Auf eine Tasse Kaffee mit Yuji Hirayama

»I think that life should be happy!«

Yujis Verdienste für das Sportklettern hervorzuheben, hieße Sushi nach Japan zu tragen. Der 53 jährige Yuji wurde im Raum Tokio 1969 geboren. Keine zwanzig Jahre später machte er sich auf eine Kletterreise nach Europa auf und wurde durch seine Leistung bald weltberühmt. Bereits 1991 gewann er den bekanntesten Wettkampf der Welt, das Arco Rock Masters. Zusammen mit dem französischen Superstar Francois Legrand lebte und trainierte er mehrere Jahre in Frankreich. In den Geschichtsbüchern sicherte er sich endgültig 2004 einen Platz, als er als erster Mensch überhaupt mit „White Zombie“ eine 8c/11- onsight, also im ersten Versuch, wegballerte. Es kamen Speed-Rekorde am El Capitan im Yosemite hinzu, Erstbegehungen bis 9a+, Boulder bis 8c … Du merkst schon, dass die Liste endlos ist. 

Das großartige an Yuji ist, dass er trotz 35 Jahren Profiklettern wie ein junges Reh am Fels auftaucht und seine Kletterlust völlig unverbraucht ist. In seiner Gegenwart fühlt man sich sofort wohl und er macht nullkommanull Aufhebens um seinen Status. Eine waschechte lebende Legende! Kletterszene Kopiergehilfe Hannes Huch unterhielt sich mit Yuji im Rahmen einer Veranstaltung im Element München mit ihm und war noch am nächsten Tag mit ihm in der Fränkischen unterwegs.

Viel Spaß mit Yuji!

Hi Yuji, die erste Frage lautet wie immer: Wie magst du deinen Kaffee am liebsten?

Weißt du, ich brauche wirklich jeden Morgen Kaffee. Ich mache ungefähr sechs Tassen Kaffee, aber dann nicht nur für mich sondern auch für meine Frau. Meistens trinke ich mindestens vier oder fünf von den sechs Tassen und meine Frazu nur eine

Okay, das ist eine Menge! Einfach nur Kaffee oder trinkst du auch mal einen Cappuccino oder so?

Normalerweise schütte ich Sojamilch in meinem Kaffee und gut ist’s. Ich trinke normalerweise hawaiianischen Kona-Kaffee, der wirklich gesund ist. Ich brauche ihn jeden Tag, fast wie Wasser.

Hannes: Manche Leute sagen, ein Leben ohne Kaffee sei möglich, aber sinnlos.

Bist Du froh, dass die Olympischen Spiele vorbei sind?

Ja, auf der einen Seite bin ich froh, dass sie vorbei ist. Aber auf der anderen Seite vermisse ich sie auch. Denn ich erinnere mich an den Moment, als die Athleten dort waren. Und wie sie ehrfürchtig auf die Wand starrten. Und wie sie geklettert sind! Vielleicht war es schwer für sie, weil der Druck riesig war und es ihr ganzes Leben damit verändert hat. Aber dann war es auch eine tolle Erfahrung für sie. Und für mich auch. Ich war Kommentator für das japanische Fernsehen. Es war wirklich der Höhepunkt in der Kletterwelt, deshalb vermisse ich es ein bisschen.

Du hast ja vorhin gesagt, dass sich danach alle ziemlich erschöpft fühlten.

Ja, vor allem in der japanischen Kletterszene. Wir haben für die Olympischen Spiele seit 2015 gearbeitet und zwar wirklich hart.

Wird Klettern in Japan generell eher als Indoor- oder als Outdoor-Sportart wahrgenommen?

Das ist ganz anders als in Europa. Für die meisten Menschen in Japan ist Klettern wie ein Hallenwettkampf, der eher mit Olympia verbunden ist. Heutzutage denken die Leute immer weniger an Outdoor, sondern mehr und mehr an Indoor-Klettern. 

Stellen Dir vor die Olympischen Spiele im Klettern mit allen drei Disziplinen hätten schon 1990 stattgefunden. Wer hätte vor 30 Jahren gewonnen? Jerry Moffat, Francois Legrand oder du? 

Oh, gute Frage! Ich denke, ich werde meine Hand heben, weißt du. (lacht) Aber ich glaube, wir hätten alle drei eine große Chance gehabt die Goldmedaille zu gewinnen.

Okay, also werde ich Jerry sagen, wenn wir uns das nächste Mal treffen, dass er die Olympia nicht gewonnen hätte. Da freu ich mich jetzt schon drauf. Wenn ich mir deine Videos anschaue, scheinst du das Klettern nach wie vor sehr zu genießen. Was treibt dich an? Was ist deine Motivation zu trainieren und zu klettern? Du siehst immer so erfüllt und glücklich aus! Was hält deine Motivation so hoch?

Ich weiß es nicht genau, aber wenn ich mit den jungen Kletterern neben mir am Fels oder in der Halle bin, spüre ich, wie wichtig es ist, mich selbst immer noch verbessern zu können. Ich kann jedes Mal von den Youngsters lernen. Vielleicht ist das der Hauptgrund motiviert zu bleiben. Und dann ein Projekt zu haben, ist etwas, das mich wirklich antreibt. 

Letztes Wochenende gab es ein Festival im Frankenjura. Und da gab es einen tollen Vortrag von Sean Villanueva. Er hat gesagt, der wichtigste Muskel für Kletterer ist das Herz. Weil es das Herz ist, die Lust am Klettern, die einen weitermachen lässt, auch wenn es schwierig wird. Und ich fand das ein wirklich schönes Zitat, dass das Herz der wichtigste Muskel ist. 

Ja, da stimme ich zu. Wenn man hot und voller Leidenschaft ist, kann man alles schaffen.

Du bist jetzt 53 Jahre alt, aber in deinen Videos bewegst du dich wie ein junger Affe.  Du siehst überhaupt nicht alt aus. Hast du ein Geheimnis? Tonnenweise Sushi oder was? Was bringt dich dazu, dich so leicht zu bewegen?

Ich habe kein Geheimnis, aber ich liebe es einfach, ständig zu klettern. Und ich möchte nonstop mit Freunden nach draußen gehen und die Zeit beim Klettern an einem coolen Projekt teilen. Das hält einen jung! Es ist cool, wenn ein Projekt neue Erfahrungen bringt, neue Bewegungen, für die man trainieren kann. Aber ich trainiere nicht wirklich ernsthaft, heutzutage klettere ich einfach viel. Ich habe stets ein paar Projekte am Start, und versuche sie zu senden.

Kletterer aus Japan wie Du oder Dai Koyamada oder Miho Nonaka: Ihr alle klettert superhart, aber die Welt ist auch beeindruckt von diesem flüssigen Kletterstil, dieser flüssigen Bewegung. Gibt es in Japan einen besonderen Fokus auf den Stil oder woher kommt das?

Ich glaube einen besonderen Fokus auf den Stil gibt es bei uns nicht. Aber beim Klettern sieht man immer auch seinen Background. Ich denke, beim Fußball ist es dasselbe. Der deutsche Fußballstil ist anders als der brasilianische.

Kannst du diesen japanischen Background beschreiben? Da bin ich wirklich neugierig. In Deutschland gibt es zum Beispiel keine Kultur der Flexibilität denke ich. So wie Tsukuru Hori in dem Buch Gimme Kraft sagte: „Die Deutschen sind steif wie ein Stück Holz.“ 

Ich glaube, es ist der ganze Hintergrund, etwas, das vielleicht von deinem Großvater oder Urgroßvater oder von deiner Großmutter stammt. Es ist schwer zu erklären, aber ich habe asiatische Kletterer und europäische Kletterer gesehen und sie sind einfach anders.

Ich finde es so cool, wenn man es nicht nur auf den Gipfel oder zum Top schafft, sondern es auch noch cool aussieht. Ich finde, die Leute sollten sich auch auf diesen Aspekt des Kletterns konzentrieren. Ich meine, es ist mehr diese Prozessorientierung im Gegensatz zu einer Zielorientierung. 

Die einfache Antwort ist, dass sie diesen Boulder oder diese Route klettern wollen. Sie wollen sie einfach ticken. Und um sie zu klettern, müssen Dai, Miho, Tomoa und all die anderen sie einfach auf diese Weise klettern. Ohne diese Art von geschmeidigem Stil wir offenbar nicht am Top an.

Ein gutes Beispiel für völlig unterschiedliche Hintergründe war die Reel Rock Episode mit dir und Daniel Woods.

Yuji (lacht): Yeah, strong style. 

Hannes (lacht): Nächste Frage. Du hast superschwere Erstbegehungen gemacht, hast Weltcups gewonnen, hast Geschwindigkeitsrekord an der Nose aufgestellt, du warst der erste, der 8c onsight kletterte undsoweiter. Hast du eine Leistung, auf die du besonders stolz bist?

Die On Sight-Versuche in der Salathé und El Nino (beide am El Cap im Yosemite Valley, Anmerk. d. A.), die ich beinahe on sight geschafft hätte, sind die denkwürdigsten Klettereien in meiner Erinnerung. Es hat nicht geklappt, aber ich war sehr nah dran und habe viel daraus gelernt. Ich habe dort eine neue Art von Kraft gefunden, die ich vorher nicht kannte. Ich war in der Tour irgendwann so müde und fertig; wenn ich am Boden gewesen wäre, hätte ich aufgegeben. Ich konnte keinen einzigen Zug mehr machen, aber es standen so viele Emotionen hinter mir, meine Frau, meine Freunde, mein Fotograf, mein Agent … alle meine Freunde standen hinter mir, die mich dazu brachten, weiterzumachen, obwohl ich dachte, ich wäre völlig fertig. Ich dachte, wenn ich so hart kämpfen und diese Energiereserven abrufen kann, kann ich auch den nächsten Wettbewerb gewinnen und so weiter. Nach so einer Erfahrung kann man diese zusätzlichen Energiereserven abrufen, das ist schon etwas Besonderes.

Gibt es im Klettersport noch etwas, das auf deiner To-Do-Liste steht? Der Mount Everest oder Midnight Lightning? 

Ich habe immer La Rambla im Kopf.  Und ein Projekt in Japan. Da ich älter werde, möchte ich der jüngeren Generation einen schönen Felsen hinterlassen, und ich entwickle diesen Felsen gerade mit Freunden. Dort pflanze ich die Samen für die nächste Generation.

Nice! Was ist die wichtigste Lektion, die dich das Klettern gelehrt hat? 

I think that life should be happy! Deshalb klettere ich, weil ich mich selbst ausdrücken kann und das macht mich glücklich.

Was ist dein wichtigster Ratschlag für Kletterer, besonders für diejenigen, die neu anfangen? 

Genieße es. Das ist das Wichtigste. Spüre den Reichtum des Lebens und genieße ihn beim Klettern.

Eigentlich ist es genau das, was Margo (Hayes) auch gesagt hat: „Enjoy each second.“ Wir vergessen oft beim Klettern, dass es nur zum Spaß ist. Man sollte sich wirklich darauf konzentrieren, es aktiv zu genießen, denn nur vielleicht 0,1% der Menschen auf der Welt können tatsächlich klettern gehen und eine gute Zeit haben, weil die anderen wirklich andere Probleme haben.

So viele Jungen und Mädchen wollen klettern, und die meisten von ihnen wollen die Nummer eins sein, sich messen und gewinnen. Aber es kann nur eine Nummer eins geben! Ich denke, es ist viel besser, jede Sekunde zu genießen, wie Margo sagte. Ich denke, das ist das Wichtigste, was man Kindern beibringen kann. Klettern ist eine großartige Möglichkeit Spaß zu haben und sich gut zu fühlen.

Ziele sind wichtig, aber der Prozess ist noch wichtiger.  Ja, genieße jede Sekunde und sammle einfach Stückchen für Stückchen Glück.