Sébastien Berthe klettert die Dawn Wall (9a/32Sl. ) am El Capitan

Sébastien Berthe gelang die vierte freie Begehung der Dawn Wall am El Capitan im Yosemite. Erstmals 2015 von Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson bestiegen, wurde die wohl schwerste Mehrseillängenroute der Welt 2016 von Adam Ondra wiederholt. Sébastien kletterte nun mit seiner Freundin Soline Kentzel als Sicherungspartnerin innerhalb von 14 Tagen die rund 1000 Meter hohe und 32 Seillängen lange Route.

Während ich diese Zeilen schreibe, fünf Tage nach der Rückkehr aus dem Yosemite Valley, sind die Schmerzen in den Füßen und Händen immer noch sehr präsent. Ich muss zugeben, dass ich diese Schmerzen genossen habe, ein Zeugnis für den Kampf, den ich zwei Wochen lang an der Wand gefochten habe

erklärt Berthe zu Beginn der Pressemitteilung

Ein langer Weg

Sébastien Berthes‘ Weg zur erfolgreichen Begehung der Dawn Wall begann im September 2021, als er mit einem Segelboot aufbrach, um den Atlantik zu überqueren. 60 Tage später kam er im Yosemite Valley an, wo er gemeinsam mit Siebe Vanhee als Seilpartner zum ersten Mal die herausfordernde Route am El Capitan auskundschaftete.

Im Januar 2022 begann die intensive Vorbereitung auf die Dawn Wall. Beide Kletterer arbeiteten sowohl gemeinsam als auch unabhängig voneinander mehrere Wochen lang an der Route. Ihre Erfahrungen wurden in dem Dokumentarfilm > Darkest Before Dawn | A Dawn Wall Story < festgehalten. Damals verließen Seb und Siebe das Tal allerdings ohne den erhofften Durchstieg.

Drei Jahre später wiederholte Berthe die Atlantikfahrt mit einer neuen Crew, zu der auch seine Partnerin Soline Kentzel gehörte. Diesmal dauerte die Überfahrt nur 50 Tage, und sie erreichten Yosemite Ende November letzten Jahres.

Im Valley traf ich dann Connor Herson, der extrem motiviert war Dawn Wall mit mir zu versuchen. Es war mir eine Ehre, mit solch einem Kletterpartner in der Wand zu sein. Es wäre sehr schwierig gewesen, sie allein auszuprobieren. Schon an meinem ersten Tag im Valley war ich bereits in der Wand und nach vier Wochen hatten wir Hunderte von Metern Fixseile befestigt, die schweren Haulbags wieder hochgezogen, die Standplätze eingerichtet, … Die Dawn Wall hatte sich nicht verändert, sie erforderte immer noch intensive Arbeit und der ganze Prozess war hart: das Klettern, die kalten Wintertemperaturen gemischt mit der Sonneneinstrahlung dieser Südseite, die ständige Ausgesetztheit an der Wand, die weiten Hakenabstände, das fallende Eis usw. Nach einem Monat im Tal war ich wirklich müde und meine körperliche Verfassung hatte sich stark verschlechtert. Connor erging es ähnlich und er musste wieder nach Hause, um sein Studium fortzusetzen

erklärte Berthe.

Obwohl Sebs Ziel immer noch darin bestand, Dawn Wall frei zu klettern, benötigte er etwas Abstand von seinem Projekt. Aber auch eine Woche Bouldern in Bishop und zwei weitere Wochen komplett ohne Fels waren nicht genug Auszeit, um einen ernsthaften Versuch zu starten. Mitte Januar kam dann die Wettervorhersage für ein außergewöhnlich seltenes, trockenes Wetterfenster, und so entschied Seb sich dafür, die Route dann zu versuchen, und begann damit, Wasser- und Essensvorräte an die Standplätze zu bringen.

Der Go

Am Freitag, den 17. Januar, um 5 Uhr morgens stieg Seb Berthes in einer Gemengelage aus Gefühlen, von „leicht gestresst“ über „hoch motiviert“ bis hin zu „aufgeregt“, in die Wand ein. Nach vier intensiven Klettertagen erreichte er die 14. Seillänge, die mit dem Grad 9a auch die Schlüsselseillänge der Dawn Wall darstellt. Seb konnte zwar schon im Dezember alle Sequenzen dieser Seillänge klettern, aber 13 Seillängen in den Graden 7b+ bis 8b+ zerren dann doch an der Kondition, und so legte er an Tag fünf einen Ruhetag im Portaledge ein.

Da Seb wusste, dass die Bedingungen in der nächsten Seillänge entscheidend waren, begann er vor Sonnenaufgang mit dem erneuten Ausbouldern aller Züge und unternahm dann recht schnell einen ersten Rotpunkt-Versuch.

Ich flog durch die Seillänge, alles fühlte sich einfach an, und innerhalb von wenigen Minuten war ich am letzten schweren Zug – es passiert! Ich steige für den weiten Zug nach links, aber gerade als ich nach dem Griff greife … rutsche ich ab. Ein Schrei der Frustration durchfährt mich. 

so Seb

Er fokussierte sich neu und unternahm 20 Minuten später einen zweiten Versuch, nur um am Ende wieder abzurutschen. Dann kam die Sonne in die Wand und mit ihr die warmen Temperaturen, die keinen weiteren Versuch zuließen. Seb kehrte zum Portaledge zurück, wo seine Rückenschmerzen erneut aufflammten und ihn zu zwei weiteren Ruhetagen zwangen.

Wenn ich aufwache, fühlt sich mein Rücken besser an – nicht geheilt, aber mit Ibuprofen erträglich. Es ist ein kalter, bewölkter Tag – perfekte Bedingungen. Ich wärme mich auf, indem ich die letzte Crux rekapituliere, um herauszufinden, warum ich immer wieder abgerutscht bin. Ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden – es geht um die Fußpositionierung.

Erster Versuch: Ich rutsche in Crux 2 ab.
Versuche 2, 3 und 4: Ich rutsche in Crux 1 ab.
Mein Rücken tut weh. Meine Knöchel bluten, meine Zehen frieren in den engen Schuhen, und ich kämpfe darum, sie warm zu halten. Zum Glück wärmt Soline, die ultimative Sicherungspartnerin, sie zwischen den Versuchen unter ihrer Daunenjacke an ihren Körper auf.
Versuch 5: Ich kletterte die erste Crux, falle aber in der zweiten.
Versuche 6, 7, 8 und 9: Ich rutsche wieder in der ersten Crux ab.
Ich fange an zu verzweifeln.
Es ist 16:30 Uhr, und um 17 Uhr kommt ein Schneesturm. Ein letzter Versuch. Ich sage mir selbst, dass ich es schaffen kann.
Versuch 10.
Es ist nicht mein reibungslosestes Go, aber ich kletterte Crux 1, dann Crux 2. Als ich die letzte Rastposition vor Crux 3 erreiche fängt es an zu schneien. Meine Schuhe und Finger werden nass. Es fühlt sich hoffnungslos an. Aber ich habe nichts zu verlieren. Ich starte meinen Versuch. Irgendwie halte ich den weiten Zug. Mein Fuß bleibt an Ort und Stelle. Ich greife nach dem letzten Henkel – ich bin immer noch an der Wand… JA! Ich habe Pitch 14 bei Schneefall geklettert!

Seb Berthe

Zurück am Portaledge tobt der Schneesturm! Am nächsten Tag kletterte Seb die durch den extrem schweren Dyno berühmt gewordene 16. Seillänge. Er zog in dieser Seillänge Adam Ondras Variante vor und umkletterte besagten Sprung. Nach einem weiteren Tag Pause kletterte er innerhalb von drei weiteren Tagen die verbleibenden 17 Längen. Dabei legte er einen Marathon-Tag ein, an dem er mit den Seillängen 21 bis 32 gleich zwölf von ihnen aneinanderreihte.

Für die letzten beiden Klettertage übernahm Erik Sloan den Part des Sicherns und löste Soline Kentzel am anderen Ende von Sebs Seil ab. Sébastien Berthe erkletterte nachts die letzten Meter der Dawn Wall und erreichte am 14. Tag um 8 Uhr morgens den Gipfel des El Cap.

Tommy Caldwell, ich bin dankbar und in Ehrfurcht für die Arbeit, die du in diese Linie gesteckt hast – die Qualität, der Stil, die Aufmerksamkeit für jedes kleine Detail und jeden Griff. Es ist unmöglich, das Ausmaß dieser Anstrengung zu erfassen, ohne endlose Stunden dort oben zu verbringen und zu versuchen, die Route zu wiederholen. Ich denke, wir werden lange warten müssen, bis jemand eine Route findet, die sowohl in Qualität als auch Schwierigkeit mit der Dawn Wall mithalten kann...

so Sébastien Berthe am Ende seiner Pressemeldung

Alle Dawn Wall Seillängen im Überblick:

  • SL. 1: 7b+
  • SL. 2: 8a
  • SL. 3: 8a+
  • SL. 4: 7b+
  • SL. 5: 7c+
  • SL. 6: 8a+
  • SL. 7: 8b+
  • SL. 8: 8b
  • SL. 9: 8a+
  • SL. 10: 8b+
  • SL. 11: 8a+
  • SL. 12: 8c
  • SL. 13: 8a/+
  • SL. 14: 9a
  • SL. 15: 9a
  • SL. 16: 8b+
  • SL. 17: 8c+
  • SL. 18: 8b+
  • SL. 19: 8a+
  • SL. 20: 8a/+
  • SL. 21: 8b
  • SL. 22: 8b
  • SL. 23: 6a/+
  • SL. 24: 6c/+
  • SL. 25: 6c/+
  • SL. 26: 7a+
  • SL. 27: 6c+
  • SL. 28: 7c
  • SL. 29: 7b+
  • SL. 30: 7b+
  • SL. 31: 8a
  • SL. 32: 7b+

Quelle: The Crag

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Video-Link: https://youtu.be/PK8AAX-M0Dw?si=7VVxZQJP3_dFZTsj
  • Credits Text kletterszene.com
  • Credits Fotos © Soline Kentzel
  • Beitragsdatum 10. Februar 2025