„Das Leben ist zu kurz, um nur in der Komfortzone abzuhängen“ [Sturzangst]

EYC Augsburg Kletterszene

Melanie Michalski hat sie auch kennengelernt – die Sturzangst. Vor etwa 20 Jahren hat die 42-jährige Wahlfränkin mit dem Klettern begonnen. Damals war sie mit ihrem Bruder und dessen Kumpel viel in der Halle. Die Jungs wurden immer besser, Melanie begann mit Krafttraining. Die gewonnene Kraft half ihr aber nicht, über die Exe zu klettern. „Die Lösung war eine andere“, sagt die Mentaltrainerin im Gespräch mit Kletterszene.com. Noch heute gebe es zwar Höhen und Tiefen – aber sie hat gelernt, mit dieser Angst umzugehen. 

Melanie, das Gehirn ist der wichtigste Muskel beim Klettern, hat Wolfgang Güllich einmal gesagt. Sagst du das auch?

Auf jeden Fall. Die mentale Einstellung ist entscheidend, ob ich eine Tour hochkomme – oder nicht. 

Thema Angst bei Klettern: Ist das vor allem ein Frauenthema – oder haben Männer einfach gelernt, sie nicht zu zeigen?

Männer haben auch Angst, aber sie haben andere Strategien, damit umzugehen. Männer gehen eher in den Kampf, Frauen dagegen in den Rückzug oder in das „Totstellen“. Eine große Bedeutung spielt auch, was wir – zumindest Frauen in meinem Alter oder ältere – über unsere Rolle gelernt haben, also wie wir erzogen wurden. Jungs konnten sich prügeln, Mädels sollten vorsichtig sein… das war in meiner Kindheit noch so. Die jungen Kletterinnen, denen ich heute begegne, haben aber schon oft ein anderes Verhalten, sie steigen mit mehr Selbstbewusstsein in eine Tour ein. Bei Frauen über 35 Jahren beobachte ich häufig eine größere Vorsicht und Unsicherheit – und das hat auch sehr viel mit Selbstbewusstsein zu tun. 

Aber gibt es nicht eine positive Angst, die einen vor Gefahrensituationen warnt, und eine negative, die lähmt?

Ja, es gibt zwei Arten. Aber ich würde nicht von positiv und negativ sprechen. Angst ist Angst, jedes Gefühl verdient Beachtung. Angst kann vor Unglück und Gefahren schützen.

Die Frage ist doch, was es ist, was dir Angst bereitet. Es wäre fatal, ein Gefühl zu ignorieren, denn damit übergehe ich mich als Person. Das ist übrigens bei beiden Geschlechtern so: Man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen und braucht natürlich eine gewisse Routine in dem, was man tut. Wenn ich über der Exe stehe, ist es aber der falsche Moment. 

Was ist denn der Grund für diese oft ausgeprägte Vorstiegsangst, die einem den Spaß am Klettern vermiesen kann?

Das hat etwas mit dem Thema Kontrolle zu tun… und mit Selbstfürsorge. Diese Angst haben oft Menschen, die weit weg von sich sind, die nicht bei sich sind und nicht die Routine im Vorstieg haben. Wenn man sie ignoriert und sich zwingt, dennoch vorzusteigen, weil es die anderen Kletterer ja auch tun, kann das einen gegenseitigen Effekt haben und die Angst sogar verstärken. Das kann bis zu einer Panikattacke führen.

Was kann man dagegen tun? Sturztraining?

Sturztraining trägt dazu bei, dass ich mir und meiner Kletterpartnerin oder meinem Kletterpartner anders vertrauen kann. Sturztraining hilft, das Vertrauen zu steigern und das hilft mir, mich eventuell einen Schritt weiter zu trauen. Als zweiter Punkt spielt die Routine eine Rolle: Je öfter ich etwas mache, umso mehr gehört es zu dem Sport dazu. Wenn ich nie stürze, werde ich auch immer Angst davor haben. Wichtig ist, sich in kleinen Schritten und im eigenen Tempo ans Sturztraining heranzuwagen. Erst im Toprope – und wenn das ‚langweilig‘ wird, fange ich mit Clip and Drop an… Zu spät, um mit dem Vorsteigen zu beginnen, ist es aber nie.

Du bietest in deiner Kletter-Werkstatt speziell für Frauen Kurse an: Weshalb das?

Frauen haben andere Bedürfnisse als Männer. In gemischten Gruppen aber fällt es ihnen schwerer, diese zu äußern als in reinen Frauenkursen. Unter Frauen ist es eine ganz andere Kommunikation. Ich möchte ihnen in den Frauenkursen die Möglichkeit geben, nur auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Ich kann das Problem zwar nicht für sie lösen, aber wir können gemeinsam viele Schritte gehen. Die Gruppendynamik ist dabei enorm wichtig, kleine Erfolge helfen, mehr bei sich zu sein – das setzt Energie frei. Ich denke aber, dass Frauen grundsätzlich lernen müssen, mehr für sich zu sorgen – und das nicht nur beim Klettern. Wenn wir eine wirkliche Gleichheit zwischen Mann und Frau hätten, wären diese Kurse wahrscheinlich nicht mehr notwendig. So helfen sie Frauen dabei, weiter in die Emanzipation zu kommen.

Was rätst du kletternden Frauen? Sich auch einmal andere Partner als den eigenen Freund oder Mann, der die Touren für sie einhängt, zu suchen?

Unbedingt! Für Frauen, die normalerweise mit ihren Partnern klettern gehen und die ihre Touren eingehängt bekommen, ist es auch sinnvoll, mal mit Freundinnen oder anderen Kletterern unterwegs zu sein. Der Kletterer, der besser ist – also in unserem Fall der Mann -, ist in der Verantwortung. Oft ist es aber leider nicht so, dass an einem Klettertag auch ein Fels besucht wird, an dem auch die Frau Touren für sich findet. Sondern es wird zu dem Fels gegangen, an dem der Mann sein Projekt hat und für die Partnerin dann die meist nicht so tollen Aufwärmtouren eingehängt. Aus dieser Passivität sollten sich die Frauen aber unbedingt lösen, das ist dann aber ihre Aufgabe.

Dein Motto beim Klettern und Bouldern ist: Das Leben ist zu kurz, um nur in der Komfortzone abzuhängen. Aber ist es manchmal nicht auch einfach okay, nicht die eigenen Grenzen zu überschreiten und einfach mal chillig zu klettern – dann halt auch im Toprope?

Klar, das ist es. Ich bin grundsätzlich jemand, der sich selbst sehr gerne fordert. Deshalb habe ich mir dieses Motto ausgesucht. An oberster Stelle aber steht der Spaß. Wir sind keine Profikletterer und müssen nicht unser Geld mit dem Klettern verdienen. Das absolut Wichtigste ist, einen guten Tag mit Freunden am Fels zu haben. 

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Video-Link: https://youtu.be/mIURZQTMO9I