Ein halbes Jahr Klettern [Australien]

Am 1. Oktober 2008 ist es soweit: Moritz und ich sitzen voller Vorfreude auf ein halbes Jahr Klettern im Flugzeug nach Sydney. Die Idee dazu hatten wir schon am Ende unseres Sportstudiums und kaum ist ein Jahr vergangen, haben wir es geschafft. Die Rucksäcke sind vollgepackt mit Friends und Keilen, weil wir gehört haben, dass in Australien relativ wenige Bohrhaken in den Wänden stecken. Wir haben uns viel vorgenommen für dieses halbe Jahr: Alle großen Klettergebiet der Ostküste und Tasmaniens sollen beklettert werden und das sind eine ganze Menge. Man glaubt gar nicht, wie viele Gebiete es auf dem flachsten Kontinent der Welt gibt. Aber noch sind wir ja nicht da und so versuchen wir unseren 24 stündigen Flug mit Rotwein zu verkürzen, wobei uns das Flugpersonal von Korean Air tatkräftig unterstützt.

p1000524In Sydney gelandet, ist uns von dem roten Gesöff, das sie uns als Rotwein angedreht haben, und der guten Boardküche kotzübel. Doch zum Glück werden wir von meiner Freundin abgeholt und können bei ihren „housemates“ für ein paar Tage wohnen. Doch Zeit ist kostbar, also muss so schnell wie möglich ein fahrbarer Untersatz her. Nachdem wir uns einige recht gewöhnliche Travelervans angeschaut haben, finden wir unser Traumauto: einen 1984er Mitsubishi L300 4WD Bus: facegelifted, gasbetriebenen, schön verrostet und von gelber Farbe. Gekauft, vollgepackt, losgefetzt.

Unser erstes Ziel sind die Blue Mountains, westlich von Sydney. Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir auch schon in Blackheath an, dem unumstrittenen Kletterzentrum des Landes. Viele Kletterer aus ganz Australien und sogar Neuseeland haben sich hier niedergelassen und bilden eine extrem lebendige Szene. Ihr Spielplatz sind die kilometerlangen bis zu 200 Meter hohen Felsbänder, welche sich an den Abbrüchen der „Blauen Berge“ entlang ziehen. Die Lage auf 1000 m Seehöhe bringt es mit sich, dass es in den Nächten relativ kalt wird, tagsüber findet man aber beste Kletterbedingungen vor.

Wir suchen uns den erstbesten Sektor aus dem in Sydney erworbenen Führer heraus, packen zusammen und los geht’s. So, wie war das noch mal mit dem giftigen Getier? Australien gilt doch als giftigster Kontinent der Welt. Giftige Schlangen, Spinnen, Fische und Krokodile sind hier anzutreffen. Schön mitten im Busch zu sein, wo es vor diesen Viechern wahrscheinlich nur so wimmelt. Jeder mit einem Stock bewaffnet, setzen wir unseren Zustieg vorsichtig fort, bis wir ohne giftigen Angriff von Killerschlangen am Fels ankommen.

 

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Unser erstes Klettererlebnis ist sehr deprimierend, denn in der Sonne ist es brutal heiß und mit dem plattigen, extrem rauen Fels kommen wir auch noch nicht so gut zurecht. So zieht es uns in der ersten Woche brutal die Haut von den Fingern, dennoch gewöhnen wir uns aber recht schnell an die Kletterei und bald fallen die ersten „Achter“. Die Blue Mountains sind sehr vielfältig. Obwohl man sich in schönen, selbst abzusichernden Sandkastenrissen in die Hosen machen kann, findet man auch gut tas-249abgesicherte Sportkletterrouten in allen Schwierigkeitsgraden und 200 Meter lange Multi-Pitch Routen in bestem Gestein. Die folgenden Wochen gehen im Nu vorbei und wenn wir nicht gerade klettern, gehen wir slacken, entspannen oder erforschen die Australische Kultur.
Die Menschen hier sind sehr freundlich und hilfsbereit, so wird auch mal an der Kasse im Supermarkt zehn Minuten geplaudert und keinen stört das hinter dir in der Schlange. Abends sitzen wir am Feuer, trinken ab und zu ein Bier und philosophieren über Gott und die Welt. Nach eineinhalb Monaten in den Blue Mountains und einigen sehr schönen Klettererfahrungen entscheiden wir uns zur Weiterfahrt zum Mt. Arapiles.

Die Reise dauert lang. Wir müssen ca. 1300 Kilometer mit unserem „Bäda“ (so haben wir unseren Van getauft) mit einer Spitzengeschwindigkeit von 70 Kmh zurücklegen. Eigentlich sollte man in Australien wegen der wilden Tieren nicht in der Nacht fahren, doch wir wollen unbedingt wieder Fels zwischen den Fingern spüren. So cruisen wir gemütlich durch die Nacht und erlegen prompt ein Känguru, was unseren „Bäda“ nicht weiter stört. Der wackelt nur einmal kurz und rollt dann völlig unbeeindruckt die immer nur schnurgerade Straße weiter. Das Erlegen von Kängurus mit dem Auto ist hier zu Lande ganz normal, wie wir von Australiern später erfahren. Deshalb haben die meisten Autos einen „Bullbarn“ vorne dran. Nachdem unser Auto p1010266allerdings mitten zwischen zwei Dörfern, die ca. 100 Kilometer auseinander liegen, einfach stehen bleibt, schauen wir ziemlich verdutzt drein. Nach einer halben Stunde Reparieren haben wir das Problem (einen lockeren Kontakt an der Batterie) behoben und düsen weiter durch die Nacht.
Nach zwei Tagen im Auto erreichen wir ziemlich ausgelaugt unser Ziel. Der Mt. Arapiles ragt 200 Meter aus der ihn umgebenden, brettlebenen Landschaft heraus. Schon von Weitem sieht man das zwei Kilometer lange Felsenband, an dem es allerfeinste Sandsteinrisse, Verschneidungen und Wandklettereien gibt. Ziemlich alle Routen müssen selbst abgesichert werden. Vom Campground „The Pines“, der direkt unter dem Monoliten liegt, lassen sich alle Sektoren zu Fuß schnell erreichen und wer tagsüber noch nicht genug bekommen hat, kann abends an den unzähligen Boulderblöcken abhängen. Klingt fantastisch, ist es für uns aber leider nicht. Wir haben die falsche Jahreszeit gewählt und so gibt es neben 35 Grad im Schatten tausende von Sandfliegen, die während des Kletterns oder auch sonst bei lebensnotwendigen Unternehmungen in sämtliche Körperöffnungen fliegen. Nach fünf Tagen Fliegenterror sind wir psychisch so am Ende, dass wir uns für die Weiterfahrt nach Tasmanien entscheiden. In diesen fünf Tagen klettern wir allerdings fünf ausgesprochen schöne Tradrouten, die den Wunsch nach einem späteren Wiedersehen mit diesem Gebiet unterstützen.

Nach einem Abstecher in die Grampians, die etwa 100 Kilometer entfernt liegen, wo es aber genau so von Fliegen wimmelt, führt unser Weg weiter nach Melbourne auf die Fähre „ Spirit of Tasmania“.

Tasmanien ist eine gebirgige Insel im Süden von Australien. Sie ist bekannt für ihre abgelegenen Risse und besitzt die höchsten Kliffs Australiens. Im Gegensatz zu den hohen Risswänden findet man auch kurze Sport- und Tradrouten, die man in kurzer Zeit von der Straße aus erreicht. Die meisten Gebiete kann man in drei Stunden von der Hauptstadt Hobart aus erreichen. Beim Gestein handelt es sich hauptsächlich um Sand- und Doloritgestein.
Wir starten in Hillwood, dem größten Sportklettergebiet der Insel, das 30 Kilometer von Launceston, der größten Stadt im Norden Tasmaniens, entfernt liegt. Die 30 Meter hohen Felsen aus Vulkangestein sehen aus wie Dinosaurierrücken, auf denen man eine sehr eigene Art von Klettern an abschüssigen Seitleisten bewerkstelligen muss. Wir verbringen hier eine Woche und fahren dann weiter in den Süden nach Hobart.

 

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p1040645Als wir am Mt. Wellington eine Multipitch Tradroute hinauftun, staunen wir nicht schlecht, als es plötzlich zu schneien beginnt. Doch in Tasmanien ist das Klima ozeanisch. Die Winter fallen dadurch relativ mild aus. Anderseits ist die Insel eine der wenigen Landmassen im Bereich der sogenannten „Donnernden Vierziger“. Daher ist das Wetter meist windig bis stürmisch, regnerisch und unbeständig. Alle Jahreszeiten lassen sich hier an einem Tag durchleben.

Naja wir sind eh schon fast oben. Also „traden“ wir die letzte Länge noch schnell hoch und fahren dann an einer eingerichteten Abseilpiste wieder ab. Am nächsten Tag versuchen wir uns wieder beim Sportklettern, wobei uns die 50- Meter-Touren als etwas lang, jedoch wunderschön vorkommen. Nach ein paar Tagen am Mt. Wellington führt uns unsere Reise nach „Tasman Peninsula“. Hier steht der berühmte „Totem Pole“, der eigentliche Grund für mich, auf dieser Insel zu sein. Der 70 Meter hohe Stick steht mitten zwischen dem Festland und einer kleinen Abspaltung davon im Meer. Doch als wir ihn nach zweistündigem Zustieg endlich erreichen, werden wir enttäuscht: Durch den hohen Swell³ an diesem Tag ist die erste Seillänge klitschnass, so dass wir keine Chance haben, unser Objekt der Begierde zu besteigen. Nachdem wir am nächsten Tag den Moai, den kleinen Bruder des Totem Poles, erklommen haben, schlägt das Wetter um und zwingt uns zur Weiterfahrt an den Mt. Brown.
Im zweitgrößten Sportklettergebiet der Insel, das direkt an den Felsabbrüchen des Meeres liegt, treffen wir Nick Hancock. Nick ist ein durchgeknallter Engländer, der vor zehn Jahren von England nach Tasmanien gezogen ist und seitdem einer der Hauptpioniere der Insel ist, was die Kletterei anbelangt. Nach ein paar netten Plaudereien mit ihm und einigen 40 Meter-Touren von ihm, trotten wir gut gelaunt über die ausgedörrte Hügellandschaft zurück zu unserem Auto. Plötzlich windet sich blitzschnell etwas Zischendes auf dem weg und verschwindet im Gebüsch. Ich springe erschrocken einen Riesensatz nach hinten und realisiere im nächsten Moment erst, was das geradep1000366 war, eine sogenannte Brown Snake, wie wir später von Nick erfahren. Sie beißen bei Störung sehr schnell zu und zählen zu den giftigsten Schlangen der Welt. Schnell wieder mit Stöcken bewaffnet tasten wir uns weiter und stoßen auf vier weitere Schlangen. Hier muss irgendwo ein Nest sein. Nichts desto trotz kommen wir am nächsten Tag wieder hierher zum Klettern, jedoch immer auf der Hut vor den bissigen Freunden.

In den nächsten zwei Wochen fahren wir mal hier hin mal dort hin, aber irgendwie fehlt uns die Motivation zum Klettern. Also beschließen wir, dass jeder von uns mal für sich alleine etwas unternimmt. So trennen wir uns das erste Mal seit drei Monaten. Ich begehe mit meiner Freundin den Overlandtrack, einen Track, der fünf Tage durch das Inland Tasmaniens führt und Moritz geht zum Surfen an die Westküste. Danach treffen wir uns wieder voller Tatendrang und fahren noch einmal zum Totem Pole.

Als wir dort ankommen, ist das Wetter und der Seegang nahezu perfekt. Wir seilen uns vom Festland 70 Meter ab, schwingen hinüber, was sich als nicht gerade einfach gestaltet, weil sich Carrots¹ aus dem Schwingen nicht gerade leicht einhängen lassen. Nach ca acht Versuchen hat es Moritz aber geschafft und wir sitzen zwei Meter über dem Meer im Stand. Die ersten Meter sind etwas schmierig und die Absicherungsmöglichkeiten lassen auch zu wünschen übrig, doch da müssen wir jetzt hoch, denn auf 70 Meter prusiken haben wir doch keine Lust. Nach fünf Metern kann ich einen schlechten Keil platzieren, doch der erste Carrot¹ kommt erst nach weiteren fünf Metern. Ich stopfe noch einen halbscharigen Stopper drüber und weiter gehts. Jetzt bloß nicht fallen, denn sonst nehm ich ein kühles Bad in der Tasmanischen See, in der es bestimmt von Haien nur so wimmelt. Beißen, durchziehen und p1010627da ist auch schon der erste Carrot Bolt. Der Rest ist auch noch anspruchsvoll, aber gut abzusichern, außerdem kommt ab und zu ein Haken. Die zweite Seillänge ist eine gut abgesicherte, ausgesetzte 8 an der 40 Meter Kante des Poles. Nur am Schluss kommt noch einmal eine wacklige Stelle ein paar Meter über dem letzen Friend. Oben angekommen sind wir überglücklich unseren Traum verwirklicht zu haben und genießen noch paar Minuten auf dem Gipfelplateau bevor wir uns per Seilbrücke wieder ans Festland schwingen. Am Abend treffen wir noch einen Freund aus Frankreich, den wir in den Blue Mountains kennengelernt haben. Er will am nächsten Tag auch den Pole klettern und wir geben ihm und seinem Partner aus Afrika Tipps, während wir unseren Erfolg am Lagerfeuer feiern. Ihr Versuch wird allerdings nass beginnen, denn der Franzose stürzt vor dem ersten Haken und fällt ins Wasser, verletzt sich aber nicht und sie klettern den Pole auch. Mit dem Totem Pole endet unser Aufenthalt in Tasmanien und wir machen uns auf zum Festland Australiens, doch vorerst nicht zum Klettern. Ich will die Ostküste erkunden und das machen wofür Australien bekannt ist: surfen und traveln.

 

 

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Nach diesem Monat „Urlaub“ treffen Moritz und ich uns in den Blue Mountains wieder. Auf dem Weg die Ostküste entlang hat es mit unserem Auto einige Probleme gegeben. Wir hatten einen Getriebeschaden, die Kupplung wurde repariert und die letzten Wochen sprang unser Karrn leider nur noch selten normal an. So mussten wir viel investieren um ihn wieder auf Vordermann zu bekommen und entscheiden uns deshalb, ihn zu verkaufen. Es vergehen noch zwei Wochen, in denen wir Käufer suchen und wegen schlechten Wetters nur sehr selten zum kraxln kommen. Nachdem wir diese Episode hinter uns haben, beziehen wir unser neues Lager in einem alten schimmligen Haus, in dem ein alter australischer Kletterer (Steve) uns ein Zimmer vermietet. Wir wohnen nun in Blackheath und die Felsen kann man zu Fuß oder trampend in einer halben Stunde erreichen. Von nun an geht es wieder aufwärts. Projekte werden gesucht, ausgebouldert und durchstiegen, abends wird gekocht und mit Steve bei einigen Long Necks² übers Klettern und die Welt geplaudert oder einfach nur entspannt. Wir freunden uns mit zwei Kletterern aus Hong Kong an, die auch bei uns im Haus wohnen und bis heute dort sind. Wenn es zu heiß ist, fahren wir zu einer Gumpe, bei der man Klippenspringen und auch Deep Watern kann oder gehen Slacklinen.
Wir genießen unsere letzten Wochen in Australien. Nach einem etwas unglücklichen Versuch uns in eine überhängende 200 Meter-Wand abzuseilen, aus der ich mich nur mit Müh und Not „retten“ kann, gelingt uns zum p1010338Abschluss noch die schwierigste Mehrseillängentour in den „blauen Tafelbergen“.

Alles in allem war unsere Zeit hier eine sehr erfolgreiche: Wir haben ein außergewöhnliches Land mit netten Leuten und einer besonderen Mentalität kennen gelernt und bringen viele, sehr schöne Erinnerungen und Erfahrungen mit nach Hause, als wir am 5. April wieder in München landen. Australien war seine Reise wert und wir haben natürlich noch sehr viel mehr erlebt, ertragen, gesehen und beklettert als in diesem Bericht beschrieben wurde. Ich werde bestimmt noch einmal nach Australien aufbrechen um am Mt. Arapiles, den Grampians und dem noch nicht genannten Granitgebiet Mt. Buffalo zu klettern. Und es gibt ja auch noch die Westküste!
Das heißt ein halbes Jahr ist viel zu kurz um ganz Australien zu erforschen, doch das was ich bisher gesehen und geklettert habe, war das Beste in meiner bisherigen Kletterlaufbahn.

¹ australischer Bolt, an den man die Lasche erst selbst dranhängen muss bevor man klinken kann
² 0.75 ml Bier
³ Stärke der Brandung/Wellen