Die Mutmacherin [Christina Wechsel im Interview]

Christina Wechsel war Mitte Zwanzig, als ihr das Leben eine richtig bittere Lektion erteilte. Erst starb ihre geliebte Mutter an Krebs, dann – ein knappes Jahr später – als sie endlich ihren Traum von einer Reise nach Australien realisieren wollte, starb ihr bester Freund bei einem Autounfall auf dem Weg zum Uluru. Christina kam schwerverletzt ins Krankenhaus. Dort musste ihr nach Komplikationen ihr linker Unterschenkel amputiert werden. Christina aber gab nicht auf, sie kämpfte sich ins Leben zurück. Es komme weniger darauf an, was einem im Leben zustößt, sagt sie im Interview mit Kletterszene.com. „Sondern darauf, wie man reagiert.“ Heute hilft sie anderen Menschen, die 40-Jährige gelernte Hotelfachfrau hat nach ihrem Unfall zur Heilpraktikerin umgeschult und hat inzwischen eine Naturheilpraxis in München. Außerdem engagiert sie sich beim Pik-Projekt, sie begleitet Menschen, die so wie sie eine Amputation brauchen. 

Christina, bist du ein Stehauffrauchen?

Zu hundert Prozent. Man kann auch das lernen, bei mir liegt es aber in meiner Natur. Ich bin schon immer so gewesen. Ich sehe das Glas grundsätzlich eher halb voll. Das bedeutet aber nicht, dass es immer klappt, im ersten Anlauf wieder aufzustehen. Das braucht manchmal mehrere Anläufe. Es kann ein sehr mühsamer Prozess sein.

Woher nimmst du deinen Kampfgeist, die Energie, immer wieder von neuem anzufangen?

Das liegt zum einen an der Spiritualität, die ich schon lange lebe. Die wurde mir von meiner Mama schon als Kind geschenkt. Ich bin mir sicher, dass das Leben für mich und nicht gegen mich ist. Und zum anderen habe ich einen wunderbaren Freundeskreis und eine starke Familie, die mir immer Rückenwind schenken. Ich habe die innere Einstellung, dass ich mein Leben selber gestalten kann. Dass ich entscheiden kann, was ich fühle und was ich denke. Wir sind dem Schicksal nicht ausgeliefert, sondern wir haben die Wahl.

Drei wirklich heftige Schicksalsschläge: Haderst du heute noch?

Ich habe viel gehadert, gerade nach meinem Unfall. Ein Jahr nach dem Tod meiner Mutter wollte ich endlich meinen großen Traum verwirklichen – und dann ist das passiert. Inzwischen habe ich aber das, was passiert ist, angenommen und akzeptiert – nur wenn man die Vergangenheit annimmt, gibt man der Gegenwart die Chance, etwas Neues entstehen zu lassen. Ich habe beispielsweise vor drei Monaten mit dem Surfen angefangen. Mit zwei gesunden Beinen hätte ich mehr Balance: so hätte ich früher gedacht. Heute versuche ich, mit meinem kleinen Bein eine Lösung zu finden… und es funktioniert. Und es vergeht zwar noch immer kein Tag, an dem ich nicht an meine Mutter denke. Aber die Trauer ist nicht mehr so schmerzvoll wie früher, sie hat sich in eine liebevolle Trauer verändert. 

War diese Zeit im Nachhinein eine bittere, aber lehrreiche Lektion?

Ja, absolut. Jeder Mensch muss Schicksalsschläge verarbeiten. Ich habe den Unfall nicht nur überlebt, sondern gelernt, trotzdem ein erfülltes, ein glückliches Leben zu führen. 

Du hast ein Buch geschrieben: „Wer Flügel hat, braucht keine Beine“ erschien 2021. War das Schreiben für dich eine Art Therapie?

Total. Für mich war es ziemlich heftig, den ersten Teil zu schreiben. Die Trauer um meine Mutter kam immer wieder hoch und hat mir sehr deutlich gezeigt, wo noch eine Heilung stattfinden darf. Als ich dann die Krankenhaus-Geschichte geschrieben habe, habe ich wieder einen ganz heftigen Phantomschmerz erlebt. Ich habe während des Schreibens noch einmal viel verarbeiten können. Das war zwar ein sehr schmerzhafter Prozess. Aber ich habe dadurch auch eine gute Resilienz erworben.

Die Liebe zu den Bergen hast du schon als Kind entdeckt. Mit dem Klettern aber hast du erst nach deinem Unfall, also mit kleinem Bein, begonnen. Wie kam es dazu?

Interesse am Klettern hatte ich schon früher, schon vor meinem Unfall. Als ich dann in Australien monatelang im Krankenhaus lag, hat mir meine beste Freundin geschrieben, dass sie einen Kletterer kennengelernt hat, der ihr das Klettern beibringt – und dass sie es dann mir beibringen wird. Das hat mich damals total motiviert. In der Reha gab es dann eine ganz kleine Kletterwand, da wollte ich das Klettern mit Prothese auch unbedingt ausprobieren. Nach der Reha bin ich mit meiner besten Freundin gleich in einen Kletterladen, um einen passenden Kletterschuh für den Prothesenfuß zu finden. Und dann gings in Freising in die Kletterhalle. Ja, und wenige Wochen später habe ich auf dem Oktoberfest dann Ecki, meinen Mann, kennengelernt – er ist Vollblutkletterer. Er war nach dem Unfall die beste Gehschule für mich.

Und was bedeutet dir das Klettern heute? Eine von vielen Sportarten – Tennis, Hiken, Tauchen, Surfen – die du machst, oder ist es etwas Besonderes für dich?

Klettern ist Balsam für die Seele. Das Klettern und auch schon der Zustieg zum Felsen sind tolle Geschenke für mich. Klettern gehört zu den Sportarten, die sehr besonders sind. Dafür braucht man viel mentale Stärke, muss seine eigenen Grenzen überwinden… man lernt beim Klettern auch viel über sich selbst. Und man ist draußen in den Bergen, die ich ja liebe, und erlebt ein schönes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit seinen Kletterpartnern.

Dein Nachname ist Wechsel: ist der Name Programm?

Auf jeden Fall (lacht). Das ganze Leben bedeutet eine ständige Veränderung, das Leben ist in einem ständigen Fluss. Ich hoffe zwar, dass es in meinem nicht mehr so krasse, einschneidende Veränderungen geben wird, aber das Thema Loslassen ist bei mir immer sehr präsent. 

Was ist für dich das Wichtigste im Leben? Deine Freiheit?

Ja, einen eigenen, freien Willen zu haben, wählen zu können: darin steckt eine große Power. Sich frei zu fühlen, ein erfülltes Leben zu führen, macht mich sehr dankbar. Freiheit bedeutet, Chancen geschenkt zu bekommen.

Derzeit lebst du mit deinem Mann für ein Jahr in Südafrika – wie geht es weiter mit Christina Wechsel?

Seit sieben Jahren reisen wir jährlich nach Südafrika und haben uns in Kapstadt verliebt. Jetzt leben wir hier unseren großen Traum. Ich wollte schon lange ein Sabbatical machen. Zukünftig wollen wir jedes Jahr drei bis vier Monate hier in Südafrika leben, vielleicht auch länger. Seitdem wir hier sind, lebe ich jeden Tag, jeden Moment viel bewusster. Ich bin total glücklich, das erleben zu dürfen.

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Video-Link: https://vimeo.com/678660144/db3370daa9