Felskader Baden-Württemberg in Peru [Abgefahren Teil 1]
Dieses Jahr hatte sich der Baden Württembergische Felskader entschieden, mal etwas weiter weg zu fahren. Das Ziel Südamerika war schnell gefunden, da die Jungs und Mädls auf jeden Fall dem 35 Grad Sommer entkommen wollten passte die Südhalbkugel sehr gut. Außerdem wollte der Kader dieses Jahr wirklich etwas Neues erschließen und Abenteuer erleben. Als sie auf einer Website Bilder von Huayllay sahen, war klar: für dieses Gebiet trifft das alles zu, da müssen wir hin.
Aber es ist wohl besser wenn euch, Tom Thudium was zur Mission: Boulder zu finden und anschließend niederknüppeln, erzählt…
Am 22. September 2010 war es dann endlich so weit. Für Frieder, Jonas und Vera ging’s ab in den Flieger. Leider hatten wir es nicht geschafft alle einen (bezahlbaren) Flug am gleichen Tag zu bekommen, so hieß es für Team 1 erstmal Sightseeing in Lima. Einen Tag später kamen dann auch Alex, Milena und ich dort an. Wir wurden nur mit den Worten: „Wir müssen raus aus Lima, die Stadt ist wahnsinnig“ von den anderen drei empfangen. Als wir den Verkehr sahen, war uns auch schnell klar warum. Chaos überall. Die Verkehrsregeln bestanden ausschließlich aus Hupen, Lichthupen und Dauerwarnblinker, was in etwa soviel heißt wie: dieses Auto fährt besonders aggressiv. Nach 2 Stunden Irrfahrt, denn Schilder waren sehr sporadisch, verließen wir jedoch nach und nach die riesige Dunstglocke und es ging langsam bergauf. So fuhren wir dann ein paar Stunden gleichmäßig vor uns hin, bis wir am Straßenrand das erste Schild mit Höhenangabe sahen: 3800m. Ups, war wohl nichts mit langsam akklimatisieren. Nach ein paar Kopfwehkapriolen entschieden wir uns dann auch nochmal ein wenig nach unten zu fahren und tiefer neben der Straße zu übernachten, was wir die nächsten Tage auch wiederholen mussten. Leider waren die Plätze neben der Straße meist nicht sehr idyllisch, da Mülleimer oder ähnliches bei der peruanischen Bevölkerung anscheinend nicht sehr hoch angesehen sind und so schaffen es viel weniger Menschen als in Deutschland viel mehr Müll liegen zu lassen.
Nach ein paar Tagen entschieden wir uns jedoch endlich ins Klettergebiet nach Huayllay zu fahren. Dererste Eindruck war gigantisch, plötzlich kam mitten aus der gleichmäßig langweiligen Hochebene eine Hügellandschafft übersät mit irren Felsformationen hervor. Wow. Potential für tausende von Bouldern. Noch kurz ein paar Erkundigungen eingezogen und dann fuhren wir mitten ins Blockfeld und steuerten mit unserem Jeep jeden gut aussehenden Boulder an. Von den ersten Blöcken waren wir jedoch erstmal noch nicht komplett überzeugt, da die Felsoberfläche irgendwie sehr scharf und ein wenig brüchig war. Die Laune war trotzdem gut, da es landschaftlich super schön war. Natürlich machte es auch saumäßig Spaß unseren Jeep (Toyota Hilux natürlich mit Allrad) mal richtig im Gelände auszufahren. Leider schätzten wir den Boden ein wenig falsch ein und die linke Seite des Jeeps war bis zur Achse im Matsch eingesunken – da konnte selbst Allrad und aller Schnick Schnack nicht mehr helfen.
Da wir natürlich zu eitel waren gleich am ersten Tag in Huayllay Hilfe anzufordern ging es erstmal ans graben und zwar mit den Händen. Da dies im Matschwurzelgeflecht ein riesiger Spaß war, musste später noch mein großes Kochmesser als Hilfstool herhalten (schade um des Messer aber war halt nötig). Nach vielen abenteuerlichen Befreiungsideen (wie z.B. eine 50m lange Slackline am Auto zu spannen, um es leicht zu kippen) war endlich eine Methode mithilfe des Wagenhebers und verschiedenen Steinstapeln gefunden um das Auto anzuheben. Und tatsächlich: nach ca. 6 Stunden buddeln konnten wir das Auto wider Erwarten auf festen Grund zurückfahren. Tag 1 im Gebiet war also schon ein voller Erfolg und wir können Matschbuddeln hervorragend zur Akklimatisierung empfehlen.
Verwundert waren wir auch, dass es in dem kleinen Dörfchen Canchacucho sogar eine Touristeninformation gab, denn Touristen hatten wir hier noch keine gesehen. Die lokale Bevölkerung offenbar auch nicht, da alle sehr erstaunt waren, dass wir 6 Wochen in ihrem Ort bleiben wollten. Und als wir fragten, wo wir am besten zelten sollten, wurden wir spontan im Touristeninformationsgebäude selbst einquartiert. (Was jedoch noch nicht das Ende unserer Beherbergungen sein sollte.).
Doch nun mal wieder zurück zu dem eigentlichen Vorhaben unserer Unternehmung, dem Boulder suchen. Irgendwie änderte sich in den ersten Tagen unser Bild nicht, die Blöcke sahen gigantisch aus, doch die Felsoberfläche des Vulkangesteins war einfach unbrauchbar zum klettern. Besser wurde es auch nicht, als sich Maruja, die Bürgermeisterin von Canchacucho, uns annahm und ein paar Boulder zeigte, die aber alle mehr nach Pressspanplatte aussahen als nach Weltklasse. So kippte die Stimmung zeitweise auch ein bisschen und wir waren uns nicht mehr sicher, wo wir hier 6 Wochen lang klettern wollten. Der Plan war nun, ein wenig talaufwärts zu fahren und die Blockfelder dort zu inspizieren. Und tatsächlich: die Felsqualität war gut, es gab Leisten, Löcher, Sloper und der Fels war kompakt-Juhu!!! Ein 1a Bouldergebiet war gefunden und nirgends Spuren von vorangegangenen Boulderern. Ein Traum zum Erstbegehen. Ein Teil der Gruppe hatte nach einer Woche ohne Felskontakt auch schon akute Entzugserscheinungen und rannte wie geisteskrank nur noch von Block zu Block und dübelte alles nieder was ihnen unter die Bürste bzw. Finger kam. Das Schöne war, dass man sich erstmal die wirklich perfekten Linien raussuchen konnte. Schließlich waren alle erleichtert: wir hatten gefunden was wir suchten.
Eine ganz andere Herausforderung war jedoch der lokale Lebensstandard. Am Anfang hatten wir noch groß in einem Limaer Supermarkt eingekauft, doch solche gab es hier offensichtlich nicht und nein auch nicht im nahe gelegenen Cerro de Pasco (welches immerhin ca. 70 000 Einwohner hat). So mussten wir uns langsam mit den Kleinstläden anfreunden, die es dafür an jeder Ecke gab. Wichtig war es herauszufinden welche Dinge es wo gab und welche eben nicht. Anfangs war es eben ein wenig komisch wenn man nicht wie normal kochen kann was man will, sondern was es eben gerade gibt. Hauptproblem war jedoch das Wasser, welches es meist nur in recht kleinen Flaschen zu kaufen gab, da der normale Peruaner ja sowieso das Leitungswasser trinken kann. Wir jedoch nur bedingt. Und so wurde eben ab und zu geraume Zeit auf dem Klo verbracht. Dass die Touristeninformation ein solches hatte, war da sehr willkommen.
Anstatt abends immer so lang umzuräumen bis genug Platz zum Schlafen ist, beschlossen Vera und ich im Zelt zu übernachten. Doch der Bürgermeister von Huayllay (Señor Alcalde) meinte nicht verantworten zu können, dass bei dieser Kälte jemand im Zelt schlafen muss und eröffnete spontan am selben Abend einen Touristenkomplex, der gerade gebaut wurde. Klar, die Einladung konnten wir nicht abschlagen und ein Bungalow mit Warmwasser, Strom und Dusche for free ist ja mal wirklich nicht schlecht. Die größten Leidtragenden dieser Spontanaktion waren natürlich die Bauarbeiter, denn sie mussten zumindest einen Bungalow im Laufe des Nachmittags eröffnungsfertig bekommen (was noch einiges an Arbeit war).
Als wir am Abend ankamen fühlten wir uns nun vollends im falschen Film. Wir wurden erwartet von einem Aufgebot von über 10 Leuten unter denen der Architekt, der Bauleiter, die Innenausstatterin und natürlich einige Lokalpolitiker waren. Begleitend hierzu gab es mehrere Foto-/Videographen, damit die Festlichkeit auch ordentlich dokumentiert werden konnte. Hauptbestandteil der Zeremonie war eine Rede von jedem der Gäste. Egal war natürlich auch, dass keiner von uns außer Jonas ein Wort Spanisch verstand – wir wurden trotzdem munter mit großen Worten überschüttet. Den 2. Teil bei dem es um Schnaps trinken und Kokablätter kauen ging, verstand aber auch der Rest von uns blendend. Krönung der Zeremonie war jedoch eine Art Haustaufe, bei der Jonas eine mit Schnaps gefüllte Schale über dem Eingang zerschlug (und nicht mal eine Fließe dabei zerstörte!). Aufgrund dieser ruhmreichen Tat wurde auch erstmal ein live Telefoninterview mit dem Lokalfernsehen einberufen, bei der uns Jonas gebührend vertrat und Señor Alcalde nochmal klarstellte welch ein wichtiger Schritt für Huayllay, die Region, Peru und die ganze Welt gerade getan wurde. Wow.
Nach diesem sehr abgefahrenen Abend waren wir echt froh mal wieder dem Bouldern zu frönen, was ja der eigentliche Grund unserer Reise war. Schritt für Schritt wurde unser neues Gebiet richtig auseinander genommen. Nach dem anfänglich wahllosen Erstbegehen von meist moderaten Bouldern, hatte langsam jeder seine Projekte gefunden und so wurden die gekletterten Boulder immer schwerer. Alex konnte mit „Manos Peruanos“ den ersten 8a Boulder des Gebietes (und wahrscheinlich von ganz Peru) erstbegehen und Jonas nach dessen Wiederholung mit „Double Digit“ (auch 8a) nachlegen. Mir gelang mit Mr X-tended eine 7c + und auch unsere 2 Mädels Vera und Milena konnten mit der Wiederholung von Mr Y (7b) ihre Leistung zeigen.
Natürlich war die Eröffnungszeremonie der Bungalows nicht das Ende der Feierlichkeiten. Denn 2 Tage später fand die jährliche Rural Tour in Canchacucho statt. Wobei es sich um ein dreitägiges Festival handelt, bei dem plötzlich insgesamt 20 000 Menschen zu Gast in dem 150 Seelen Örtchen sind. Und wir waren natürlich Ehrengäste. An diese Rolle muss man sich erstmal gewöhnen, normalerweise ist man als armer versiffter Kletterer auf der Welt ja eher unbeliebt. Jedoch nicht hier, unser kletternder Haufen wurde auf die Bühne gebeten und wir durften 2 Stunden den (spanischen) Reden lauschen, bis Jonas seine eigene vortragen musste, in der er natürlich kräftig die Gastfreundschaft der Peruaner lobte und sich für die Ehre bedankte. Anschließend gab es noch die obligatorischen Fotoshootings und ein paar Runden Schnaps an verschiedenen Stellen.
Ein weiterer Punkt der uns auferlegten Tagesordnung war der ‚Kletterwettkampf‘ welcher an den Felsen direkt hinter der Bühne ausgetragen wurde. Geklettert wurde ein fürchterlich scharfer und brüchiger 5er im Toprope und zwar auf Zeit. Außer uns waren noch 5 Peruaner anwesend, welche extra aus Lima angereist waren. Natürlich wurde das muntere Treiben von zahlreichen Politikern angefeuert, von welchen sich vor allem Señor Alcalde im lautstarken Anfeuern hervortat (desweiteren war er auch Spitze in der Disziplin die herumgehende Schnapsflasche zu leeren). Als wir 2 Stunden später die Ergebnisse mitgeteilt bekommen haben, waren wir sehr überrascht, denn ein Peruaner hatte vor Frieder und Milena gewonnen. Zwar ein recht willkürliches und nicht besonders sportliches Ergebnis, aber immerhin fair verteilt: 1.ein Peruaner, 2. ein Deutscher und 3. auch noch ein Mädel.
Ansonsten war das Fest einfach nur abgefahren. Wir mussten alle 2 Minuten anhalten, weil 20 Peruaner ein Foto mit uns machen wollten, außerdem waren einige der berühmtesten Bands Perus am Start (was nicht besonders für den peruanischen Musikgeschmack spricht). Falls jemand auf eine wirklich schrille Kreischstimme mit Harfenmusik steht, sollte er mal nach Sonja Moralles schauen. Dafür hat zumindest dem nichtweiblichen Teil von uns eine andere Band ganz gut gefallen, die zwar musikalisch auch nicht überragend war, aber immerhin 4 Stripperinnen zum Arschwackeln auf die Bühne gestellt hatte.
Das mit den anderen Kulturen ist ja schön und gut, aber nach 2 Tage Daueraction, waren wir mehr als reizübersättigt und es musste wieder zurück in die (ruhigen) Blockfelder gehen. Unser Gebiet wuchs und wuchs. Leider konnte Frieder, der am Anfang wirklich fett gerockt hat am Ende nicht mehr ins Geschehen eingreifen, da ihn eine böse Krankheit ans Bett fesselte. L Peru kann wirklich garstig sein. Für Jonas lief es dagegen umso besser und nach gefühlt unendlich vielen Tagen konnte er endlich sein Projekt „Life in marvelous times“ befreien. Mit diesem extrem technischen und hooklastigen Boulder wurde die Schwierigkeit erneut gepusht und wir hatten die erste 8A+ in unserem Gebiet. Alles in allem haben wir in unserem ersten Gebiet namens „Dogtown“ um die 50 Boulder geputzt und erstbegangen und hoffen so den Grundstein für ein Gebiet mit viel Potential gelegt zu haben.
Ja, wir haben auch Lamas gesehen und zwar viele.
Für die eine Hälfte unsrer Gruppe, war nach 4 Wochen der Trip leider zu Ende, es hieß zurück nach Hause um fleißig zu studieren und lernen. Also über eine schöne Dirtroad nach Lima und von dort über die USA (mmh, lecker westliches Burgeressen) ins Land des guten Brotes.
Für Alex, Milena und mich war jedoch noch lange nicht Schluss. 2 Wochen ohne Auto und Spanischkenntnisse versprechen eine Menge Abenteuer. Außerdem hatten wir am letzten Tag der anderen noch ein 2tes (noch viel besseres) Megabouldergebiet gefunden und unsere Motivation war somit auf Maximum.
Doch das alles gibt’s bald in: ABGEFAHREN part 2.
Weitere Fotos könnt ihr auf der Felskaderseite anschauen. Es lohnt sich!
Text: Tom Thudium,kletterszene.com Fotos: Landeskader-BW