„Ich hatte Angst zu versagen“ – Didier Berthods 20-jährige Odyssee mit Cobra Crack

In der Welt des Kletterns gibt es Geschichten, die uns inspirieren und zeigen, was es bedeutet, einem Traum treu zu bleiben. Didier Berthod hat eine solche Geschichte geschrieben: Er ist nicht nur ein herausragender Kletterer, sondern auch ein Symbol für Ausdauer und Hingabe.

Nach mehr als 20 Jahren Training, persönlichem Entbehrung und unermüdlichem Streben hat der Schweizer sich mit Cobra Crack (5.14/8c) in Squamish noch einmal einer seiner größten Herausforderungen gestellt. Die 45 Meter lange, leicht überhängende Risstour in Squamish wurde 1981 von Peter Croft und Tami Knight im technischen Stil erstbegangen. 2005 nahm Didier Berthod sich der Linie an, mit dem Ziel, sie als Erster ohne technische Hilfsmittel zu befreien.

Kurz vor dem Ziel zwang ihn eine Knieverletzung 2006, das Klettern aufzugeben. Der damals 25-Jährige entschied sich daraufhin, Franziskanermönch zu werden und im Kloster zu leben. Kurz darf gelang dem Kanadier Sonnie Trotter die von Didier angestrebte erst freie Begehung von Cobra Crack (5.14/8c).

Nach 13 Jahren Kletterpause kehrte Didier Berthod nun nach Squamish zurück, um sein Projekt erneut anzugehen – hier erzählt er seine Geschichte.

„Fast hätte ich den Fingerriss vermasselt“: Didier Berthod gelingt Durchstieg

Ich stand ein wenig zu tief und plötzlich war es da: dieses Gefühl, dass man kurz vor einem Sturz empfindet. Der Fingerriss erfordert ein hohes Maß an Präzision, und die hatte mir offensichtlich gefehlt. Aber ich wollte nicht aufgeben.

Irgendwie konnte ich die Willenskraft aufzubringen, um dieses ungute Gefühl zu überwinden. Ich schob meinen Finger erneut in den Riss und konnte mich hochziehen. Ich platzierte meine Sicherung, nahm den nächsten Fingerklemmer und schaltete mein Gehirn aus.

Ich wusste, dass der Durchstieg eigentlich drin war – aber auch, dass diese Mischung aus Aufregung, Ungeduld und unzähligen Gedanken meinen Erfolg in weniger als einer Sekunde zerstören könnte. Ich war im Tunnel und kletterte schließlich die letzten technisch anspruchsvollen Züge vollkommen konzentriert.

Und dann stand ich dort, oben auf dem Ausstieg der Cobra Crack. Ein wirklich magischer und gleichzeitig wahnsinnig unwahrscheinlicher Moment. Denn in Wahrheit war mein Verhältnis zu dieser Route die letzten 19 Jahre lang von Scheitern und Angst geprägt.

„In Wahrheit hatte ich Angst vor der Cobra“

Meine wichtigste Erinnerung an die erste Saison mit der Cobra war Regen. Ich war zwei Monate in Squamish und mir schien das Wort Squamish ein Synonym für nasse Risse zu sein. Meine Versuche waren vielversprechend, aber ich reiste schließlich mit leeren Händen ab. Ein Jahr später kehrte ich zurück, drei Tage nach meiner Ankunft flammte eine alte Knieverletzung wieder auf. Auf Krücken ging es zurück in die Schweiz, um mich dort einer Operation zu unterziehen. Im gleichen Zeitraum führten weitere Ereignisse dazu, dass ich über 13 Jahre lang keinen Fels mehr anfassen sollte. In meinen Gedanken rückte die Cobra in weite Entfernung.

Wie das Leben so spielt, fing ich 2019 wieder mit dem Klettern an und zog 2022 der Liebe wegen nach Squamish um. Die Cobra war nun praktisch in meinem Hintergarten und 2023 beschloss ich, sie nochmal anzugehen. Ich hatte gerade einen neuen schwierigen Riss durchstiegen, Crack of Destiny, sodass ich mich in der Lage fühlte das Projekt zu schaffen, das ich damals nur „Du-weißt-schon-was“ nannte.

In Wahrheit hatte ich Angst vor der Cobra. Ich hatte Angst zu versagen, aber noch mehr vor dem Urteil der anderen, falls ich wieder scheitern würde.

Der Fluch der Cobra: Berthod bricht sich bei Sturz das Handgelenk

Die Route zu klettern erwies sich letztlich als relativ einfach – auch dank der neuen Heel-Hook-Beta und meines Trainings für die Crack of Destiny. Beim Durchstiegsversuch am dritten Tag stürzte ich extrem weit am letzten Griff und brach mir das Handgelenk in drei Teile. Meine Klettersaison endete abrupt und meine Beziehung zur Cobra bekam kein Happy End, sondern eine weitere dramatische Wendung. Es war kaum zu glauben. Das Schicksal war gegen mich, und der Gedanke an einen Fluch kreiste unaufhörlich in meinem Kopf herum.

Trotzdem ging das Leben weiter. Ich begann wieder zu trainieren und fand bis zum Ende des Winters zu meiner Form zurück. Der Gedanke an die Cobra ließ mich nie los, aber die Versuchung zu kneifen war groß. Ich wollte mir die Möglichkeit offen halten, meiner Leidenschaft ohne Erfolgsdruck nachzugehen: In Squamish gab es viele neue Rissprojekte, die ich im Vorjahr entdeckt hatte, und ich war viel motivierter, meine Finger in diesen neuen Linien zu strapazieren als in der Cobra.

„Es ging auch darum, aus der Vergangenheit zu lernen“

Waren all diese Misserfolge rund um die Cobra nicht ein Zeichen dafür, dass ich nach vorne schauen und loslassen sollte? Und dann war da natürlich noch die Angst vor dem Scheitern und der Demütigung, die jeder empfindet, der sich ein Ziel setzt, das er vielleicht nicht erreichen kann.

Meine Angst wurde dadurch verstärkt, dass ich nicht mehr zu den „Jungen“ gehörte – jener Gruppe von Menschen, die die Freiheit haben, ihre Zeit an das Unnütze zu verschwenden.

Trotzdem ist es mein Jugendtraum gewesen und geblieben, die Cobra zu meistern. Die Route bietet nicht nur eine der härtesten Rissklettereien der Welt, sondern auch eine der schönsten. Ich wusste auch, dass ich eine weitere Sicherung in der Headwall platzieren konnte, um mir nicht wieder das Handgelenk zu brechen.

Schließlich wuchs in mir auch ein gewisses Verantwortungsgefühl. Mir war gegeben, was nur wenigen gegeben ist: ein Talent zum Rissklettern und eine zweite Chance. War es nicht meine Verantwortung, zu Ende zu bringen was ich begonnen hatte und zu nutzen, was mir gegeben wurde?

Ich beschloss, es noch einmal zu wagen und mich meinen Ängsten zu stellen. Das begann damit, dass ich die „Du-weißt-schon“-Route bei ihrem eigentlichen Namen nannte: Cobra Crack. Ich erzählte meinen Freunden von meinem neuen alten Projekt und stellte alles andere hinten an – egal für wie lange.

Die Zeit war da, vielleicht nicht für den Erfolg, aber für Mut und Entschlossenheit. Es war an der Zeit, frei zu klettern – auch in meinem Kopf.

War das der Schlüssel zum Erfolg? Dass ich meine innere Einstellung hinterfragt und mich meinen Ängsten gestellt habe? Dass ich mich dafür entschieden habe, einfach aus Spaß zu klettern, mich anzustrengen und meine Leidenschaft zu leben? Wer weiß – gut möglich, dass es eine Mischung aus all dem war.

Hätte ich die Cobra nicht wieder in Angriff genommen, hätte ich wohl eine der wertvollsten Lektionen verpasst, die mir das Klettern je bieten konnte. 

Didier Berthod