reis oder Nudeln mit Gemüse gibt es überall. Auch Fleisch (vor allem Geflügel und Schwein) ist überall erhältlich. Das Wasser muss abgekocht oder gekauft werden (abgekochtes Wasser wird im FarawayHostel zur Verfügung gestellt). Manche der Familien im Dorf führen nebenher ein kleines Restaurant oder einen Einkaufsladen mit allem Nötigen. Sogar Drahtbürsten für das Putzen unserer neuen Routen entdeckten wir in einem Geschäft.

Rissklettern:

Neue-Routen_TopoDie Täler um Li Ming sind mit unzähligen Sandsteinwänden gesäumt, die von den Hügeln aufragen. Das Klettergebiet wurde 2010 vom Amerikaner Mike Dobie entdeckt. Mittlerweile hat er und Freunde bereits rund 200 Risslinien eröffnet. Und das Gebiet bietet noch ein enormes Potential!

Alle Routen sind Tradrouten, zum grossen Teil Einseillängen, aber auch verschiedene Mehrseillängen. Die Vielfalt an Rissen ist groß:
Feine Fingerrisse, die sich überhängend durch mächtige Felspfeiler ziehen, perfekte Handrisse, unvergessliche Offwidths. Für die Absicherung braucht es Camalots in allen Grössen, am besten in mehrfacher Ausführung. Und auch grosse Camalots bis Grösse 5 oder 6 fanden oftmals Verwendung. Dafür liessen wir die Keile zuhause.

Alle Sektoren sind zu Fuss vom Dorf Li Ming aus erreichbar. Der Zustieg liegt zwischen einer halben Stunde bis anderthalb Stunden. Mike Dobie hat eigens einen Kletterführer des Gebiets erstellt. Die exakten Beschreibungen,Topos, Fotos und Zustiegskizzen machen eine Orientierung einfach. Ein aktuelles Guidebook für nur 10$ gibt es als PDF direkt bei Mike Dobie. Infos unter junshanclimber.com

Nachdem Felicitas und Raphael nach zwei Wochen wieder abreisten, machten Thomas und ich uns auf die Suche nach noch unentdeckten Risslinien. An der Wand, die gut sichtbar ein paar Kilometer hinter dem Faraway Hostel aufragt, eröffneten wir 5 Routen. Leider reichte unsere Zeit nicht für mehr, aber mehrere dieser Routen bieten Mehrseillängen Potential. Wir hoffen jemand nimmt sich derer an und richtet die Linien an dem neuen Sektor, den wir „The Diamond“ nannten, bis ganz oben ein… Zudem eröffneten wir eine Route an der vielfarbigen Wand im Sektor Painted Wall, die noch darauf wartet, frei geklettert zu werden.

Die Geschichte des Kletterns in Li Ming begann wahrscheinlich bereits vor TS_CLB_LIMING_D169300Jahrhunderten. Die Locals aus dem Volk der Lisu haben mit Astleitern Bienenstöcke und Vogelnester aus den Felswänden geholt. Noch heute sind die Zeitzeugen an manchen Wänden zu sehen –wacklige Astleitern, die bis 60 Meter den senkrechten Fels hoch führen.

In der Yunnan Region herrscht von Juli bis September Monsoon. Klettern ist möglich in der Zeit von Oktober bis Juni, während die Monate Dezember und Januar sicher eher kühl, an den südseitigen Wänden aber angenehm zum Klettern sind. Gemeinsam mit Felicitas Feller, Raphael Corthay und dem Fotografen Thomas Senf verbrachten wir von Mitte November bis Mitte Dezember einen Monat in China. In den vier Wochen sahen wir nicht einen Regentropfen. Die Temperaturen änderten im Tagesverlauf von Mütze und Daunenjacke morgens und abends bis hin zu sonnseitiger Kletterei im Top.