Roger Schaeli fühlt sich wie Harry Potter im Zauberlehrling 9

Christoph Hainz (50, Südtirol), beschreibt seine legendäre Route „Zauberlehrling“ an der Cima-Scotoni-Südwestwand in den Dolomiten in seinem Buch „Ausstieg in die Senkrechte“ mit: Sehrsteile und anstrengende Wandkletterei längs Platten, Überhängen und Dächern. Der Fels ist meistgut, einige heikle Stellen in gelbsplittrigem Gestein. Alle geschlagenen Haken wurden belassen. Laut Christoph Hainz handelt es sich beim „Zauberlehrling“ um eine moralisch und klettertechnisch extrem anspruchsvolle Route mit anhaltenden Schwierigkeiten, die bedeutend schwieriger ist, als „Der Weg durch den Fisch“ an der Marmolada-Südwand: Wandhöhe: 550 Meter, Kletterlänge: 750 Meter, Kletterzeit der Erstbegeher: 46 Stunden, Wiederholer: Zwei Tage.

Für den Sörenberger Kletterer Roger Schaeli (34) klingt das wie das Rezept für ein richtiges Kletterabenteuer.Bereits letzten Sommer checkte er die Route zusammen mit Christoph Hainz aus. Die dritte Seillänge ist schon 9-, die fünfte dann 9. „Mein Fazit an diesem Tag war: Ganz schönkühn. Die Hauptschwierigkeit wird nicht sein, die 9 und 9- sturzfrei zu klettern, sondern all die vielen Seillängen im sechsten, siebten und achten Grad. Denn in diesen Seillängen steckt oft wenig bis kein Material und die Wegfindung und Kletterei wird dort Nerven erfordern“. Der Sommer 2011 ging zu schnell zu Ende und die weite Reise ins Val Badia trug das ihre dazu bei, dass Roger Schaeli das Projekt auf 2012 verschob. Am letzten Donnerstag, 21. Juni, gelang
ihm die erste Eintages- Rotpunkt-Begehung des Zauberlehrlings!

Christoph Hainz dazu:

Mit dieser Route habe ich 1990 einen Meilenstein in den Dolomiten eröffnet und Alpin-Geschichte geschrieben. Es hat in diesen 22 Jahren keine zweite Rotpunkt-Begehung, so wie ich sie damals machte, gegeben. Obwohl das Kletterniveau gestiegen ist, hat sich niemand getraut, diese kühne, schlecht abgesicherte Route zu wiederholen. Darum möchte ich Roger sehr gratulieren zu seiner Leistung. Er hat den „Zauberlehrling“ nicht nur Rotpunkt, sondern zusammenhängend Rotpunkt geklettert. Das freut mich sehr. Ich wäre gerne als Seilpartner dabei gewesen, aber ich hatte leider keine Zeit.

Die Begehung:

Nicht nur die weite Reise stellte sich als Hindernis dar. „Auch am Tag x den idealen Kletterpartner zu finden, ist manchmal fast so schwierig, wie die Kletterei selber. Meistens hab ich Glück, aber diesmal war es fast unmöglichk jemanden zu finden, da die meisten Kletterpartner als Bergführer unterwegs waren oder die Reise und/oder die Kletterei war zu anstrengend“, erklärt Roger Schaeli. Als letzte Möglichkeit hat er sich an sein SAC-Alpin-Team gewandt. „Da ich aber wusste, dass wir uns gerade auf unsere Expedition nach Peru vorbereiten, hab ich nicht mit einer positiven Antwort gerechnet. Doch als ich mich am letzten Dienstag schon damit abgefunden hatte, diesmal niemanden zu finden, hat sich Gian Sebregondi (22, Lenzerheide) gemeldet.“ Am nächsten Mittag befanden sich die zwei schon in Rogers Bus Richtung Dolomiten. Nach dem Kaffee aus Rogers Mocca Maschine um 4 Uhr früh ging es los zum Wandfuss. „Mit den ersten Klettermeter verschwand wie auf Knopfdruck meine Nervosität. Als ich auf Anhieb die dritte 9- und die fünfte 9er Seillänge hinter mich brachte, spürte ich plötzlich, dass ich heute wirklich eine Chance haben könnte, etwas zu zaubern“. Zwei Fragezeichen hatte Roger noch: Zum einen begann es ringsherum zu regnen und gewittern. Zum anderen wusste er nicht, ob Gian bereit war, durchzustarten, denn die Quergänge mit Rucksack nachzusteigen, ist nicht ohne.

Auf dem ersten Band, nach zehn Seillängen, gönnten sich die zwei Kletterer eine erste verdiente Pause. Die Gewitter entluden sich lautstark an der benachbarten Sella-Gruppe, sie blieben bis auf ein paar Tropfen trocken. „Um eine Diskussion über den weiteren taktischen Verlauf zu vermeiden, klettere ich zugegeben ziemlich egoistisch und fokussiert weiter. Im mittleren Wandteil gibt es einige sehr exponierte Quergänge, die Gian im Nachstieg souverän kletterte.“ Kurz unter dem zweitem Band erreichte die Gewitteraktivität im Val Badia scheinbar ihren Höhepunkt. Die PacLite-Jacke war schon angezogen und der Biwacksack griffbereit am Gurt baumelnd,um bei Niederschlag sofort Schutz zu haben. Roger Schaeli: „Verdammt, war das stressig.“

Auf dem zweiten Band angekommen, trennten Roger Schaeli noch genau sechs Seillängen vonseinem grossen Traum. „Jetzt setzten wir alles auf eine Karte und liessen unsere Rucksäcke mitAbstiegsschuhen, Notapotheke, Essen und Getränken zurück“. Die immer grösser werdendenTropfen jagten Roger und Gian richtiggehend die Wand hoch. „Mit tiefen Atemzügen konnte ich meine gewohnte Ruhe und Sicherheit wieder finden. Ich wurde eins mit dem Berg und fühlte mich in dieser unwirklichen, steilen, exponierten und brüchigen Landschaft wohl. Es war ein wunderbares Gefühl!“, betont der Sörenberger Profi-Alpinist.
In der zweitletzten, also 22. Seillänge, quert man nochmals vogelwild in die überhängende Gipfelwandzum Grande Finale. Da hingen sie nun, am Standplatz Nummer 21, an zwei alten Haken mit500 Meter Luft unter dem Hintern. Nun galt es ernst: „So Roger, wenn du diese kühne Seillängein 8+ auch noch sturzfrei schaffst, hast du die Zauberlehrlingsprüfung bestanden“, ging es Roger durch den Kopf. „Mit bereits etwas kalten Fingern und geschwollenen Füssen kletterte ich endlosmotiviert los. Es war, als ob ich nie was anderes gemacht hätte, als zu klettern. Auch die Sturzangst war verschwunden. Ich fühlte mich wie die Bergdohlen, die mich oft als einziges Lebewesen an solchen exponierten Stellen besuchen und dabei immer so souverän wirken“, beschreibt Roger Schaeli.
Genau 24 Stunden nachdem sie losgingen, standen Gian und Roger hundemüde in ihren Kletterfinken beim Auto. In Kletterfinken hatten sie den ganzen Abstieg, zum Teil über Schnee, hinter sich gebracht, weil sie in der dunklen Nacht das zweite Band mit den Rucksäcken nicht mehr fanden. „Wir entschieden uns, zu biwakieren, um dann am Morgen unser Material zu holen. Doch um zwei Uhr morgens begann es so stark zu gewittern, dass wir uns nass und frierend zum Abstieg in Kletterschuhen entschieden. Ebenfalls eine Geschichte, die dieses Abenteuer unvergesslich macht.“

Die erste eintägige Rotpunkt-Begehung der Route „Zauberlehrling“ ist geschafft!

Als nächstes Projekt ist die Expedition mit dem SAC Alpin Team in Peru geplant. Mit den jungen Alpinisten wird Roger Schaeli Mitte Juli nach Huaraz fliegen.

Text: Frank Kretschmann  Foto: Gian Sebregondi

  • Beitragsdatum 28. Juni 2012