Eine ganz neue Welt – Kletterin und Yoga Lehrerin Mic Brenzinger im Interview

Missmicyoga nennt sie sich auf Insta. Eigentlich ist Mic Brenzinger eine bekannte Kletterin – mit 19 Jahren hat sie damit angefangen, sie war vom ersten Tag an angefixt, erzählt die 39-Jährige im Interview mit Kletterszene.com. „Ich war schockverliebt.“ Die Fränkin zockte in den Jahren danach unter anderem im Frankenjura ganz schön ab, so stehen Routen bis 8b und Boulder bis 8A+  auf ihrer Ticklist. Inzwischen aber haben sich die Prioritäten im Leben von Mic verschoben: Yoga ist – momentan – wichtiger in ihrem Leben. „Das hat mein Leben komplett verändert“, sagt Mic. Nicht nur in ihrem Alltag, sie gibt auch Yoga-Klassen. 

Mic, gibt es Asanas – also Posen oder Übungen -, die gerade Kletterinnen und Kletterern extrem viel bringen?

Die meisten Kletterinnen und Kletterer haben wohl Probleme mit der Schulter. Ich selber war zum Glück zwar noch nie schwerverletzt, aber auch ich habe eine schwierige rechte Schulter, die Rotatorenmanschette wird beim Klettern einfach arg strapaziert. Alle stützenden Positionen, aber auch Spezielles wie der Delfin, sind da sehr hilfreich, der gehört auch zu meiner täglichen Praxis. „A Dolphin a day, keep shoulder pain away“, heißt es so schön. Wenn man dagegen keine gute Hüftmobilität hat und da sehr limitiert ist, hilft die seitliche Hocke oder der tiefe Ausfallschritt.

Beginnt bei dir jeder Tag mit Yoga?

Mittlerweile ja, fast immer… also wenn es meine Familie zulässt. Meditation, Atemübungen und auch Bewegung auf der Matte sind zu einer Routine geworden und sind jeden Tag dabei. 

Bist du eigentlich dadurch gelassener als früher?

Ja, viel gelassener. Definitiv. Yoga hilft auch im Alltag.

Du hast erzählt, dass du dich schon früher, als 17-Jährige, mit Yoga beschäftigt hast, dann kam die intensive Kletterphase. Wie hast du es wiederentdeckt?

Das passierte in mehreren Schritten. Erst war es für mich nur Ausgleich zum Klettern, später habe ich auch Ashtanga Unterricht genommen, um meinen Kopf freizubekommen. 2014, nach der Geburt meiner Tochter, habe ich wieder mehr mit Yoga angefangen – das diente zu dem Zeitpunkt als so eine Art Rückbildungsgymnastik. So richtig intensiv damit befasst habe ich mich dann mit Beginn der Corona-Pandemie… das hatte aber weniger mit der Pandemie zu tun. Ende 2019 habe ich nämlich beschlossen, dass ich den Handstand lernen will. Ich fasse zwar keine klassischen Neujahrsvorsätze, aber ich möchte jedes Jahr etwas Neues lernen… und das war damals der Handstand. Das hat mich dann wieder auf eine ganz andere Yoga-Schiene gebracht. Ich habe mich intensiv im Internet umgeschaut und ziemlich bald eine ganz neue Welt entdeckt, ein anderes Leben kennengelernt, das mich fasziniert hat und mir neue Blickwinkel gegeben hat.

Hast du das dir dann autodidaktisch beigebracht?

Na ja, Grundkenntnisse hatte ich ja schon. Aber den Handstand und viele Bewegungsmuster, die ich heute liebe, schon. Damals hatten ja auch alle Studios zu. Ich beiße mich aber grundsätzlich gerne in etwas rein. Die Yoga-Welt war wie ein Kaninchenbau für mich, ich habe tausende Wege links und rechts entdeckt… das war damals in den Corona-Monaten, als wir alle auf uns selbst zurückgeworfen waren, für mich ein Glücksfall. Ich mag es aber grundsätzlich, etwas Neues zu lernen, ich möchte immer alles genauer wissen.

Kamen dann bald die ersten Fortschritte?

Also ich habe mich immer viel bewegt, habe immer viel Sport gemacht und Vieles ausprobiert. Reiten, Fußball, ich habe getanzt. Bei Sachen, die mich fasziniert haben, bin ich hängengeblieben. Für mich ist es wichtig, ein Ziel zu haben und den Weg dorthin zu finden. Da bin ich dann auch sehr konsequent. Beim Yoga hatte ich schon bald Aha-Erlebnisse, um den Handstand dann aber freistehend und in einer passablen Form halten zu können, habe ich etwa sechs Monate gebraucht. Um den stabil halten zu können, braucht es viele Komponenten.

Apropos Ziel: hast du damals dank Yoga deine Kletterprojekte schneller abgehakt?

Ich bin mir nicht sicher… aber wahrscheinlich schon allein wegen der Flexibilität. Aber nicht so sehr, wie es mir heute hilft. Hätte ich damals schon gewusst, was ich heute weiß, wäre das toll gewesen (lacht)

Du hast dann ja auch noch eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin gemacht: Was war dafür die Motivation?

Es waren sogar zwei Ausbildungen. Zum einen war es der Wunsch, mehr zu lernen, zu erfahren. Und dann spielen meine Mama und eine Freundin dabei eine große Rolle. Die haben mich während der Lockdowns nämlich gebeten, ihnen Übungen zu zeigen. Mir hat es mega gefallen, das zu tun, anderen Menschen etwas zeigen zu können. Ihnen den Weg zu zeigen, den ich selber gegangen bin. Ein wichtiger Grund für die zweite Ausbildung war dann der Wunsch, eine Verbindung zu Menschen aufzubauen, gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter das zu tun, das ich liebe. Corona hat uns einsam gemacht. Ich hatte das Glück, bei Dylan Werner, er ist ein internationaler Yogalehrer aus Südkalifornien, ausgebildet zu werden. Dylan hat einen einzigartigen Stil des Vinyasa Yoga, den ich sehr mag.

Mic, es gibt ganz viele verschiedene Stile: Wieso hast du dich gerade für Vinyasa entschieden? Wodurch wird es charakterisiert und ist es für kletternde Menschen besonders hilfreich?

Vinyasa Yoga ist ein fließender und an der Atmung ausgerichteter Yogastil, bei dem die Bewegungen mit dem Atem synchronisiert werden. Es ist ein sehr spielerischer, kreativer und oft auch kraftbetonter Hatha-Stil. Das passt – glaube ich – zu mir als Mensch ganz gut. Mir gefallen einfach die intuitiven Bewegungen und ich find es toll, meinen Körper in herausfordernden Positionen kontrollieren zu können… eigentlich genau wie beim Klettern. Vinyasa ist für kreative und neugierige Menschen gut geeignet, ich liebe aber auch Restoratives Yoga oder Bhakti Yoga. Es ist wichtig zu wissen, dass es so viele Yogastile gibt, wie es auch Yogalehrer gibt. Also wenn du eine Yogaklasse besuchst und es vielleicht nicht so toll fandest, bedeutet das nicht, dass du Yoga nicht magst. Es heißt wahrscheinlich, dass du noch nicht den richtigen Style gefunden hast. Ein Lehrer, der dich inspiriert, ist wichtig! 

Infos von Mic

Warum Yoga?                      

Yoga ist wie ein Werkzeugkasten und hilft dir je nach persönlichem Ziel                           

Vinyasa Yoga

Fließender Yogastil, der die Atmung mit den Bewegungen verbindet

Was hilft mir als Kletterer?           

Schulteröffnung und Hüftmobilität, Atemübungen und Meditation 

Wo kann ich anfangen?

Videos im Internet oder (Anfänger-) Kurs im örtlichen Studio

Mein Tipp für dich

Definiere dir ein Ziel, eine Motivation – bleib neugierig und offen für Unbekanntes

Viele Kletterer haben vor einigen Jahren den neuen Trend ja eher belächelt, inzwischen hat wohl fast jeder eine Yoga-Matte, oder?

Ja, das ist in der Kletterszene sicher ein Trend. Ich war vor Kurzem in Margalef, das war sehr witzig zu sehen, wie am Morgen aus den Bussen erst mal die Matte rausgeworfen und gedehnt und Yoga gemacht wurde. Das gehört inzwischen zum Kletteralltag dazu, zumindest bei den ambitionierten Kletterinnen und Kletterer. Auch immer mehr Männer springen da auf. Es gibt aber auch viele Berührungspunkte zwischen Klettern und Yoga. Und man kann es ganz unterschiedlich gestalten: Yoga ist ein Wort, das jeder anders definieren kann. 

Was bringt Yoga vor allem – Flexibilität und Körperspannung?

Ja, klar das ist das Offensichtlichste. Yoga bietet aber noch viel mehr, und zwar einen ganzen Werkzeugkasten an Möglichkeiten. Die aktive Mobilität verbessern, Flexibilität, Körperspannung, Kraft – kletterspezifische Kraft ist wichtig, aber nicht unbedingt ausschlaggebend, sondern zu 80 Prozent die Mobilität, also wie du dich bewegen kannst. Daneben sind aber auch Meditation und Atemübungen unglaublich wichtig, das kann das Klettern riesig beeinflussen. Es ist von Vorteil, Kontrolle über seine Gedanken zu haben. Wir kennen alle diese Selbstzweifel…  einen kühlen Kopf zu bewahren, ist ein sehr wichtiges Tool. Geist und die Seele spielen eine ganz große Rolle, und auch die Atemregulierung ist beim Klettern unglaublich wichtig. Allein, um einfach befreiter klettern zu können. Wenn man über dem letzten Haken steht und sich nicht sicher ist, ob man die nächste kleine Leiste halten kann: In so einer Situation beispielsweise kann dir das richtige Atmen, das, was du beim Yoga gelernt hast, ungemein helfen. Klettern ist ein Sport, bei dem du ganz präsent sein musst, im Hier und Jetzt bist und beispielsweise den Job, die Steuererklärung oder den TÜV-Termin komplett vergisst. Du bist da ganz in deiner eigenen kleinen Bubble. Und das ist beim Yoga genauso. 

Inzwischen posten viele Profikletterer Yoga-Videos: Haben die eine Vorbildfunktion?

Ich habe mal vor einigen Jahren auf einem Campingplatz Adam Ondra getroffen. Ich habe damals Kaffee getrunken, er hat auf einer Matte Atemübungen gemacht (lacht). Aber ja, es gibt viele Profikletterinnen und -kletterer, die Yoga-Videos von sich posten. Wie Alex Megos, der hat ja sogar vor Kurzem was mit dem Handstand gezeigt. Das gehört für die dazu. Wenn jemand ambitioniert klettern will und sich da reinkniet, wird sie oder er sich früher oder später auch mit Yoga oder zumindest einigen Elementen davon beschäftigen – so wie bei den meisten Profisportlern. Wenn man es bei einem Kletter-Profi siehst, versucht man es aber vielleicht schon früher. Yoga hat inzwischen aber auch einen anderen Stellenwert, früher hatte es ein Stigma, da hat man es mit Räucherstäbchen und Om-Singen assoziiert. Das hat sich inzwischen komplett verändert. Ich unterrichte selbst in der Nürnberger Boulderhalle E4, ich gebe dort Yoga-Klassen. Räucherstäbchen findest du da nicht. Aber es ist immer cool und lustig. 

Sind die Klassen gut besucht?

Ja, das ist ein Wahnsinn. Ich treffe dort tolle Menschen. Ich habe zwei Klassen: „Wings to fly“, eine Vinyasa-Handstand-Edition, und in der anderen Klasse geht es um ein myofaszielles Flexibiltätstraining. Das ist eine eher etwas ruhigere Klasse und nennt sich Deep-Slow-Stretches. Bringt auch viel, die meisten Kletterinnen und Kletterer sind im Schulterbereich ja total verkürzt, und eine gute Mobilität bringt dich richtig weiter. Es sind übrigens auch viele Jungs und Männer dabei. In den Klassen Tipps geben zu können und alle mitzunehmen, macht mir unglaublich viel Spaß.

Du hast dir Yoga zu Beginn autodidaktisch beigebracht. Es gibt ja einen Haufen Videos, auch speziell für Kletterinnen und Kletterer. Taugen die für den Einstieg – oder macht man da eher viel falsch und vielleicht sogar was kaputt?

Das kommt darauf an, was du möchtest. Als Erlebnis oder zum Ausprobieren ist so ein Video vollkommen okay. Wenn du das aber ernst nimmst, ist es gut, wenn jemand draufschaut, dass du es richtig machst und dich nicht verletzt. Wenn mir beispielsweise ein Profi bei meinem Handstand gesagt hätte, was ich konkret hätte machen sollen, dann hätte ich den Prozess verkürzen können. Beim Thema Flexibilität und Mobilität dagegen kannst du irgendwas machen – und es wird dir mehr oder weniger helfen. Aber dich vielleicht nicht oder erst später ans Ziel bringen.

Mic, letzte Frage: wenn du dich entscheiden müsstest: Klettern oder Yoga?

Puh, das ist gemein. Oh mein Gott! Ich glaube, ich würde Yoga wählen. Aus dem Grund, weil ich das immer machen kann, wenn ich Boden unter den Füßen habe. Beim Klettern ist das nicht so. 

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