Zwischenbericht der Salewa Grönland Expedition

Seit dem 15. Juli kann auf der „Bloggen aus der Big Wall“ Seite die spektakuläre Erstbesteigung eines noch namenlosen Gipfels in Grönland verfolgen. Roger Schaeli er zählt zu den weltbesten Allround-Alpinisten – will durch eine anhaltend senkrechte 1400 Meter hohe sogenannte Big Wall klettern, um auf den Gipfel an der Ostküste Grönlands zu gelangen – ein höchst riskantes Unternehmen: «Wir werden hart an die alpinistischen Grenzen gehen müssen – vielleicht sogar darüber hinaus», sagt Schaeli, der 31-jährige Profialpinist aus Sörenberg.

[Ks.com: Wir fassen die Einträge vom 27.07 bis heute 13.8 zusammen. Wenn ihr mehr über die Expedition wissen möchtet, könnt ihr HIER alles nachlesen.]

27. Juli 2010 Endlich ist alles organisiert. Jetzt fliegen wir ab!salewa-groenland-flughafen

Wir sind alle etwas ruhelos. Aufgeregt bin ich nicht, aber klar, ein gesunder Respekt vor der Expedition muss sein. Nach dem ganzen Organisationsstress bin ich einfach nur noch froh, dass ich mich endlich auf das Bergsteigen konzentrieren kann.

Insgesamt 450 Kilo Gepäck

Wir reisen zu fünft und sind soeben mit 200 Kilo Gepäck im Flughafen Zürich angekommen. 100 Kilo müssen wir extra bezahlen – alles Material, das erst in letzter Minute bei uns eingetroffen ist.

Weitere 250 Kilo Ausrüstung für Klettern und Basislager (Essen, Kocher, Generator, Bohrmaschine, Zelte etc.) haben salewa-groenland-flughafen-1wir bereits mit FedEx nach Island geschickt. Benzin, Gewehr zum Schutz vor Eisbären und weitere Sachen sind in Grönland organisiert. Ebenso die Boote, die wir für die Fahrt zum Berg brauchen, und die wasserdichten Säcke, um unsere Ausrüstung zu verpacken. Unser Flug geht jetzt nach Island. Wir übernachten in Reykjavik. Morgen geht es dann mit der gesamten Bagage weiter nach Kulusuk, einer 322-Einwohner-Siedlung in Ost-Grönland.

28.Juli 2010 Traumhaft schön hier in Grönland. Und wir werden umschwärmt – von Riesenmosquitos!

Flug von Island nach Grönland: Aussicht vom Flugzeug zwischen Kulusuk und Constable Point. Was für eine salewa-groenland-flug-1Gletscherlandschaft! Eis und Meer. Wir sind in Constable Point eingetroffen, ein Stützpunkt ohne Einwohner. Es gibt nur eine nicht asphaltierte Schotterflugpiste und sechs Hangars. Sonst sehe ich weit und breit nur Meer, Berge und Gletscher. Die Sonne scheint, es ist windstill und trocken, die Temperatur beträgt milde 10 Grad. Wie an einem schönen Novembertag bei uns. Simon, Daniel und ich verstauen unser Material in wasserdichte Säcke. Zudem bereiten wir jetzt schon mal Tagesportionen mit Essen vor – für die nächsten zwei Wochen.

Eine Tagesportion beinhaltet: 1 Frühstück (Müesli), 1 Abendessen (gefriergetrocknet im Alubeutel) – und für jeden zweiten Tag ein Dessert (ebenfalls gefriergetrocknet). Dazu jeweils 2 Schoko-Riegel, 2 Portionen Cappuccino, 1 Portion GrönlandTrockenfleisch, 1 Portion Käse.

Leider hat der Käse auf der Reise Schimmel angesetzt. Wir versuchen jetzt via Schweiz abzuklären, ob wir ihn trotzdem essen können. Ich selber finde Schimmel nicht so tragisch, das habe ich bei Käse schon öfter erlebt. Einfach wegschneiden, oder?

30. Juli 2010 Ab sofort sind wir auf uns allein gestellt

Alle Details sind geprüft, das Gepäck liegt in den Booten. Jetzt verlassen wir Constable Point und brausen in ein, oder zwei Tagesetappen zum Berg. Ab sofort sind wir nur noch auf uns alleine gestellt. Mit Karte und Kompass suchen wir den schnellsten Weg zu unserem Zielberg. Zum Glück kennt Thomas die Gegend von einer früheren Reise.

31. Juli 2010 Erste Probleme: «Wir stranden mit den Schlauchbooten im Niemandsland!»

Wir sind gestern nach nur 50 Kilometer Seefahrt im Niemandsland gestrandet. Eines der beiden Boote lief nicht richtig. Ich war bis auf die salewa-groenland-bootUnterhose durchnässt. Wahrscheinlich verteilten wir das Material nicht geschickt. Unser Gepäck wiegt mittlerweile über 500 Kilo, grenzwertig für zwei Schlauchboote. Eines fuhr viel langsamer als das andere und tuckerte weit hinterher. Wir hatten es mit zu wenig Luft aufgepumpt, der Motor begann zu scheppern – ein Weiterkommen war undenkbar.

Jetzt sind wir daran, den Schlauchbooten mehr Luft zu spendieren – mit der Fusspumpe. Und das Gepäck schlauer zu verteilen. Wir müssen uns beeilen, das Meer wird immer stürmischer. Ziel sind heute 125 Kilometer bis zu einer Insel, die unmittelbar gegenüber unserem Berg liegt. Ich hoffe, das klappt.

http://www.youtube.com/watch?v=jmJXmo20UAQ

2. August 2010 Wir sind jetzt fast beim Berg

Unsere Weiterfahrt verlief bestens. Beide Schlauchboote funktionierten, das Meer blieb ruhig, wir sind nicht mehr über die Wellen geflogen, sondern nur noch gehüpft, wurden aber trotzdem wieder bis auf die Unterwäsche nass. Mehrmals mussten wir an Land gehen, um die salewa-groenland-baden-bei-3-grad-wassertempBenzintanks aufzufüllen. Unsere Boote sind immer noch schwer beladen und die 60-PS-Motoren brauchen dementsprechend viel Treibstoff. Bei Vollgas erreichen sie etwa 40 Stundenkilometer Geschwindigkeit.

Heute übernachten wir auf einer kleinen Insel gleich gegenüber unserem Zielgipfel. Der Berg sieht mega geil aus. Noch viel beeindruckender als auf den Bildern. Wir sind völlig überwältigt und gespannt. Wenn die Felsstruktur jetzt auch noch halbwegs in Ordnung ist, können wir hier wirklich eine verdammt coole Sache klettern.

Die Stimmung im Team entspannte sich nach der gestrigen Panne wieder. Daniel beschreibt den Moment so: «Das einzig blöde sind jetzt nur noch die Riesenmosquitos.»

3. August 2010 Überwältigt von der Schönheit unserer Big Wall!

Wir entschieden uns, das Basislager auf einem Platz rund 50 Meter über dem Meer einzurichten – und nicht wie erst ins Auge gefasst, auf der Greenlandgegenüberliegenden Bäreninsel. Das ist praktischer – und vor allem: So können wir unsere Boote und das raue Meer vorläufig mal vergessen.

Simon, Daniel, Thomas und ich stiegen dann gleich über den Gletscher empor zum Wandfuss. Wir konnten kaum noch warten, die Big Wall endlich von unten zu begutachten. Wir sind überwältigt von ihrer Schönheit. Sie ist hoch und lang und einfach gigantisch! Die Felsstruktur weniger schlimm, als erwartet.

Unsere Big Wall ist eine Ost/Nordostwand und liegt die meiste Zeit des Tages im Schatten. Dort werden andere Temperaturen herrschen, aber sicher nicht eisige – sofern das Wetter bleibt wie im Moment. Morgen will ich die ersten Seillängen in der Big Wall klettern und den Fels testen. Ich bin schon ganz kribbelig – freue mich riesig darauf.

5. August 2010 Steinschlag! «Es kommt einiges von oben runter»

In den vergangenen zwei Tagen kamen wir unglaublich gut voran. Wir haben den unteren Teil dieses Granit-Turms geschafft – und sind heute bereits 150 Meter unter der Head Wall (Gipfelwand) angelangt. Es läuft traumhaft! Wir entschieden uns für eine Route, welche vom mittleren Teil des Wandfusses senkrecht und teils überhängend empor führt. Die extreme Steilheit macht die Kletterei zwar anspruchsvoll, aber der Materialtransport geht einfacher.

Es gibt viele lose Steine in der Wand und die zwei Vorkletterer müssen aufpassen, dass sie die untere Seilschaft nicht verletzen. Wir haben zeitweilig starken Steinschlag, es kommt einiges von oben runter.

6. August 2010 Nur noch 200 Meter bis zum Gipfel!

Aktuell befinden wir uns 200 Meter unter dem Gipfel! Alles klappt reibungslos, wir kommen super schnell vorwärts – und klettern seit gestern salewa-groenland-route-3ununterbrochen, haben in Schichten ganz kurz geschlafen. Im unteren Teil der Big Wall hatten wir immer wieder Steinschlag. Jetzt im obersten Stück prasselt kaum noch etwas runter. Der Fels ist kompakter.

Müdigkeit spüren wir trotz der anhaltenden Anstrengung nicht, das Adrenalin kickt. Diese Monsterwand ist ein unglaubliches Erlebnis. Hier oben präsentiert sich eine geniale Aussicht auf die Fjorde.

«Geschafft! Ich fühle mich wie im Märchen»

Wir stehen auf dem Gipfel! Das schönste Erlebnis, das ich in meinem Bergsteigerleben je hatte. Ich werde gerade von Emotionen überwältigt – komme mir vor wie im Märchen, frage mich, ob ich hier träume oder ob das echt ist. Die Big Wall misst vom Einstieg bis auf den Gipfel exakt 1325,5 Meter, unsere Route verläuft über 40 Seillängen – 39 konnten wir frei und rotpunkt begehen

9. August 2010 «Ich bin noch immer verzaubert und betört – alles scheint unwirklich hier oben!»

Die vergangenen zwei Tage verbrachten wir in der Gipfelwand, genossen die Zeit, fotografierten, schliefen im Hängezelt in der Vertikalen. Das geht gut. Ich war so müde, dass ich sofort einschlief und drei, vier Stunden völlig weg war. Dann döste ich noch etwas. Am Morgen stiegen wir noch mal ganz auf, und ergötzten uns am fantastischen Ausblick.

10. August 2010 Heftiger Steinschlag beim Abseilen: «Der Berg wollte uns nicht mehr und jagte uns weg!»

11. August 2010 «Heute fühlen wir uns lahm und ausgemergelt»

12. August 2010 «Simon und ich versuchen, noch einen anderen Berg in Angriff zu nehmen»

13. August 2010 Zum «Ausklettern» in 15 Stunden durch eine 850-Meter-Wand gestiegen

Der Felsturm steigt 1295 Meter direkt aus dem Meer empor. Der Zustieg führt erst über kompakte Stufen und Platten. Die Kletterwand misst rund 850 Meter. rs_zusatztour_01Unsere neu erschlossene Route führt in 30 Seillängen über tadellosen Granit auf den Gipfel, ist problemlos mit mobilen Geräten abzusichern, die Schwierigkeit liegt im 7. alpinen Grad. Ein absoluter Hochgenuss, wunderbare Kletterei! Wir brauchten 15 Stunden.

Gestartet sind wir gestern um 18 Uhr, kletterten dann die ganze Nacht durch, biwakierten nach 15 Seillängen kurz für eineinhalb Stunden. Da wir keine Zelte oder Schlafsäcke dabei hatten, steckten wir unsere Füsse in die Rucksäcke, damit es nicht zu kalt wurde. Als Kopfkissen dienten uns die beiden 60-Meter-Seile. Kurz nach 9 Uhr heute Morgen sassen wir auf dem Gipfel. Ein geniales Erlebnis.

Wir halten Euch auf dem lufenden und wenn die Jungs noch was schönes klettern, geben wir Euch bescheid!

Text:Roger Schaeli,  kletterszene.com Quelle: Bloggen aus der Big Wall Fotos: Thomas Ulrich

  • Beitragsdatum 15. August 2010