„Also ich hab‘ das ja so gemacht“ – Vom Bouldern und Klettern als Frau

Zwei Dinge vorweg:

1. Ich bin nicht besonders mutig.

2. Ich bin nicht besonders geduldig.

Beides führt öfter mal dazu, dass ich beim Bouldern von der Wand springe bevor beide Hände den Topgriff gehalten haben. Sei es, dass ich beim Anblick des nächsten wackeligen Zuges auf einem angeschmierten Boulderhallentritt sorgenvoll an kaputte Kreuzbänder oder Sprunggelenke denke und wie um alles in der Welt ich die folgenden Wochen in meine Wohnung im 5. Stock ohne Lift kommen soll. Oder, dass ich mal wieder einfach voreilig „drauf los“ gebouldert bin und relativ schnell merke: so geht das nicht – erstmal anschauen.

Nun wären das, sofern ich alleine beim Bouldern wäre, keine größeren Probleme. Gegen die Angst hilft meistens das Gleiche, wie gegen impulsives Losklettern: nochmal runter, nochmal durchatmen, nochmal anschauen, vielleicht ein bisschen den Tritt bürsten und dann „allez allez“ und auf geht’s! An und für sich alles gut, wenn da nicht, sobald ich aus oben genannten Gründen aus der Wand springe, diese Stimme aus dem Off kommen würde: „also ich hab das ja so gemacht“. Und ehe ich mich versehe ist ER da, zieht natürlich gekonnt den Boulder, blickt triumphierend von oben zu mir herab und gibt mir, als Krönung des Ganzen, noch den einen oder anderen Ratschlag wie: „du musst hier mit links hin“ oder „der Sloper ist rechts besser“ oder mein absoluter Lieblingsspruch: „also ich muss da gar nicht so hochsteigen, um da hin zu kommen“. Irritiert drehe ich mich erst mal um, aber nein, niemand anderes da, man(n) spricht mit mir und berät mich selbstlos und absolut ungefragt, wie ich armes Mädchen den bösen, bösen Boulder nun am besten angehen darf.

„ER“, was klingt wie ein Vertreter des männlichen Geschlechts, sind in der Praxis ganz verschiedene Typen: vom Anfänger (gut erkennbar durch Socken in den Leihschuhen, umfunktionierte Fußballhose und miserable Fußtechnik dafür umso mehr Bizeps) bis hin zum Pro (gerne ohne T-Shirt, dafür aber mit Chalkbag in der Größe einer Einkaufstüte) bis hin zu ganzen Gruppen selbsternannter Boulderberater für Frauen.

Nur damit jetzt an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen. Ich bouldere gerne mit Freunden und nehme gerne und vor allem auf Nachfrage (!) konstruktive Tipps an bzw. tüftle gerne mit jemand zusammen einen schweren Boulder aus. Genauso gerne trainiere ich aber alleine, in Ruhe, in meinem Tempo.

Das Problem an der Boulderberatung der oben genannten Typen ist –  abgesehen davon, dass ich weder nach Hilfe gefragt habe noch welche bräuchte in diesem Moment – das was danach passiert:

Möglichkeit 1:

Ich ziehe den Boulder und ja, vielleicht war seine Methode die Richtige. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet der selbsternannte Boulderratgeber dann ein anerkennendes Nicken, Lächeln, „Danke“ oder (worst case) noch ganzes Gespräch (ich will doch hier trainieren und nicht small talken…). Des Weiteren fühlt er sich dann bestärkt mir im weiteren Verlauf der Bouldersession immer wieder an bestimmten Bouldern zu begegnen und beratend tätig zu werden.

Möglichkeit 2:

Ich ziehe den Boulder nicht, weil ich den Sloper eben doch nicht halten kann, ich doch wieder den falschen Fuß am falschen Tritt hatte und nein, ich muss da hochsteigen, denn ich bin kleiner als Du! Dann ist der Boulderberater restlos aktiviert, vielleicht wiederholt er seine Glanzleistung vom Anfang nochmal, vielleicht diesmal langsamer, vielleicht mit den Worten „das ist aber auch wirklich hart für blau“. – immerhin hat er nicht gesagt, was er wirklich gemeint hat: „das ist aber auch hart für ein Mädchen“. –  Exkurs: Letzteres ist meist zwischen den Zeilen zu hören, da sie sich dann doch nicht trauen uns das so ganz direkt zu sagen. Öfter dagegen höre ich Dinge wie „die klettert aber schon hart für ne Frau“ oder „den roten da links hat DIE da grade gezogen, der kann nicht so schwer sein“ – WTF!?!?

Na ja, weiter im Text –  Möglichkeit 3:

Bouldern in CZ

Ich stelle fest, dass der Boulder, den mein ungebetener Berater da gerade so schön vorgeturnt hat, nicht wirklich meins ist, weil er einen Längenzug hat, den ich auf Grund von zu geringem „Ape – factor“ nicht schaffen werde ohne zu springen, weil der Sloper leider total angeschmiert ist, weil ich die eine Zange halt nun mal nicht einfach wegquetschen kann oder weil ich jetzt einfach aus Prinzip nicht mehr mag, da dieser Typ auf dankbares Nachbouldern wartet.

Und jetzt der Tipp, der Möglichkeit 3 zu meinem absoluten Favoriten macht: hier benötigt Frau einen möglichst schwereren Boulder, den sie gut kennt und auf jeden Fall zieht. Man steige dann wortlos, ohne mit der Wimper zu zucken in diesen harten Boulder, ziehe ihn und springe lässig vom Topgriff. Beim anschließenden Rundumblick wird Frau feststellen: der Großteil der Berater hat sich verzogen, das Training kann weitergehen.

…bis eben der nächste auftaucht und es von vorne anfängt…

Nun stellt sich natürlich die Frage: warum passiert sowas? Sexismus?

…ich fürchte – anders als in den anderen, derzeit so intensiv geführten Sexismus Debatten (und jetzt liebe Frauen tief durchatmen), sind wir hier auch ein bisschen selber schuld. Bevor jetzt der Shitstorm losgeht, imaginiere Frau sich bitte in das letzte Mal klettern am Fels. Wie viele Mädels sind im Vorstieg mehr als 5c geklettert? …genau! Ich bin im Jahr ca. 60 Tage am Fels klettern und was ich da sehe, lässt mich verstehen, dass sich Klischees wie „Mädels klettern nicht so hart wie Jungs“ so hartnäckig halten. In der Regel bin ich eine der wenigen Frauen die im Grat 6a bis 6c so gut wie alles vorsteigt, was sie klettert (und ja auch ich hänge ab 6c+ und Überhang erstmal gerne im Toprope rum und probiere aus – weil, s. Punkt 1 am Anfang: ich bin wirklich nicht mutig!). Leider sehe ich aber den Großteil der Mädels im Klettergarten nur und ausschließlich Toprope klettern. Was ist da los? Trauen wir Frauen uns nichts? Wollen wir sportlich nicht vorankommen? Haben wir zu wenig Biss? Oder werden wir an der kurzen Leine gehalten, damit unser Mann sich möglichst stark und männlich vorkommt? Oder klettern wir absichtlich ein bisschen schlechter, um angepasst wie wir sind das Geschlechtergleichgewicht in der Beziehung zu erhalten?

„Den Roten da links hat DIE da grade gezogen, der kann nicht so schwer sein“

Ähnliches beim Bouldern: da sehe ich Mädelsgruppen die mehr ratschen als klettern, die nach einem halbherzigen Zug vom Startgriff springen und „ich hab einfach keine Kraft“ rufen (Mädels: Technik!!!) oder sich beschweren, dass die Haut an ihren Händen weh tut und der Fingernagel auch schon wieder abgebrochen ist. Da brauchen wir uns ja bitte nicht wundern über hartnäckige Klischees und dumme Sprüche. Andererseits ist auch das alles noch lang kein Grund für das ungefragte und häufig nur dem Zweck der narzisstischen Eigendarstellung dienende Kletterratgebertum. Und nur zur Info liebe Männer: wir bouldern nicht alle alleine, weil wir alleine sind und ganz dringend jemand kennen lernen möchten, der uns sagt und zeigt wo es langgeht.

Padani Lisa Knoche

Liebe Jungs: motiviert eure Mädels hart zu klettern und zu bouldern. Feuert sie an, statt ihnen Tipps zu geben. Seid stolz auf sie, wenn sie an ihre Leistungs-, Mut- und Schmerzgrenze gehen. Gebt ihnen das Gefühl, dass sie Trainingspartner und nicht Messlatte für eure Männlichkeit sind. Denn auch wenn wir gut klettern und bouldern, bleibt ihr die Männer, wir die Frauen – keinem bricht irgendwas ab und keiner hat hinterher irgendwelche sprichwörtlichen Hosen an! Und bitte, ganz wichtig: lasst eure Mädels einfach mal machen! Wir sind in der Regel ein bisschen kleiner als ihr, haben meistens weniger Bizeps und klettern einfach ganz, ganz anders. Nur weil ihr das „so“ gemacht habt und diesen oder jenen Griff „so“ genommen habt, heißt das noch lange nicht, dass wir das genau „so“ klettern werden.

Lasst uns unseren eigenen Weg finden und hört auf uns jeden Tritt, jeden Griff und jeden Zug nach oben zu rufen.

Und liebe Mädels: geht raus, traut euch, macht Sport (Kaffekränzchen ist auch schön, kommt aber doch eh danach!). Trainiert ordentlich, bouldert so hart ihr wollt (man braucht nicht überall und immer Kraft und Reichweite), klettert im Vorstieg (dann fallt ihr eben, na und?), geht an eure Grenzen und versagt auch mal (das steigert doch nur die Motivation, das beim nächsten Mal zu schaffen – und dank dem Clipstick kommt auch das Material wieder aus der Wand J ). Die Haut wächst wieder, die Fingernägel auch und das Selbstbewusstsein als netter Nebeneffekt gleich mit. Lasst euch nicht erzählen, dass ihr eine Tour nicht schafft. Und lasst euch nicht erzählen wie es geht, findet euren eigenen Weg. Probiert es aus!

Abschließend bleibt zu sagen, dass ich hier natürlich nur für mich spreche und aus meinen persönlichen Erfahrungen erzähle. Daher muss hier auch angemerkt sein, um nicht in völliges Klischeegeschwafel abzugleiten: ich sehe auch (egal ob am Fels oder in der Halle) starke Mädels, die ordentlich was wegziehen. Und genauso sehe und kenne ich Männer, die ihre Frauen motivieren und antreiben. Und der Blick ins Profiklettern macht mich als Verfechterin des selbstbewussten weiblichen Kletterns gerade ziemlich glücklich: Angy Eiter, Margo Hayes, Shauna Coxsey, Alex Puccio und so viele andere super starke Mädels und Frauen, die zeigen: ja, es geht. Wir können grundsätzlich auch 9b, wenn wir wollen und trainieren und man(n) uns lässt!

Neulich habe ich übrigens einem dieser Sockenkletterer mit Leihschuhen in der Boulderwelt einen Boulder vorgemacht, den er nicht beim ersten Mal geschafft hat. Ungefragt. Absolut Narzisstisch. Boulderberatermässig. …und das als Frau J.

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Video-Link: https://youtu.be/wMUEbc42iOY