» Das Klettern gibt mir unglaublich viel « Solveig Korherr

Den 23. August 2021 wird Solveig Korherr wohl nie vergessen. An diesem Tag kletterte sie mit „La Cabane au Canada“ im schweizerischen Klettergebiet Rawyl im Wallis ihre erste 9a. Solveig war – nach Chiara Hanke und Martina Demmel – die dritte deutsche Kletterin, der eine Tour in diesem Grad gelang. Auf ihrer Ticklist stehen mittlerweile eine ganze Reihe bockharter Touren, darunter vier 8c+- und neunzehn 8c-Routen. Die 24-Jährige ist aber nicht nur eine starke Leadkletterin, sie räumt auch beim Bouldern kräftig ab, ihre bisherigen Highlights waren „Lethal Design“ 8a+ (Red Rocks), „Disney Production“ 8a/+ und „Frogger“ 8a (Tessin).  Zuletzt fand sie dann auch noch Spaß beim Mehrseillängentouren-Klettern und entdeckte das Trad-Climbing für sich. Beim Klettern sei sie am glücklichsten, sagt Solveig im Interview mit Ks.com. „Wenn ich klettere, vergesse ich alles um mich herum. Das Klettern gibt mir unglaublich viel.“ Solveig, die am Bodensee geboren wurde, lebt mittlerweile in der Schweiz im Basler Jura. Dort arbeitet sie für ihren Sponsor Scarpa – und lebt ihre Leidenschaft: das Klettern.

Ks.com: Solveig, wie bist du eigentlich zum Klettern gekommen?

Durch meinen Papa. Sobald ich laufen konnte, bin ich von ihm zum Klettern mitgenommen worden. Mit sechs oder sieben Jahren kam ich dann in eine Kindergruppe und begann, regelmäßig zu klettern – und habe seitdem damit nicht mehr aufgehört (lacht).

Deine ersten Jahre – bis zum Abi – wurden dann erst mal durchs Wettkampfklettern dominiert, oder?

Ja, das ging mit den Kids-Cups los, damals war ich acht oder neun Jahre alt. Während der Schulzeit war das auch cool, ich habe viele Leute kennengelernt, war im Nationalkader und bin viel rumgekommen. Bei einem Jugend-Europacup bin ich im Finale mitgeklettert, beim Lead-Weltcup in Imst bis ins Halbfinale geklettert… das war schon etwas ganz Besonderes. Außerdem habe ich sehr viel über Training gelernt, auch über mentale Stärke – das ist auch beim Felsklettern unglaublich hilfreich. Also es war eine coole Zeit. Mit so etwa 18 Jahren, nach meinem Abi, wollte ich dann aber mehr draußen klettern. Mein Plan damals war, ein Jahr lang am Fels zu klettern und dann wieder mehr Wettkämpfe zu machen. Ich habe nach diesem Jahr aber gemerkt, wie wichtig mir der Fels ist – und dass der neue Wettkampfstil – New School – mir nicht mehr so gelegen war.

2018, also mit 19 Jahren, hast du ja dann auch einen krassen Leistungssprung gemacht.

Ja, ich habe in diesem Jahr ganz viele Erfahrungen in vielen unterschiedlichen Klettergebieten gesammelt, habe damals meine ersten Touren projektiert. Ich habe beispielsweise in Rodellar und in der Türkei das Knieklemmen gelernt. Ich klettere am liebsten onsight und bin dadurch besser im Routenlesen geworden. Ich habe vor allem gelernt, mehr zu kämpfen – selbst wenn die Züge sich verzweifelt anfühlen trotzdem weiterzumachen und nicht aufzugeben.

Außerdem habe ich mein Training umgestellt. Zuvor habe ich sehr viel am Seil trainiert, meine Ausdauer war gut. Aber die Maximalkraftausdauer hat mir gefehlt. Ich war dann viel am Moon-Board, am Campusboard und der Definierwand… und bin dadurch auch in der überhängenden, kräftigen Kletterei besser geworden. Ich konnte dann 2018 in Bürs meine erste 8c klettern – was ein Jahr zuvor noch unvorstellbar gewesen war. In Bürs war ich mit 12 oder 13 Jahren das erste Mal, dort habe ich meine erste 7c und erste 8b geklettert – und dort gelang mir dann der große Sprung zur 8c. Das hat mich besonders gefreut, dass das in Bürs passiert ist.

Hattest du vor dem Grad 9a trotzdem noch großen Respekt? 

Ich hatte 2021 schon eine 8c+ im Red River Gorge geklettert – und wusste, dass mehr drin ist. Da war noch ein Puffer nach oben. Also ich hatte nicht allzu große Hemmungen mehr, ich dachte mir, ich werde das einfach probieren. Ich war im Jahr zuvor schon in „La Cabane au Canada“ und konnte damals schon den unteren Teil durchklettern. Ich wusste, dass mir die Route sehr liegen könnte… und bin ein Jahr später sehr motiviert zurückgekommen. Und war dann überrascht, wie gut es auch oben lief. Ich habe mich viel stärker als im Jahr zuvor gefühlt, das ging alles relativ flott. 

Versuch mal zu beschreiben, wie es ist, 9a zu klettern…

Puh, das ist schwierig. Jede Tour ist natürlich anders. „La Cabane au Canada“ ist durch sehr viele Mikroleisten charakterisiert. Der untere Teil ist sehr anhaltend, da ist Maximalkraftausdauer gefragt, man muss den Teil einfach schnell durchklettern. Im oberen Teil gab es recht weite Züge. Ich konnte nicht alle durchblockieren, und musste vor allem dynamischer klettern. Im Vergleich zu den beiden 8c+ im Red River Gorge, die vom Stil her ähnlich waren, ist mir die Schlüsselstelle in „La Cabane au Canada“ schwerer gefallen und die Züge waren etwas riskanter.

Hast du Lieblingsgebiete? Du bist relativ oft in den USA – vor allem im Red River Gorge – unterwegs, hast aber auch im Frankenjura schon einige sehr harte Touren geklettert.

Ich mochte es früher sehr gerne fingerlastig – egal, ob Leisten oder Löcher – und mag es auch heute noch gerne. Inzwischen klettere ich aber auch gerne kurze und boulderlastige Touren. Ich finde den Mix sehr cool, es müssen nicht mehr nur lange, leistenlastige Touren sein, das lag mir zu Beginn halt am besten. Inzwischen darfs auch steil sein, ich mag auch Sinter… Inzwischen kann ich eigentlich gar nicht mehr sagen, was mein Lieblingsgebiet ist. Ich war oft und lange im Red River Gorge und das ist für mich noch immer mit das Beste, ich bin mega gerne dort.

Aber auch ins Frankenjura fahre ich immer wieder sehr gerne, auch dort ist die Kletterei sehr abwechslungsreich. Und dort gibt es eine coole Community. Ich habe immer eine gute Zeit in Franken.

Wie schaut dein momentanes Leben aus?

Ich habe im vergangenen Sommer angefangen, bei Scarpa zu arbeiten. Das hat mein Leben schon ziemlich verändert, zuvor war ich immer viel unterwegs. Meistens für mehrere Monate, dazwischen habe ich gejobbt. Jetzt lebe ich an einem Ort, habe einen geregelten Arbeitstag – und danach noch zu trainieren, braucht schon mehr Disziplin. Ich musste mich an meinen neuen Alltag erst gewöhnen. Heute nutze ich meine freien Tage, um draußen zu klettern – und da ich keinen Vollzeitjob habe, gibt es zum Glück einige. Ich habe das Basler Jura vor der Haustüre, was natürlich super ist.

Solveig, du bist mit 154 Zentimeter relativ klein. Hast du deshalb einen anderen Kletterstil?

Wenn man kleiner ist, muss man einfach stärker sein (lacht). Die meisten Routen klettere ich komplett anders. Ich muss kreativer, offener sein – andere Lösungen finden. Beispielsweise benutze ich schlechte Zwischenleisten… ich denke, dass meine Beta manchmal schon deutlich härter ist. Ich setze den Fuß mega hoch oder blockiere bis zum Anschlag. Manche Passagen sind für mich aber auch einfach nicht zu klettern… das ist vor allem beim Bouldern öfter so. Da gibt es dann einfach nix, was ich zwischengreifen kann. Manchmal ist es aber auch von Vorteil, kleiner zu sein. 

Trainierst du spezifisch? Oder gehst du einfach nur viel klettern oder bouldern?

Also ich habe bislang noch nie spezifisch für ein Projekt einzelne Züge trainiert. Ich versuche, allgemein fit zu sein. Meistens trainiere ich den ersten Tag Maximalkraft und den zweiten Maximalkraftausdauer. Das ist bei mir aber mehr Freestyle, nicht mehr ganz so strukturiert wie während der Wettkampfzeit. Wenn ich an einem Tag beispielsweise keine Lust auf Hangboard habe, dann gehe ich halt nur bouldern.

Du hast ja zunächst am Fels vor allem Lead gemacht, dann kam das Bouldern dazu – und zuletzt gehst du auch immer häufiger Tradklettern. Was ist für dich der Reiz daran?

Tradklettern ist nicht nur körperlich, sondern auch mental eine große Herausforderung. Mir macht das großen Spaß, das ist unglaublich vielseitig. Ich habe dadurch auch viele neuen Techniken gelernt, wie das Rissklettern. Beim Tradklettern sehe ich auch, was ich klettern kann – und wo mein Limit ist. Tradklettern ist was Neues für mich und deshalb natürlich auch reizvoll. Nicht nur immer das Gleiche zu tun, auch einmal etwas anderes als Sportklettern zu machen, ist gut für den Kopf und für die Motivation.

Du warst früher – als Jugendliche – auch Leistungsturnerin. Profitierst du davon noch heute als Kletterin?

Ich habe inzwischen schon wieder an ein paar Boulder-Spaß-Wettkämpfen teilgenommen, das hat mir auch echt Spaß gemacht – werde ich sicher auch wieder mal machen. Aber so wie früher meinen Fokus aufs Wettkampfklettern zu richten, wird nicht mehr passieren. Dafür ist mir der Fels einfach viel zu wichtig.

Was machst du, wenn du nicht kletterst?

Meistens gehe ich ja klettern (lacht), sehr viel dreht sich bei mir ums Klettern. Nee, natürlich habe ich auch Ruhetage, meistens sind es zwei in der Woche. Ich dehne, lese, schaue Netflix, spiele Schach… also mache wirklich eine Pause.

Du hast dich einmal als diszipliniert beschrieben. Hilft dir diese Eigenschaft beim Klettern?

Auf alle Fälle… alleine schon beim Training oder auch wenn es darum geht, etwas Schweres zu probieren. Manchmal kann das aber auch negativ sein, weil die Lockerheit fehlt oder man zu hart zu sich ist. Mir fällt es auch nicht so ganz leicht, mit Frust umzugehen – und ich bin definitiv nicht die geduldigste Person, wenn es nicht gut läuft. Aber ich lerne, damit umzugehen und das ist auch schon besser geworden.

Die Draußen-Saison beginnt ja allmählich. Hast du für dieses Jahr Pläne oder Projekte?

Ja, ich habe im vergangenen Sommer in Gimmelwald eine Tour probiert, in die ich sehr gerne wieder reinschauen würde… das hat sich gut angefühlt. Ich spreche aber nicht so gerne über meine Projekte, das erzeugt bei mir mehr Druck. Und dann würde ich in diesem Jahr sehr gerne ein paar Mehrseillängen-Touren in der Schweiz machen und eventuell mal das Rätikon auschecken.

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Video-Link: https://youtu.be/KWwQV2-15UQ